Oliver

24.08.2016 Cloghane

  

Mann haben wir ein tolles Frühstück bekommen. Mit Pancakes. Njam njam. Davon haben wir ne Menge verspachtelt, denn schließlich steht der Mt. Brandon auf dem Plan. Kathys Haus ist klasse. Würde am liebsten einziehen. Vieles vom Boden bis zur Decke und die Möbel sind aus Holz. Da kennt sie sich aus. Damit hantiert sie beruflich. Ürsprünglich kommt sie aus Chicago und hat dort auch ihren Mann Shannon kennen gelernt, bevor beide vor 20 Jahren hierher gezogen sind, um ihre 5 Kinder groß zu ziehen. Shannon spricht wenig und wenn, dann ein paar hastige Brocken stark akzentiges Englisch. Er erklärt uns beim Verabschieden den Weg hinauf und es geht los. Aber wir sollen nicht vergessen uns zu melden, wenn wir heiraten! Vielleicht wäre ihr Zimmerchen ein tolles Flitterwochenziel? Na klaaaar!
650m geht es hinauf auf ein Joch unterhalb des Mt. Brandon, der mit seinen 950m durchaus eine imposante Erscheinung hier ist. Irgendwann wird es kalt, windig und wir können die Wolken anfassen. Es ist glasklare Luft heute und wir können bis Skellig Michael zurückblicken, wo wir vor mehr als einer Woche in Waterville bereits waren. Auf der Kimme schließlich offenbart sich uns die komplette nördliche Küste bis hinunter nach Tralee, wo der Dingle Way offiziell beginnt und endet. Ich kann genau sehen, wo es morgen und übermorgen langgeht. Gewaltig sieht das aus. Auf meinem Gerät sieht die Halbinsel immer so klein und berechenbar aus. Zwei Wanderpärchen, die uns gestern schon begegnet sind, überholen uns, beide Mitte 20. Beim einen Pärchen käbbelt er sie, bis sie genervt ist. Er hingegen kann es überhaupt nicht ab, wenn sie ihn antreibt, weil er zu langsam ist. Da wird er zickig und fühlt sich gegängelt, vor allem in unserer Hörweite hat sie das bitte zu unterlassen. Wir lassen sie schön überholen. Das zweite Pärchen macht uns konditionstechnisch mal so richtig einen vor. Beeindruckend, wie schnell sie den Bergkamm erreichen. Sie ist drahtig und trägt eine von diesen Cheerleader-Hotpants, die eine ganze Menge Bein preisgeben. Viele kleine Irinnen haben die hier auch an, egal wie kalt es ist, egal wie stark der Regen peitscht. Der Unterschied ist, sie hier oben hat dafür die adäquate Siebenmeilenarchitektur, die 2m lange Schritte offensichtlich zulässt, so schnell wie sie vor uns hochmarschiert. Ihr Begleiter ist ein Vollbart-Bär mit ein paar Rock-am-Ring-Bändern am Handgelenk, der ihr in Sachen Kondition in keinem Deut nachsteht und uns wieder ein schnelles "Hi folks! How're ewe doin'?" zuschmettert. In so perfektem irischen Stil macht er das, dass er sich schon gestern beim ersten Mal beim Stop&Shop sofort als deutscher Student enttarnt hat. So irisch grüßt kein Ire. Es wirkt abgeguckt lässig. Sag nächstens doch "Hello!" und ich kann dich als einen der Iren annehmen, denk ich mir.
