Jordan Trail - darab al'urdunu - درب الأردن

12.05.2025 As Salt

  

Mihammad bereitet das Frühstück vor und ich werde vom Geklimper und seinem Morgengebet wach. Mein Bett hätte auch als Hüpfburg durchgehen können. Die Federn müssen einen halben Meter lang gewesen sein. Bei jedem Undrehen bounce ich immer schön in Richtung Bettkante und muss mich schleunigst unorganisieren, um nicht runter zu rutschen. Das hat die Nacht etwas in Unruhe gebracht. Das Frühstück macht alles gut. Er will mich mit gut einem Duzend selbstgemachten Leckereien mästen. Selbst gemachtes Olivenöl, eingelegte Oliven, Za'atar natürlich, Dattelmarmelade, Kartoffeln und Ei mit Zwiebeln, gesalzene Jogurt, Nüsse aller Art. Ich merke eindeutig, dass ich so viel öiliges, salziges Frühstück nicht gewohnt bin. Der Geschmack von Olivenöl und schweren Gewürzen dominiert alles. Zum Ausgleich schwarzer Tee mit selbst gemachtem Zucker. Es ist großartig. Aber es entsteht gleichzeitig in mir der drängende Appetit auf Aldi-Erdbeermarmelade, den ich mir mit Rest-Cola von gestern herunter spüle. Er ist ein bisschen enttäuscht, dass ich nichts mitnehmen möchte. Aber ich weiß genau, dass ich es heute Abend nicht essen werde. Also verstaut er viel für später in seinem historischen Liebherr-Gefrierturm, den er 1980 von einem Walter und einem Klaus in Romänien erstanden hat. Der läuft, ist laut wie ein Trecker und schaltet niemals ab. Es kann ihm egal sein. Die Energie kommt vom zweiten Stockwerk(ansatz), das (wohlmöglich) niemals fetig gestellt werden wird und solange halt PV-Platten beherbergt. Nachteil solcher Stockwerkskonstruktionen: Wenn es regnet, dann durch die Wände bis hinunter in den Keller sodass in Bodennähe keine Farbe lange an Wänden und Deckenecken haftet. Wurscht. Bautechnisch ist in diesem Land so ziemlich alles wurscht. Fällt ne Wand um, schraub nen Teppich davor. Diese Behelfsresilienz muss man erstmal entwickeln lernen. Wir fangen wieder an zu diskutieren über Allah und die Welt. Er musste nachts wohl irgendwie ein bisschen nachdenken, während er sich die Serie Lost zum dritten Mal reinschraubt. Er liebt die Geschichte, auch wegen dem finalen Glaubensansatz: "Okay, du sagst, du glaubst nicht. Was ist schlimm daran, wenn du es einfach doch tust? Ist doch egal! Was hast du zu verlieren?" Muss unweigerlich an die Rechtfertigung für Homöopathie denken: "Nimm doch! Schaden kann's nicht." Nee. Aber es lenkt den Blick ab vom Wesentlichen, das ich abseits des Glaubens sehe. Ich sehe, wie er aus dem Koran die Bestätigung zieht, dass Juden die Übeltäter der Welt sind. Seine Welt ist gefährlich zweidimensional. Das ist wie die Zugabe Quecksilber in Traumeel-Salbe. Ich bitte ihn, sich in die Lage von Israelis hineinzuversetzen und frage ihn, ob Steine werfen der richtige Ansatz ist. Er fängt an zu relativieren. Eigentlich meine er eher die Ultraorthodoxen. Das wäre seiner Ansicht nach auch der Grund gewesen, warum ich beworfen wurde von den Kindern im Norden, die wohl wenig Bildung erfahren: sie verwechseln meinen Pferdeschwanz mit den Schläfenlocken. Kann sogar sein. Mich bewirft mittlerweile keiner mehr und die Kinder werden tatsächlich in Richtung Süden immer aufgeschlossener.
Ich will los. Es ist schon 10 Uhr. Noch ein Abschiedsfoto möchte er haben für seine Söhne. Einer von ihnen ist Softwareentwickler, der andere hat einen Doktor in Biologie. Auch seine Eltern waren etwas Besonderes. Sein Vater hat amgelblich die damalige Königin im Alter gepflegt und wurde dadurch zum Teil der Königsfamilie auf Lebenszeit ernannt. Stolz zeigt er mir eine Urkunde im Schlafzimmer, die das belegen soll. Dorr hängt auch sein Stammbaum. Er dokumentiert mit amtlichen Stempel, dass seine Familie direkt vom Propheten Mohammed abstammt.
