18.05.2025 Lebendiges Meer | ᐸ ᐳ ᐱ |
Als schließlich genügend Besucher beisammen sind, fahren wir mit einem dieser Minibusse weiter in Richtung Westen. Ein weiterer Militärcheckpoint. Beobachtungstürme und Radar verteilen sich weitläufig in einem Ödland, in dem ansonsten noch Kirchen verschiedener Bauart herumstehen, als hätte man die zugehörigen Dörfer wegen Braunkohlebergbau bereits abgerissen. Es wirkt surreal. Dann wieder ein gigantischer Parkplatz, ein Souvenirhäuschen und sonst niemand. Von hier aus schlängeln sich überdachte Wege durch Flussvegetation. Sie haben sogar Sprinkleranlagen montiert. Naja, es sind schon wieder 40 Grad. Dem einzigen, dem das nichts ausmacht, ist ein kleiner Junge, der halb auf arabisch, halb auf englisch die Busgemeinschaft ins Grinsen versetzt. Wir kommen also immerhin ohne direkte Sonneneinstrahlung an den Jordan heran. Auch Johannes Paul II. war natürlich hier. Der Fluss, der bis 1967 noch ein mächtiger Strom war, hat mittlerweile nur noch die Größe eines Dorfbachs, der auch die jordanisch-israelische Grenzlinie markiert. Mit Anlauf könnte ich in einem Sprung Israel erreichen. Damit das nicht passiert, patrouillieren Soldaten mit Gewehren um uns herum. Erster Halt: die Stelle, an der Jesus getauft wurde. Eine Pfütze in einer Bodensenke. Daneben stark zerstörte Kirchenreste. Hier also nahm alles seinen Anfang mit Jesus und den Jüngern. Der Fluß verläuft schon lange nicht mehr hier entlang. Israel nutzt das Wasser des Jordans so intensiv für die Landwirtschaft, dass die ursprünglichen Wiesen gänzlich zur Wüste wurden und das Tote Meer faktisch nichts mehr abbekommt. Er wird von Jahr zu Jahr kleiner, jedes Jahr zieht er sich um 1 Meter zurück.
Es geht weiter zu einer orthodoxen Kirche, die intensiv genutzt wird… darin stehen vier Klimaanlagen. Von dort aus ein paar Meter weiter ist schließlich eine Furt des Jordans. Auf der gegenüberliegenden Seite sind deutlich mehr Touristen. Warum sind die dort und nicht hier? Es gibt keine Brücke oder so. Dort ist Israel, zeigt die blauweiße Flagge. Von beiden Seiten aus darf man, scharf bewacht vom Militär beider Seiten, ins Wasser und sich taufen lassen. Ein Priester vollzieht im Minutentakt das Ritual auf israelischer Seite an einer Gruppe Afrikanern. Im Fluss kann man sich theoretisch die Hand von Land zu Land geben. Näher als hier kommt man sonst nicht zueinander ohne Schlagbäume. Und wir treten unser Schengenabkommen mit Füßen, denke ich mir. Hier unten konnte man die 200 Raketen, die der Iran nach Israel entsandt hat, gut beobachten, sagt Yaser.
Hier ist soweit erstmal Frieden für alle angesagt. Chinesen verhelfen sich beim Abfüllen von heiligen Wasser aus einer Weihwasserschale. Man kommt gerade nicht an den Fluss heran, die Holztreppe wird neu gemacht. Ein bisschen neidisch schauen sie hinüber zur Baptismparty Israels und fragen sicherheitshalber die Soldaten nochmal, ob das Wasser auch wirklich heilig ist. Weil… Das wäre ja so klar und drüben würden sie vom true authentic Jordanbach PET-flaschenweise den edlen Tropfen abfüllen. Sie nicken. Also verschwinden duzende Devotionalien in der großen Schale, um einen entsprechenden Heiligkeitstransfer zu vollziehen, während das Video alles dokumentiert. Ich bekreuzige mich mal mit dem Wasser. Das ist ja wie die Bilder damals aus dem Religionsunterricht, aber zum Anfassen. Wozu bin ich bislang Katholik geblieben, wenn nicht dafür. Auf Jesus und seine Gefährten… Jünger. Das fand ja damals auf recht überschaubarem Raum statt, denke ich mir, nach den bisherigen 250 Kilometern.
Der Bus bringt uns zurück zum Ausgangspunkt. Yaser steht schon startklar für den nächsten Programmpunkt. Vorher kauft er mir noch Wasser und Cola in einer der Blechbuden am Straßenrand. Dann geht es vom nördlichen zum südlichen Ende des Sees, der hier in einen gestreckten Salzstrand ausläuft, in dem das Wasser türkis einläuft. Yaser erzählt von sich und ich von mir, während wir entlang des Sees fahren und sehr hemdsärmelige Überholmaneuver vollziehen. Er hat sechs Kinder, aber nur eine Frau. Seine beiden Töchter gehen studieren, Agrar- und Ingenieurwissenschaften. Es ist teuer für ihn, das Studium zu finanzieren. Nur die Schulen werden staatlich gefördert. Ich erzähle von meiner Frau und Leander, dass er im Sommer in die Schule gehen wird und gerne schwimmt und so, was alles mit einem „Allah ist Groß, Allah segne ihn“ quittiert wird.
