06.05.2025 Pella | ᐸ ᐳ ᐱ |
Die Nacht kostet mich 7 JOD, ein einfaches, aber üppiges Frühstuck 3 JOD und ich bekomme endlich meinen ersten Stempel in den Pass gedrückt. Und so komme ich immerhin um 10 Uhr los. Fast zu spät. Heute sind 36 Grad angesagt. Ich packe schonmal 4 Liter Wasser ein.
Hoffentlich kommen keine Hunde, denk ich, aber Beduinen lagern auf meiner Stecke mitten auf dem Weg. Also kommen in kürzester Zeit wieder ein halbes Duzend Hunde auf mich zu. Nur diesmal bin ich schlauer. Ein Bauer zuvor hat mir nach einem handschlägigen How-are-you verraten, dass ich sie immer mit Steinewerfen ablenken kann. Und tatsächlich, das funktioniert immer. Ich speichere den neuen Hundealgorithmus gleich in mein jordanischen Repertoire: Wenn Hund, dann Nimm Auf vier Steine. Wenn Hund lang anhaltend bellt: Hund hat aufgegeben, Steine fallen lassen.
Der Tag ist megaheiß und die Landschaft wird wüstenhaft weiß. In den Kerbtälern geht das soweit, dass mein Handy keine Fotos machen will. Und das Wasser geht schneller danieder als mir lieb ist. Laut Beschreibung soll in dieser Einöde eine Quelle sein. Und tatsächlich. Etwas Grünes blitzt im Weiß des Umlands in einem Kerbtal hervor. Eine verwitterte Tränke tut sich auf, daneben ein Wasserschlauch. Es summt vor Bienen und Hornissen, aber sie sind nicht an mir interessiert. Ich lasse mich volllaufen. Was aus dem Berg kommt, sollte pasaen. Alle Flaschen wieder vollmachen und weiter geht's. Ein Geländewagen kommt die gefühlt 30% abfallende Piste herab, die ich hinaufgehe. Darin sechs Bauern. Sie sehen mich, halten an, grüßen mich und reichen mir ein Joghurtpöttchen. Darin sind aber 250ml Wasser! Geil. Das gleicht die Erfahrung von gestern wieder aus. Kräfteraubend und schweißtreibend ist weniger die Hitze als die Tatsache, dass wohl vor mir kaum jemand den Weg gegangen ist und ich an meinem GPS Track klebe und das Handy schnell leerlutsche. Dennoch kennen Bauern und Beduinen alle den Weg und weisen mich auch gern mal lautstark quer über ein Tal hinweg an, wenn ich abseits laufe. Es macht mich langsam. So langsam, dass ich beschließe, dass ich heute keine 22,6 km bis Bayt Idis laufen will, sondern nur bis Pella, einer weiteren antiken Ausgrabungsstätte. So hab ich wenigstens Zeit sie mir ohne Stress anzuschauen. Dafür habe ich extra Extratage eingeplant, extra. Nur Wohnen wird irgendwie schwierig. Nur ein Hotel, das für die Nacht 110 JOD haben will. Das sind ja 150 Euro. Hmpf. Zur Not... aber ich vertraue mal auf mein stetes Wanderglück und buche erstmal nicht. Vielleicht gibt's ja Joghurtpöttchen mit Bett und Dusche drin? Gegen 15 Uhr erreiche ich triefend nass das Visitor Center der Ruinen oberhalb des Ortes Pella. Davor singen drei Polizisten vor sich hin, sehen mich und freuen sich. Ab in den Schatten mit mir, Handschlag, bitte hier hinsetzen. Da hast du nen jordanischen Espresso ohne Zucker. Au weia. Ich und Kaffee. Na gut, der Gastfreundschaft halber runter damit und dann viiiel Wasser hinterher. Wir kommen ins Gespräch. Die drei heißen Ahmed, Ibrahim und Firas. Sie sind von der Touristenpolizei. Wir kommen ins Gespräch und irgendwie scheinen sie mich zu mögen. Firas kann gut Englisch. Er hält viel auf seine drei Sternchen am Revers. Er hat auch standesgemäß drei Frauen. Ich hab nur eine. Er lacht. Damit kokettiert er nicht das erste Mal vor uns prüden Europäern. Drei recht schmallippige Belgier kommen angefahren. Sie wollen auch Ruinen gucken und erwarten freien Eintritt, weil sie so nen Jordan Pass haben. Sie kommen rein, sind aber irgendwie keine Freunde.
Ich darf hier im Eingang gern meinen Schlafsack ausbreiten, meint Firas. Ich will aber eine Dusche. Kein Probelm, Firas kennt da ein Hotel in Pella für 20 JOD. Genial. Nehm ich. Er nimmt mich auch mit runter in 45 Minuten, dann hab ich moch Zeit die Ruinen anzuschauen bis 16:15 Uhr Allah angerufen wird, dann hat er nämlich Feierabend. Ich darf auch umsonst rein, weil ich jetzt hingegen jetzt ein Freund bin. Und Freunden gibt man bekanntlich ein... Freiticket. Da ist mein Wanderglück wieder. 90 JOD und Eintritt gespart durch Quatschen mit der Polizei.
Die Ruinen sind zwar nicht so opulent wie in Umm Qais, aber immer noch beeindruckend. Eine byzantinische Kirchruine, Wohnhäuser und ein Theater. Nicht für 4000 Leute wie das von Gadara, aber immerhin 400. Da nehm ich doch mal auf der Upperclass-Tribüne für ein Selfie platz, hier sitzt Upper ja immer unten.
