17.05.2025 Totes Meer | ᐸ ᐳ ᐱ |
Ich merke aber, dass in See-Nähe der Anteil westlicher Touristen zunimmt. Auf dem Weg werde ich trotzdem ein halbes Duzend Mal gefragt, ob ich mitgenommen werden möchte. Ich möchte aber Wüste laufen, vor allem, um zu sehen, was diese Gegend nächstes Jahr mit mir machen würde, wenn ich wieder auf den Jordan Trail angewiesen bin. Eins ist klar. Auf keinen Fall werde ich im Mai laufen. Die Temperatur auf der 20 Kilometer langen Strecke ist brutal. 44 Grad im Schatten. Ich brauche in kürzester Zeit die gesamten 6 Liter auf. Glück für mich: ein Wasserbelieferungs-LKW, die in Jordanien häufiger als Busse unerfahren, sieht mich und lässt eine Dusche über mich laufen. Ist egal, sagt er, er hat ja noch 4500 Liter an Board, gerade abgebucht aus einem der Wadi-Sammelbecken hier. Wüstendusche. Geil. Die üblichen weißen Wassertanks auf den Dächern der Häuser sehen immer gleich aus und unfassen 2000 Liter. Viele haben daher auch mehrere, in der Regel drei.
Die Straße mündet nach elendigen 4 Stunden auf den Highway 65, der Amman und Aqaba über das Jordantal verbindet. Die Luft ist gelb und diesig. Es ist windstill. Kein Schatten. Es kann panisch machen, wenn man der Sauna nicht mehr entfliehen kann und der Puls nicht mehr beruhigt werden kann, stelle ich fest. Ich befinde mich auf -410 Metern Höhe, bin also seit Ma’in nochmal 300 Meter auf- und 800 Meter abgestiegen. Für heute war das meinethalben eine Survival Challange. Ich hab das Ziel ja eindeutig im Blick. Niemals würde ich das unbeschadet überstehen auf dem Trail über Felsen und Geröll, ohne die Aussicht auf Abhilfe durch Passanten. So oder so wäre unter diesen Umständen die Reise hier für mich zuende gewesen. Das war nochmal eine heilsame Erfahrung.
Für die kommenden zwei Tage habe ich ein kleines Hotel gebucht. Ich brauche dringend Pause nach 13 Tagen ohne… sagt vor allem mein Ischias.
Das Hotel O Beach liegt direkt am Wasser. Die brüllende Hitze zwingt mich sofort in liquide Mittel zu begeben. Ich habe die Wahl: Dusche, Pool oder Meer. Ich wähle Meer. Ich bin zu neugierig.
So stehe ich schließlich in der Dämmerung um 18 Uhr vor einem gespenstisch stillem, Toten Meer, ohne Pflanzen, ohne Tiere, ohne Wellengang. Das ist also das Ziel. Eine kurze Gedenkminute. Mein Ohr pfeift. Na dann. Wie geht man denn da rein… ohne Schuhe ungünstig, merke ich schnell. Der Strand besteht aus Salzkristallen, die in die Höhe wachsen. Egal, wofür bin ich Barfußläufer. Dann bin ich drin. Das Grund fällt steil ab und ich kann schnell nicht mehr stehen. Stattdessen wirbelt es mich herum, jemand drückt meine Beine zur Oberfläche. Der Jemand ist das Wasser. Und dann liege ich da auf der Wasseroberfläche wie eine Luftmattratze.
Das ist mal gespenstisch. Das ist doch kein Wasser! Ich versuche mich auf den Bauch zu drehen. Geht, aber Schwimmen geht nur mit den Armen. Meine Beine hängen einfach in der Luft. Tja. Ich versuche wenigstens aufrecht zu kommen. Das gelingt und ich bounce durchs Wasser, als hätte ich einen Schwimmring um meine Hüften, der für Auftrieb sorgt. So stehe ich da im Wasser herum mit dem Oberkörper überwasser, ohne Boden unter den Füßen zu haben oder meine Hände zu benutzen und begreife es nicht. Es entsagt der gewohnten Logik. Meine Haut brennt an einer Stelle, dort, wo mein Rucksack auflag. Ich bekomme langsam rote Flecken auf der Haut. Beim drüberstreichen im Wasser fühlt es sich an, als wäre sie ölig. Beim Reiben zwischen den Fingern so rauh, als riebe ich Sand. Der Geschmack ist salzig, klar. Aber vor allem auch bitter.
Man sagt ja, man könne bei solchem Wasser herrlich entspannen. Es wird viel Geld mit Schalen verdient, in denen man abseits jeder Umwelteinflüsse 2 Stunden floaten soll und dabei Erhohlung wie nach 8 Stunden Schlaf findet. Also lege ich mich aufs Wasser. Mein Blut rauscht, sonst ist da nichts. Ich mache die Augen zu. Ich verliere in kurzer Zeit gänzlich die Orientierung und muss mich zwingen, sie zuzulassen. 10 Minuten vielleicht halte ich es so aus, dann wird mir unheimlich und ich mache sie wieder auf. Huch, ich bin geschätzt hundert Meter nach Norden abgedriftet. Strömung ist hier also schon.
Ich bin komplett alleine hier und bounce ne Stunde vor mich hin, kann es immer noch nicht fassen und mache ein paar Fotos. Mein Gerät streikt ständig wegen Überhitzung. Das hatte ich auch noch nie. Das merken auch ein Brite und ein Asiate, die offensichtlich Follower auf einem Social Media Kanal mit ihren Eindrücken versorgen. Der Livestream kackt ständig ab, sodass der Wow-Effekt mehrmals neu inszeniert werden muss. Das wird von mal zu mal anstrengender und erzeugt sichtlich Stress beim Show-Entspannen.
Die Sonne geht graugelb auf israelischer Talseite unter in einen wolkenlosen, grauen Himmel. Ich beschließe essen zu gehen, jetzt wo es sich schon um 10 Grad auf 34 abgekühlt hat. Viele gesellen sich auf die Terasse, um Wasserpfeife zu rauchen. Ich komme mit einem der Kellner ins Gespräch und er wird sehr neugierig, als ich ihn von meinem Trail erzähle. Was ich denn morgen vorhatte, fragt er. Rumchillen im Wasser. Mehr eigentlich nicht. Neeee, das geht nicht. Er fragt seinen Bruder Yaser, der zeigt mir morgen die wichtigsten Ecken am Toten Meer. Naja… Ich bin nur einmal hier, also warum nicht? Abgemacht.
Ich bin mittlerweile voller neuer Eindrücke. Der Speicher ist langsam voll im Hirn. Was gibt’s da heute Abend besseres, als mit Frances, Arian und Anna via Whatsapp-Schalte gemeinsam das ESC -Finaöe zu verfolgen. Falls Israel gewinnen sollte, sehe ich ja vielleicht ein Feuerwerk drüben auf dem 10 Kilometer entfernten Ufer. Hmm… Europa ist irgendwie gar nicht weit weg. Zwischen Jordanien und Israel trennen sich zur Zeit trotzdem Welten.