Sendero Circular de El Hierro

21.04.2024 Taibique

  

Heute will ich Strecke machen, wenn mein Fußwerk wieder rund läuft. Mir bleibt auch kaum etwas anderes übrig, denn dke Strecke geht entlang der Südküste auf etwa 1000 Höhenmeter bis Taibique, von wo aus eine Straße bis zur Südspitze und nach La Restinga führt, unserem zu Hause für die nächsten zwei Tage. Wir frühstücken noch Reste und brechen auf, wieder einmal zur Emerita, nur breche ich diesmal in Richtung Osten auf.
Der Sendero Circular verläuft hier parallel einer kleinen Straße und ich beschließe der Einfachheit halber auf dieser zu bleiben, weil ich barfuß zügig vorankomme und die Sehne schonen kann. Frances hatte Bedenken, weil sie so schmal ist, aber niemand fährt hier. Während der nächsten 5 Stunden laufe ich durch den Fichtenwald und begegne vielleicht 10 Autos. Hätte mit mehr gerechnet in Anbetracht dass Sonntag sind. Die Luft hat sich im Laufe der Woche stetig abgekühlt auf jetzt noch 23 Grad Kein Vergleich zum ersten Tag hier. Ich verbrauche faktisch gar kein Wasser und komme auch nicht ins Schwitzen. Es regnet sogar einmal kurz. Wenn ich bedenke, dass zu Hause gerade Schneefall bei 0 Grad angesagt ist... egal. Wenn wir am Samstag wiederkommen, sollen es wieder 20 werden. Das war natürlich songeplant.
Leander und Frances zieht es wieder in die Berge, "die Blaue Route" laufen, einen 8-Kilometer-Marsch. Das passt perfekt und wir können kommen ziemlich zeitgleich in Talbique an, um gemeinsam zur Küste zu fahren. Schon Luxus. Alleine hätte ich kaum eine Möglichkeit gehabt, doethin zu kommen, zumal kaum Busse und Taxis fahren.
Ich habe uns ins Hotel Sur Restinga eingebucht. Wobei... das war mal ein Hotel. Es ist extrem wettergegerbt und verfügt über einen funktionslosen Fahrstuhl, dem die Edelstahltüren wegrosten. Salzgischt ist aggressiv. Unser Zimmer im Türmchen des Hotels ist das glatte Gegenteil, voll durchrenoviert mit drei Balkons zu allen seiten. Wir blicken mitten ins Hafenbecken und die Promenade. Sogar ein Mikrosandsträndchen ist hier. Aber naja, man kann knietief planschen, bevor Absperrbojen die Hafenanlage abgrenzen. Wir wollen eigentlich sofort essen. Alle haben Hunger. Von der Promenade schwallt Klaviermusik herüber. Debussy, stellt Feances fest. Verdammt gut gespielt. Na gut, auf in Richtung Musik. Dort gibts vier Restaurants.

Tatsächlich spielt ein Straßenmusiker mit krausen grauen Haaren an der Hafenpromenade Klavier auf einem zusammenfalt- und rollbaren Klavier und zieht jeden Passanten in den Bann. Unser erwähltes Fischrestaurant ist gleich nebenan, was mich freut. Wir bestellen und ich gehe, solange alles zubereitet wird, rüber zum hören, bis Leander mich schließlich heranzitiert.
Beim Essen beobachte ich ihn und versuche die Wirkung auf die Leute zu interpretieren... Eine offensichtlich angetane Deutsche gesellt sich zu ihm in einer großen Spirale, in der sich der Pianist im Mittelpunkt befindet. Scheu überwinden. Dann spricht sie ihn schließlich lobend an. Er kommt aus Frankreich, reist über die kanarischen Inseln mit dem Klavier. Spielt mal hier, mal da, um des Spielens willen. Aus dem Gespräch wird Fachsimpelei, in der sie versucht ihr Nicht-Vermögen näher zu spezifizieren. Irgendwann sitzt sie selber an der Tastatur, spielt drei Töney traut sich nicht. Bekommt Zuspruch von ihm. Trinkt lieber erstmal ihren Baileys mit Eis aus. Er spielt solange weiter. Weitere Leute setzen sich rund um ihn herum auf Mauer und Bänke. Gespräche miteinander entstehen rund um die Musik und Pianisten quasi wie ein Kontaktkatalysator. Man stellt fest, dass es mehr miteinander zu erzählen gibt. Gesprächsgrüppchen bilden sich heraus und wenden sich gegeneinander zu, bis der Pianist wieder allein spielt. Die Frau, sichtlich belebt, traut sich schließlich und spielt was, während der Pianist woanders das Gespräch sucht und auf einmal ein Rollentausch stattfand. Ein sich gefundenes Grüppchen aus jungen Leuten zieht weiter entlang der Straße. Ein Mädchen mit einem viel zu großen Fußballtrikot, das als Behelfskleid fungiert, wirft Geld in einen ans Klavier gesteckten Kescher mit der Aufschrift "Merci" und einer aufgezeichneten Klaviatur, die vom Wind davongeweht wird. Das Geld kommt von einer Gruppe Einheimischer im Fischrestaurant. Darunter auch die Frau, die uns ins Hotel eingecheckt hat. Sie sieht Leander und begrüßt uns herzlich.
Ich finde es spannend zu beobachten, wie eine Kuriosität wie dieser Pianist in kürzester Zeit völlig unterschiedliche Menschen zueinander und ins Gespräch bringt. Das alles hat vielleicht 30 Minuten gedauert. Ohne ihn wäre vielleicht niemand weiter in Kontakt getreten und für sich geblieben. Aber noch etwas fällt mir auf. Deutsche sind schon echt kartoffelig im Ausland. Man erkennt uns vom Weiten... an der unlockeren Haltung, an der unsicheren Distanzwahrung zur Umgebung, am Haarschnitt, an geschmacklos kombinierter Trekkingkleidung.
Wir sind gesättigt. Der Klavierspieler packt auch zusammen. Leander will eigentlich noch schwimmen gehen, weil er hat heute ja noch nicht. Wir können ihn gerade so davon überzeugen, dass ein Spaziergang auf der Hafenmauer auch spannend ist. Also machen wir das. Am Ende der Mauer steht ein Rettungsschnellboot. Dahinter einige weiße Zelte vom roten Kreuz, die zu einem Schlauch verbunden wurden. Ein paar Leute sind hier wie auf Abruf beschäftigt. Ein Schild an den Zelten bestätigt meine Vermutung. Es ist eine Delegation Rettungskräfte, die bereitstehen, falls Flüchtlinge von Afrika aus übersetzen sollten. Seit Anfang 2023 kamen mehr als 20.000 auf El Hierro an, obwohl es die entfernteste Insel ist. Sie werden hier in La Restinga in einer improvisierten Sammelstation aufgenommen und erstbehandelt. Heute bleibt es ruhig. Wir schlendern zurück zum Hotel. Ab ins Bett bzw. den morgigen Tag planen.