Ich werde hinunter zur Weggabelung von gestern gefahren, wo sein Bruder ein Irgendwas-mit-Metall-Geschäft führt. Er hat dort auch den Trailstempel hinterlegt. Wenn mal eine Gruppe vorbeikommt. Dann können sie da hingehen. Mohammad kocht dann immer Massenkabsa für alle jnd bringt das zu den Zeltcamps. So wurde er vor Jahren von der Trail Association überhaupt entdeckt. Das fällt ihm mittlerweile schwer. Er kann mit seinen 65 Jahren die Finger nicht mehr richtig krumm machen. Er hat das anfangs auch nur gemacht, weil man das solch besonderen Gästen gegenüber machen soll... sagt der Koran.
Ich ziehe los nach Süden. Wenn ich Hilfe brauche, darf ich natürlich immer und jederzeit... und so weiter. Es ist diesig gelblich. Meine Handy-Wetter-App zeigt für meinen Zielort As Salt etwas an, das es noch nie angezeigt hat: Sand! Die Sonne kommt nur klebrig durch und es ist locker 15 Grad kühler geworden. Das macht sich sofort in meinem Wasserverbrauch bemerkbar. 2 Liter reichen heute locker. Stattdessen reibt ständig was in den Augen. Das muss wohl besagter Sand sein. Es bläst ein kräftiger Wind und ich komme super gut voran. Ich muss nächstes Jahr dringend einen Monat früher starten. Die Hitze geht nur bedingt, wenn man nicht wie auf den Kanaren in kurzen Sachen wandern kann. Es geht zwar in den Klamotten und kühlt ja auch, aber ich bin jeden Nachmittag ein Geruchserlebnis, das dem Frühstück in keinem Deut nachsteht. Man muss einfach nur Brot in Öl tunken und dann unter meine... lassen wir das.
Irgend eine rotzschlechte, billige Chinamelodie weht stundenlang über die Berge und begleitet mich bis in die Vororte der kommenden Stadf As Salt hinein. Selbst im Wald hört man es durch den Wind immer wieder an- und abschwellen. Das ist schlimm für mich, denn ich kann nicht anders und muss der Melodie einfach geistig folgen, vor allem wenn Klassiker klassischer Musik rhythmisch falsch abgedudelt werden. Da werde ich zum Sheldon und würde die Quelle am liebsten töten. Je mehr ich mich meinem Ziel, dem Stadtzentrum, über große Zufahrtsstraßen nähere, desto lauter wird es... endlich! So erfahre ich, dass es sich um viele Mini-Laster handelt, die ein Hong-Kong-Tüdeldü auf dem Dach montiert haben und sich als Gasflaschenlieferanten entpuppen. Überall. Weiß nicht, was schriller wirkt, das Einschreien auf Sonderangebote über Megaphone oder das hier. Endlich verweht das Duldelgewirr, als ich auf steilen Treppen in engen Gassen steil hinab in den Stadtkern steige. Leider wird hier ein Exempel für das Müllproblem statuiert. Ein Junge kommt aus einer Gasse heraus mit einem Müllsack, wirft ihn über ein Seitengeläder der steil abfallenden Straße. Der Sack rollt schnell hinab und verteilt dabei seinen Inhalt quer über den Hang. Der Junge sieht mich und rennt wieder zurück in die Gasse. Schließlich stehe ich vor einem Platz und einer Moschee inmitten der bunten Häuserschlucht und es wird geschäftig.
As Salt lässt mich als Gast in Ruhe. Falls zwar immer noch auf und bin immer noch der einzige Wessi weit und breit, aber bin egaler, wie schon in Ajlun. Es ist laut und knallbunt. Es riecht nach allem. Erstmal brauche ich eine Bleibe. Booking bietet nichts an und die Kontakte der JTA melden sich allesamt nicht. Ein Hotelschild etwa 50 Meter über mir fällt mir auf und ich steige auf der gegenüberliegenden Häuserwand wiederum Gässchen hinauf, bis ich schließlich tatsächlich vor einem Hotellchen mit Restaurant steht, das drei Zimmer in einem 150 Jahre alten Steinbau anbietet. Ohne Fenster. Aber hey, Zimmer! Nehm ich. Damit ist offiziell auch Staffel zwei von drei dieses Jahr geschafft. Krass, das ging schnell seit Ajlun.