Aqaba ist noch 240 Kilometer weit entfernt. Yaser beteuert, ich soll mal die Augen aufhalten an einer Stelle, an der er mich absetzt. Irgendwo auf freier Strecke halten wir an und ich gehe hinab zum See. Es tut sich ein Blick wie in einen Wasserfarbkasten auf: hier sind Tümpel, in denen das Wasser in quietsch Pink, Orange, Grün, Blau und Grau getüncht ist. War hier ein Chemieunfall? Von wegen Totes Meer! Das sind Mikroorganismen, die in dem salzigen See leben und sich hier in dem stehenden Gewässer so stark vermehren, dass er sich verfärbt. Ein Stück weiter beginnt der Salzstrand, dessen scharfkantige Formationen ein außerirdisches Bild abliefern. Niemand ist hier. Und so bleibe ich und untersuche alles genau, bis mein Telefon auf einmal anfängt zu spinnen. Es ist wieder überhitzt, nur diesmal offenbar dem Herzinfakt nahe. Die Kamera macht triggernde Geräusche und lässt sich nicht mehr bedienen. Neustarts lösen das Problem immer nur für zwei drei Bilder. Ohje, die Reise setzt dem Gerät wohl mehr zu, als ich ahne.
Weiter geht’s. Doch zuvor soll ich mit einem fliegenden Wasserverkäufer, der hier einen JD wittert, noch ein Foto für ein Joghurtpöttchen voll Wasser machen. Yaser schüttelt verstohlen den Kopf. Zu spät. Ich hab das Wasser schon getrunken. Wo kam der überhaupt her?! Egal. Er hat sein Geschäftchen mit mir gemacht.
Nächste Station: Wadi al Mujib. Soll ich unbedingt gesehen haben. Ich bin heute simpler Kunde und lasse alles mit mir machen. Eine Brücke überspannt das Kerbtal. Eintritt wird verlangt, ich bekomme dafür Wasserschuhe und Schwimmweste. Es geht in das Kerbtal durchs Wasser. Es wird enger und enger und es formieren sich wunderschöne, ausgewaschene Formationen an den Flanken. Leider kaum mehr für mein Gerät. Ein Neustart gab es noch, dann war Schicht. Es geht nicht mehr anzuschalten. Das war dann also der abgrupte Tod meines Sony Xperia Pro I nach nunmehr drei Jahren. Hmpf. Hätte es nicht noch ein oder zwei Tage durchhalten können? Naja, so konzentriere ich mich wenigstens auf das Tal und den rauschenden Fluss, der mittendrin hochgegangen werden muss. Ich werde komplett durchgeduscht. Herrlicher Ort hier. Schatten, Unmengen warmen Wassers, und irgendwelche Steinbrüche, die meine Knöchel umspielen… nee… das sind duzende Fische, die mich anknabbern. Uäääh!
Das Tal endet für uns Wadikletterer nach etwa einer Stunde vor einem kleinen, unüberwindbaren Wasserfall. Ich frage eine Frau mit Handy, ob sie ein Bild von mir macht und per WhatsApp zusendet. Bin gespannt, ob was kommt. Eigentlich ist das hier ebenso.ein Touristen-Starkmagnet. Vor dem Tal im Besucherzentrum ist extra eine Wartehalle eingerichtet, nur dass eben kaum jemand hier ist. Selber schuld, denke ich mir. Verratet nur keinem, dass Jordanien nicht Gaza ist.
5 Stunden fährt und begleitet mich mein Fahrer, dann ist mein Budget von 100 JD erschöpft. Mehr Bares habe ich nicht mehr, wenn ich morgen noch nach Amman kommen will. 15 Uhr entlässt er mich wieder. Bis morgen. Ich fahre mit ihm auch nach Amman zurück.
Starker Wind kommt aus dem Norden auf. So still wie der Salzsee gestern war, so sehr peitschen jetzt Wellen an die Salzküste und verraten, wie die Salzkristalle wachsen. Es ist noch diesiger als gestern, so sehr, dass man das andere Ufer nicht erkennen kann. Das Blubbern im See macht da nur bedingt Spaß. Es gischtet in die Augen und brennt sofort. Das vertage ich lieber auf morgen, das Ding mit der Zeitung.
Das war heute alles gar nicht so geplant. So wie immer eigentlich Aber mein Ischias sagt, es war entspannend.