Der Weg hinunter ist eine einzigartige Matschpartie. Juhuuuu. Mit jedem Schritt spritzt der Torfsaft bis hoch ins Gesicht. Gern versenken wir auch mal unsere Glieder bis zum Knie in Torflöcher. Das ist nach dem 8. Mal ja so unglaublich nett, dass wir dabei die schönsten Fekalschimpfworte erfinden, die der Mt. Brandon je vernommen hat. Anders hält man das nicht aus. Das ist mühsam und nach 5 Stunden haben wir so tatsächlich 5km Weg vollbracht. Und Hunger macht sich breit. Die Pancakes sind bei den vielen Torflochbefreiungsakten restlos verbraten worden. Der Weg will am Ende der Bergroute noch lauter Zickzackkurse an der Küste entlang machen. Wir aber nicht und gehen direkten Weges auf der Landstraße bis Cloghane, unserem heutigen Etappenziel. Ein Pub im Stil von Villa Kunterbunt. Und wir haben jetzt Huuuunngerrrr! Und es gibt hier Burrrrrgerrrrrr. Yeeeaaaaaahhhrrr! Njamnjam.
Im Pub unter unserem Zimmer begegnen wir allen Wegbegleitern wieder. Frances ist etwas genervt. Ich bin auch abgeneigt. Und gleichzeitig frage ich mich warum. Sie haben uns doch nichts getan. Sie erzählen sich in unseren Ohren nur irgendwie so "unreife" Dinge und es wirkt doof. Aber ist es doof? Oder bin ich vielleicht nur neidisch auf die Begeisterungsfähigkeit? Der Vollbart-Bär spielt mit seiner Drahtfreundin Teekesselchen und ich ertappe mich dabei, wie ich mitraten muss. Sie sehen mich und wundern sich darüber, dass ich es mit den Schlappen über den Berg geschafft hab. Man kommt ins Gespräch. Und Frances stellt fest, dass es sich viel schöner lebt, wenn aus Bärmann und Drahtfrau Julian und Leonie werden. Das ändert alles. Er wirkt ein wenig aufgedreht und scheint abenteuerhungrig. Sie hat Spaß und quatscht Iren nach einem Scrabble an. Er erklärt mir, wie außergewöhnlich er es findet, dass sich abends alle in den Hostels wiedersehen. Das wäre einmalig auf dem Weg... Einmalig für dich, denke ich mir und begreife im gleichen Gedanken, dass er nicht doof sondern jung ist. Er erinnert mich an mich, Version 2004, als ich mit Corinna das erste Mal den Jakobsweg beschritten habe. Was war das nicht einmalig! Das gab's nur da. Nein, das gibt's überall, wo Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen. Das kann ein Weg sein, ein Hobby, eine Religion, eine Leidenschaft. Das sind alles Wege. Die Kunst ist, den Menschen darüber hinaus zu erkennen, bevor der Weg sein Ende findet. Sonst entschwindet die Verbindung ebenso schnell, wie das Flugzeug gen Heimat steuert.
Wir sind schlicht 12 Jahre älter als die beiden und das ist im Grunde schon eine halbe Generation. Das vergessen wir beide tatsächlich manchmal und stempeln es zu schnell als doof ab. Das wird uns gerade bewusst. Also packen wir unsere selbstherrliche Arroganz wieder ein und lösen mal ihr Teekesselchen mit. Mittlerweile hab ichs erraten. Ich schreiben ihnen die Lösung auf einen Bierdeckel für später. Selber erraten macht mehr Spaß!
Der Barkeeper erhebt sich. "Who's german down here?" Alle zeigen auf, außer einer. Oh gott, was denkt der wohl. Er findets amüsant. Bei der Überpräsenz an Deutschen bekommen wir einen Abriss über die Geschichte des Mt. Brandon. 4 Flugzeuge sind hier in den 40ern abgestürzt. Die Geschichten endeten alle recht wunderlich und im Dorf werden noch einige Wrackteile ausgestellt. Direkt vor dem Pub liegt ein alter Sternmotor eines deutschen Aufklärers aus den 40ern, der sich im Nebel verirrt hat und auf den feuchten Hängen des Mt. Brandon statt eines Crashs eine butterweiche Rutschpartie hinunter hinlegte. Siehste, so hatte der Torfmatsch doch tatsächlich sein Gutes gehabt. Alle überlebten den Absturz und wurden wegen dem Krieg schlicht Iren. Der Sohn des Bruchpiloten fliegt heute bei Aer Arann Islands.