Ich muss unter die Dusche, um mich von einem wandelnden Frühstück zum Menschen zurück zu verwandeln. Ich möchte runter in die Stadt. Google macht Neugierig. Ein archäologisches Museum ist dort und eine richtige Bazargasse, so wie man das hier erwartet. Ich wasche meine Sachen, um sie, nass wie sie sind, gleich wieder anzuziehen. Hab ja nur diese Hose und dieses Hemd im Sinne der hiesigen Gesellschaftskonformität bei mir. In 10 Minuten sind sie eh wieder trocken bei dem Wind.
Auf der Straße kommen mir vier traditionell gekleidete Mädchen entgegen und sind neugierig. Es hilft jedoch nichts. Der Universalübersetzer muss raus. Ob ich arabisch bin, ist die erste Frage. Nein. Ob ich Muslim bin. Römisch-katholisch, sag ich. Error. Ich bin ein deutscher Christ, sag ich. Sie grinsen mich an und recken die Daumen. Akzeptable Antwort. Eines der Mädchen wird energisch und möchte mehr wissen. Ein anderes hält sie zurück. Ihre Ansage übersetzt das Gerät unmittelbar auch für mich: "Das ist ein Christ, mit dem dürfen wir nicht reden!" Es entsteht eine Diskussion. Die Neugier ist groß, wird aber abrupt abgebrochen, als ein Mann aus einem gegenüberliegenden Haus herauskommt: Hecktische Handbewegungen. "Go! Go! Byebye!"
Im Rückspiegel erkenne ich, dass die Mädchen zur Rede gestellt werden.
Ich gehe weiter zum Museum und schaue mir ein paar archäologische Funde an. Nichts umwerfendes. Trotzdem erfahre ich was über die ersten Werkzeuge vor 6000 Jahren, die hier gefunden wurden und auch über das römische Straßennetz der Antike, die die Städte, die auch ich durchquere, verbunden hat. Und auch Zucker wurde hier hergestellt aus einer Art Bambus, wie es hier in Flussbetten wächst.
Ich mache einen großen Schlenker durch die Gassen und erreiche die Handelsgassen. Das Licht wird jetzt am Abend intensiv. Das wäre dann mein erstes Basar-Feeling. Ich fühle mich eher unwohl, beobachtet und kann mir nur schwer irgendwas einfach mal angucken, ohne angesprochen zu werden. Das ist hier wohl auch normal, denke ich. Ich suche nur halt gar nichts bestimmtes. Was ich wahrnehme ist, dass hierzulande Handel im Wesentlichen nicht im Internet stattfindet. Vieles geht auf den Straßen ab. Vertrauen ist wichtig, Austausch, Blicke, der Händedruck. Mohammad gestern war sehr irritiert. Was soll das sein, dieses Ebay. Wie soll das gehen?! Es ist sehr lebendig hier und macht den Eindruck, Einsamkeit vorzubeugen. Es ist ein Mix aus allen Altersklassen. Qualität kann man nur in Punkto Gewürze und Essen erwarten. Ich hab mir die Sandalen einmal angeschaut. Wenn ich die tragen würde, würden sie auch ohne Wandern zu gehen in Windeseile zerfallen. Gut, meine Referenz sind Duckfeet Mandø aus Dänemark. Dennoch dachte ich, dass solche Modelle hier zu Hause sind. Alle tragen die hier, ob Kinder oder Erwachsene. Damit lässt sich am schnellsten navigieren. Innerhalb der Häuser gibt es quasi für jeden Raum individuelle Fußbekleidung: Wohnzimmer und Moschee: Barfuß. Badezimmer: Badelatschen. Räume mit Teppich oder Hochglanzfliesen: Barfuß. Ich wurde schon ein paar Mal darauf hingewiesen. Da nervt es tatsächlich, immer Hand anlegen zu müssen, um die Wüstenrennsandalen zu lösen. Meine Gedanken werden unterbrochen. Ein Verkäufer wittert ein Geschäft mit mir. Zeit zu gehen, hab Durst auf dunkelroten Brausenkram.
Mir kommt ein Junge in den Gassen zurück zum Hotel entgegen, zehn Jahre vielleicht alt. Er stellt seinen Rucksack ab, richtet sein Hemd gerade, läuft auf mich zu, schaut mir ins Gesicht, streckt mir erwartungsvoll die rechte Hand aus. Salam. Friede. Er freut sich. Mach das mal in Paderborn in den Seitengassen der Innenstadt, wenn du zehn wirst und dir ein fremder Araber entgegen kommt, Leander.