Digitalisierte Identität

ZweiMonde ist mein digitalisierter Mikrokosmos um all die hintergründigen Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Eine Art von Ich bahnt sich einen schnörkeligen Weg durch einen Gedankendschungel und sieht vielleicht ganz anders aus als das Ich im Spiegel. Beim Schreiben, alleine beim Wandern, ist es unverhältnismäßig ruhig. Unterbewusse Lebenszeichen krabbeln gerade dann unter einer steif getretenen Alltagsschicht hervor, um den plötzlich entstandenen Raum in Besitz zu nehmen wie scheues, hungriges Wild auf einer Lichtung inmitten des Dschungels. Niemand jagt mich und ich habe Zeit, Geduld und nichts vermeintlich Besseres zu tun als abends irgendwo zu sitzen, zu schreiben, zu zeichnen und den Raum zu füllen mit dem, was unmittelbar ist.
Die kleinen Ausflüchte bahnen sich durchaus auch im täglichen Leben ihren Weg. Corona hat sogar ziemlich ungewollt dazu geführt, dass Frances und ich Zeit hatten, um uns mit uns selbst zu beschäftigen. Ungewollt Zeit haben ist paradox. Wir beschlossen darüber in schweißtreibenden Saunadiskosessions zu philosophieren. Und im Wohnzimmer steht auch auf einmal "Ein Klavier, ein Klavier!". Man geht hin, spielt 5 Minuten, geht wieder weg. Ohne es so recht zu realisieren, hat man sich ein Stück erarbeitet. Ich fände es schade, all die Gedankenblasen nur in Regalen, Festplatten und meinem Kopf zu archivieren. Auf dieser Seite möchte ich daher einen Teil lebendig und im Zugriff zu halten, egal wo man gerade ist.
Ein "Hallo, hier bin ich!" in die digitale Welt.

Eine Webseite, wo es doch Soziale Netzwerke gibt...

Was ist eine Webseite, eine Homepage, eine digitale Heimat für eine private Person? In den Neunzigern und Nullern war es aus meiner Sicht Ausdruck von Persönlichkeit, für die es noch keine Plattformen gab. Es hatte was Nerdiges, Elitäres, eine Homepage zu betreiben. Facebook, Instagram und Co. wurden in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gerade erst begriffen. Datenschutz? "Ich hab doch nichts zu verbergen."
Bis 2004 habe ich eine Plattform für sogenannte Creative Commons Musik betrieben. Leute konnten selbstgemachte Musik, meist mit Mod Trackern komponiert, hochladen und bewerten lassen. Wir waren eine "Crew" von 15 Leuten aus Deutschland, USA, Romänien und Australien und kannten nicht einmal unsere echten Namen. Man musste Webrings beitreten, im Gespräch bleiben, via IRC mit den Musikern diskutieren. Es war bislang meine aufreibendste und spannendste Interneterfahrung und eine Heidenarbeit, die Seite lebendig zu halten. Es war vergleichbar mit der heutigen Sucht nach Likes und virtueller Anerkennung. Ich war jung, habe alles persönlich genommen. Durch den dabei entstandenen Ehrgeiz, es allen beweisen zu müssen, habe ich fast unbewusst in Windeseile Programmieren und Englisch gelernt. Die Seite administrierte sich ja nicht von allein. Zwischenzeitlich wirkte meine virtuelle Identität realer als mein eigentliches Leben. Irgendwann wurde es zu meinem Zweitjob. Die Faszination schwand. Was blieb war der Druck, den schwer erarbeiteten Status zu verlieren, bis ich mich dann schließlich entschloss diesen vermeintlichen Status als irrelevant zu deklarieren. Das war eine geistige Befreiung und führte zur Erkenntnis, dass diese Interneterfahrungen den Grundstein für etwas anderes geleget hatten. Ich hatte fast unmerklich die schulgeprägte Angst vorm Studieren verloren und entschied mich, es doch noch zu tun und meine Brötchen schließlich mit IT zu verdienen.
Daher auch diese Seite in dieser Art und Weise. Sie läuft noch heute auf meinem über 20 Jahre alten, php-codierten CMS der damaligen Musikseite. Sie genügt sich selbst als technisch lauffähiges Museumsvehikel mit sicherheitstechnischer H-Zulassung. Das System erinnert mich ebenso wie der damit dargestellte Inhalt daran, wer ich bin. Ich habe wenig Interesse an sozialen Kanälen mit Followern, deren Erwartungen ich an ein vermeintliches Produkt über mich selbst bediene. Die Seite ist ein privater Raum mit von innen getönten Schaufensterscheiben: Meine hier preisgegebene digitale Identität darf so öffentlich sein, wie sie ist, auch wenn ich die Betrachter nicht kenne. Überwuchert existiert die Seite sozial ungebunden zwischen den Netzen und tut mir Genüge als Plattform für all meinen ungefilterten Gedankensalat, der raus will. Ich schaue sie mir gerne an, erkenne mich wieder, reflektiere, schmunzel über den Typen und rufe schnell vergessene und vermeintlich ach so irrelevante Details zurück in mein Gedächtnis. Freunde und Familie kennen den Weg hierher. Immer wieder mal bekomme ich aber auch eine Mail von unbekannten Lesern aus Ecken, in denen ich nichts vermutete. Das freut und erschreckt mich zugleich. So sitze ich hier sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne nackt im Schneidersitz an einer Küste und schaue, vielleicht gemeinsam mit euch im Nacken, ins Blaue.