Scendendo a Venezia

Venedig 2017

19.08.2017 Lana, Siebziger und das Nichts

  

Nun fahre ich seit mehr als 20 Jahren hoch nach Nauders und kenne die Alpen eigentlich kaum bis garnicht jenseits der österreichischen Grenze. Höchste Zeit das zu ändern. Aber wie stellen wir das an? Ich liebe Berge, sobald ich die Bäume ab 2200m Höhe hinter mir gelassen habe und die Luft dünn wird. Frances ist eher der Würzelkletterer in den Zirbenwäldern.
Seit 2005 fährt wieder eine Bahn in den Vinschgau. Also war die Idee schnell klar, dass wir Südtirol und Trentino mit dem Rad nach Venedig durchqueren wollen. Wenn ich eins seit dem Jakobsweg suche, dann ist es ein Ziel mit Meer. Nichts ist schöner, als am Meer anzukommen. Und Venedig als Ziel hat schon was. Ich kenne diesen historischen Freizeitpark, der einst mit Gewürzen auf ein Sümpfchen in einer natürlichen Hafenlagune gezwängt wurde, nur als Dreijähriger. Runde Postkarten gab es dort zu laufen. Das blieb als Erinnerung. Zu wenig, um zu sagen, dass ich schonmal da war, also hin!
Das Auto lassen wir unterhalb des Reschen- und Haidersees in Mals am Bahnhof zurück. Hierhin wollen wir am Ende der Woche zurückkehren. Das Wetter soll nicht mitspielen. Und es baut sich auch bedrohlich hinter uns auf österreichischer Seite auf, um gen Süden zu ziehen. Na mal sehen, wer schneller ist. Bis Meran geht's von 1200m auf 300 nur abwärts. Und wir radeln los, vor uns die Sonne, hinter uns einen grauen Klumpen im Schlepptau, der die Landschaft auffrisst, wie das Nichts in der Unendlichen Geschichte. Bis nach Meran ändert sich die Saison von Früh- zu Spätsommer. Waren die Äpfel auf den vielen Plantagen, die das Etschtal säumen noch klein und grün, werden sie nach Meran hin immer größer und reifer. Bei der kleinen Stadt Glurns, die exakt in ihre Stadtmauern passt (und im Gasthof zum Grünen Baum die erste RICHTIGE italienische Eisdieleneis beherbergt) treffen wir auf die Etsch, die fortan unsere Begleiterin sein wird. Drei Stunden brauchen wir nach Meran und schlagen dem Nichts vorerst ein Schnippchen. In Punkto Fahradweg kann man sich echt was abgucken. Hier soll ganz offensichtlich Fahrrad gefahren werden. Die nervige Hauptstraße passieren wir nur einmal, ansonsten geht's nur abseits durch die Plantagen. Man hat erstklassige Fahrradinfrastuktur gebaut und die Pensionen stellen sich vollends darauf ein. Alle 20km gibt's den obligatorischen Bicigrill mit lecker Spuma und Pommes für den lieben Olli und oberlecker Cappuccino für Frances. Spätnachmittags kommen wir nach 3 Stunden Radelei beim Meraner Hof in einer Eisdiele an. Endlich. Oliver im Eisparadies. Ich muss das alles alles aufessen hier!! 6 Kugeln mit Sahne. Vanille, Pistazie, Schoko, Vanille und hmmm... Pistazie... und Gurke Zitrone?! Her damit!
Es ist mediterran geworden. Die Wanderklamotten sind Strandröcken gewichen. Hmm... das Standard Sommeroutfit 2017 läuft im Minutentakt vorbei. Sonnenbrille mit extra großen Fliegenaugen im Haar hochgesteckt, besagtes Sommerkleid, wahlweise mit fetten Punkten oder Blumen bedruckt, dazu original (!) Birkenstock, Typ Madrid oder Gizeh, selten was anderes. Will keine Werbung machen, aber wir sind irgendwie wieder in den 70ern. Es fehlen nur noch Berkemanns Holzschlappen. Ich beschwere mich nicht. Ich finds gut und machs nach... Okay, ich ersetze Rock durch abgeschnittene, fransige Jeans. Yeah! Suuuper dufter Sommer.... Donner, Krawall... SCHÜTT. Das Wetter ist da und frisst Meran auf. Gewaltige, dunkle Wolkenhaufen speien Verdauungssäfte auf die Stadt, auf dass ausgelöste Bergsedimente durch sämtliche Straßen talabwärts in die Etsch fließen und ihr die Anmut von Erdnussbutter verpassen. Tja und wir müssen noch nach Lana. Also Augen zu und durch. Es sind zum Glück noch 20 Grad. Warm Duschen. Es geht noch einmal 10km durch Wasserstraßen bis zur Pension Rebgut. Überall rückt die Feuerwehr aus. Ist wohl doch so heftig, wie es aussieht. Gut geduscht kommen wir an. Der Pool der Pension läuft gerade über und lässt die Tomatenstauden ersaufen. Von den Bergen grummelt es überall. Uns öffnet ein 85 Jahre alter Mann. Das hätte er in den ganzen 45 Jahren, die er die Pension führt, noch nicht erlebt! Sagt er und bittet uns und bittet in eine 45 Jahre alte Stube, überreicht uns die Schlüssel für das 45 Jahre alte Zimmer und zeigt mir, wie ich am Sicherungskasten die 45 Jahre alte Sauna in Betrieb nehme. Die 70er setzen sich fort. Nostalgisch. So hat man 1972 also Urlaub gemacht! Muss für die Generation Justin Bieber doch schon antik wirken... oder topmodern mit Blick auf die Birkenstockse. Die Gäste könnten zum Inventar gehören. Kaum jemand jünger als 65, würde ich schätzen. Im Zimmer hats zwischen den Kieferholzdeckenfunieren aufs Bett reingeregnet. "Ich hab das noch nicht erlebt", wiederholt sich der Besitzer und lässt mich das Bett neu beziehen. Seine Haushaltshilfe kommt nur morgens. Egal. Ich ziehe mich zurück in den bunkerähnlichen Wellnessbereich hinter dem Fahrradkeller. Es liegen waschlappengroße Tücher und ein Apfel bereit. Genial! Guter Einstieg trotz allem. Den Spaß haben wir uns nicht nehmen lassen. Außerdem solls ab morgen schön werden.