Allah wird schallend über die Berge gerufen. Firas hält sein Wort und fährtich hinab. Das Hotel liegt verwikelt irgendwo in einer Gasse und sieht ungeschönt aus wie eine Bauruine. Davor ein China-Reimport eines VW ID.6 Crozz, der den Wert der Immobilie wahrscheinlich mehrfach übersteigt. Firas hupt. Ein schläfriger Typ mitte Dreißig guckt raus. Ein paar arabische Worte später bekomme ich ein etwas zögerliches "Welcome". Er ist sichtlich erstaunt und will Firas gleich zum Essen dafür einladen, der dankend ablehnt. Das Gebäude sieht zwar aus als wenn Leander ein Legohaus mit dem baut, was noch übrig ist, aber es ist tatsächlich ein Hotel mit vier Zimmern. Ich bekomme Frühstück und Abendessen und Zimmer 1... neee lieber Zimmer 2. Da geht das Licht nicht. Ääääh... oder doch eher 3, da geht die Toilette nicht. Er ruft mich zum Essen um Sieben. Ich will duschen, drehe die Dusche auf, 500ml Wasser, dann ist schluss. Toll. Ich gehe zu seiner Haustür, klopfe. Eine Frau fragt von Innen, wer da ist, "Salam" sag ich und sie verschwindet ohne sich zu zeigen, um ihrem Mann den Vortritt zu lassen. Ich erkläre die Situation. Er checkt bei sich in der Küche. Auch nur noch heiße Luft. Es stellt sich heraus, dass der Wassertank auf dem Dach leer ist. Wie soll er da mein Abendessen machen?! Da wird er aufgeregt und bestellt gleich den Wassermann herbei zum Auffüllen. Eine halbe Stunde später kommt ein alter, grüner LKW. Ein Schlauch wird an einem Seil auf's Dach gefädelt, eine Dieselpumpe pumpt das nasse Zeugs in den weißen Tank. Wasserleitungen gibt es hier nicht und ich bezweifle, dass dieses Etablissement in den letzten Jahren... Jahrzehnten?... einen Gast gesehen hat. Aber ich bin hier, und ich hab die Nummer des Polizisten. Das zeigt, glaube ich, Wirkung. Ich musste auch meinen Pass geben für die Unterlagen, entschuldigt sich der Besitzer, weil ja die Polizei weiß, dass ich hier bin und so. Das Wasser pumpt und pumpt... es stinkt nach Abgas durch das Moskitonetz meines nicht verschließbaren Fensters. Da kann ich ja schonmal was schreiben im Salon des Hauses, geschmückt mit einem stark verblichenen Norwegenposters, das ein Kreuzfahrtschiff in einem Fjord zeigt, daneben ein noch verblichenerer, jordanischer Prinz. Wie das Poster nur hierhin gekommen gelangen konnte...
Zum Essen werde ich ins Haus gebeten. Bis es fertig ist, sitze ich mit den Freunden des Besitzers im Hof und werde gebeten Wasserpfeife mitzurauchen. Und wieder gibt es nen jordanischen Kaffee. Nadenn, auf die Gastfreundschaft, wenigstens rauchen sie Limo, dem Geruch nach. Die Frau ist fertig und bittet mich in perfektem Englisch ins Wohnzimmer. Eine scheue Tochter schaut um die Ecke, ein weniger scheuer Sohn heißt mich einmal mehr in Jordanien willkommen. Es gibt Reis, Hähnchenkeule und Salat und davon viel. So verbeult wie das Hotel aussehen mag, das Wohnzimmer könnte das Empfangszimmer im Palast des Königs darstellen. Ein gewaltiges Sofa bietet Platz für mindestens 20 Leute und umrahmt drei Beistelltische. Spiegelglatte Fliesen, kaltweißes Licht. Es hat was von einem Tanzschulsaal.
Nach dem Essen zeigt er mir sein Auto. Ein E-Auto. Das seiner Freunde ist auch eins. Überhaupt fahren viele E-Autos durch Jordanien. Er erklärt mir, dass die Regierung sie massiv fördert gepaart mit PV-Anlagen. Weg vom Öl sei die Devise. Das macht hier seeeehr viel Sinn. Er fragt, wie es für mich weitergeht. Irgendwann zum toten Meer sage ich. Er klärt mich auf, dass ich eher von den Bergen aus hinab zum Meer absteigen soll später, sonst würde ich gerade von den Kindern als Israeli angesehen und mit Steinen beworfen werden, gerade mit den langen blonden Haaren. Sollte das die Erklärung für gestern sei? Wahrscheinlich ist es. Er meint, gerade Jugendliche sind sehr versaut durch soziale Medien, die Israel wegen Netanjahu und des Gaza-Konflikts in äußerst schlechtem Licht darstehen lassen. Und da ich mit meinem blonden Zopf sehr westlich aussehe, komme ich natürlich aus dem Nachbarland. Er rät mir dringend das jordanische Tuch um den Kopf zu tragen. Als ich ihm sage, dass ich ein 44 Jahre altes, schwarzweißes Tuch von meiner Mutter habe, die 1979 mit mir im Bauch hier war, schüttelt er energisch den Kopf. Das ist das Palästinensische. Ich brauche das rot-weiße Tuch, dann lieben mich auch die Kinder, weil ich damit ja Jordanien meine Liebe gestehe. Bekomme ich am Kreisverkehr in Bayt Idis für 3 JOD. Puh, dann war der Gedanke meine Haare zu verstecken instinktiv der richtige. Zeichen über Zeichen. Ich merke, dass die Frage nach Name und Herkunft bei den Kindern weniger eine freundliche Geste und mehr ein Abchecken sein könnte nach einem sehr simplen Algorithmus:
If $reponse != "Israel" then $reply = "Welcome to Jordan" else ThrowStone($size = "Orange").
Muss das Tuch morgen wohl testen, um das zweite Problem von gestern zu lösen. Mehr als gesteinigt werden kann ich ja nicht.