Sendero Circular de El Hierro

23.04.2024 Parador

  

Der Tag beginnt mit dem Einlösen eines Versprechens. Gestern Abend hab ich Leander felsenfest versprochen, dass ich mit ihm auf jeden Fall noch schwimmen gehe, wenn wir ankommen. Aber es konnte ja keiiiiner aaaaahnen, dass er uns im Auto einfach einschläft! Also müssen wir das natürlich jetzt nachholen, zumal heute Morgen auch die Flut kommt und das Mikrosträndchen mit Wasser umspielt wird. Leander findet seinen alten Stock von vorgestern wieder. Stöcke sind wichtig. Mal simd sie Messer, mal Fernrohre, mal Wasserbesen... und wehe, man schmeißt sie weg. Er wird sie vermissen und es jämmerlich beklagen, sodass man als Eltern auf die Suche nach DEM Stock geht, bis man am Stock geht. Also lässt man ihm besser die Stöcke, bis sie zu Scheiterhaufen anschwillen.
Das Servicemobil liftet uns zurück ins 1000 Meter höher gelegene Taibique. Leander ist durch die Wanderungen mit Mama soweit an die Insel akklimatisiert, dass wir jetzt hinab zu unserem nächsten Ziel, dem hiesigen Parador Hotel, gemeinsam absteigen wollen, während Frances schonmal hinunterfährt. So starten wir in den Wolken. Der Weg führt am Ende der Ortschaft hinab in einen der typischen Wanderwege, der ungewöhnlich vielseitig beblümt einen süßlichen Duft mitsich trägt. So geht es ein altes Flussbett entlang bis direkt zur Klippe, an der unser Weg sich 900 Höhenmeter steil hinab zum Meer hin abfällt. Jeder Schritt muss bedacht sein. Was für mich mittlerweile Routine ist, bei der ich mich noch nie ernsthaft verletzt oder hingekegt hab, bin ich bei Leander froh, dass wir ihm lange Sachen angezogen haben. Es ist ein steiler, alpiner Abstieg. Das kennt Leander nicht. Und er konzentriert sich nicht, alles drum herum ist spannend. Und so legt er sich ein paar dutzend Male hin. Dejà vu vom Skifahren. Hinfallen gehört dazu, stimmt es? Ja schon, nur dass das für mich zu viel Stehwandern wird. So kommen wir nie an. Irgendwann nach einer Stunde rumfallen geht mir die Geduld gehörig abhanden und ich fahre ihn scharf an. Mittlerweile kenne ich ihn gut genug und ich weiß, dass er sich schlicht nicht auf den Weg konzentriert und ständig Faxen. Mit Erschöpfung hat das nichts zu tun. Auch das wiederholt sich: ich muss erst einmal platzen, bevor auf einmal der Fokus auf den Weg ausgerichtet wird und komischerweise 3 Stunden lang trotz intensivem Redebedürfnis seinerseits gar nichts mehr passiert und er quasi hinfallfrei unten ankommt. Gut gelaunt kommen wir am Meer an und ich bekomme die ernüchternde Erkenntnis von einem der dunkelroten Schilder mitgeteilt, wie ich sie schon so oft wahrgenommen habe auf all den Inseln: Herzlichem Glückwunsch! Sie waren genau 6 Stunden lang abgestiegen und haben 2,3 Kilometer Weg zurück gelegt. Yeah! Gut, 1 Km Höhe kommen noch drauf, aber wenn man Strecken plant, kann das ganz schön demontieren. Heute ist es mir egal. Leander hat 6 Stunden durchgehalten. Fehlt nur noch der letzte Kilometer zum Hotel. Frances hat schon eingecheckt und wir gehen durch einen der Korridore zum Zimmer 206. Da passiert es. Ist das Sarkasmus? Leander fällt über den weichen Flurteppich und reißt sich seine Kniewunde wieder auf. Da laufen wir den irresten Steilweg 6 Stunden hinab aber ein Hotelteppich wird zum gefährlichen Hindernis? Geil!
Uns ist eigentlich nach Schwimmen zumute. Problem nur, der Pool ist leer, weil die Terasse vom Meer teilweise unterspült wurde und schräg abgesackt ist. Also gehen wir gleich in ein Restaurant essen, das zwei Minuten mit dem Auto entfernt ist. Ich bin verwundert. Hier unten wohnt kaum ein Mensch, aber der Laden ist voll. Wir bestellen die Karte rauf und runter und Leander ist jetzt mutig genug geworden, seine Sachen vorn an der Theke auf Spanisch zu ordern und alles zu essen, was Augen und Saugnäpfe hat. Er braucht dringend eine Pajita, eine Fanta Limón und zum Schluss natürlich La Quenta.
Nichts ist los im Parador. Wir haben ein Zimmer am Meer, lassen in der Nacht das Fenster auf, sodass Leander bei Meeresrauschen seine ausgedachte, interaktive Einschlafgeschichte vom Sterndachs bekommt. Und, Leander? Morgen nichmal den Weg? "Wenn du willst?" Nee, morgen steht die letzte Etappe an zurück zum Fährhafen. Da machen wir noch eine gemeinsame, leichte Küstenwanderung mit Bällebad als Finale.