Sendero Circular de El Hierro

13.04.2024 Familienteide

  

Ich wache auf mit kräftigen Nackenschmerzen. Puh, so ein Billigsofa schlaucht. Eine Ibu 400 später kann ich wieder geradeaus gucken und gehe zum HiperDino nebenan, Baguette holen, während Frances und Leander sich langsam organisieren. Bei Leander heißt das vor allem, nackig am Balkon stehen und den Passanten das neu erlernte "Hola!" zuzurufen, die es mit überrascht erfreutem Lachen erwidern. Danach muss dringend eine Katerhöhle gebaut werden. Leander ist Kater und wir müssen die Besitzer rollenspielen. "Leander Zähneputzen!" sag ich. "Miaaaauuuu!" sagt er und verzieht sich weiter in seine Höhle. Da kann man nur noch eins machen: Volle Kanne durchkitzeln, bis er nicht mehr weiß, wohin mit seinen Gliedmaßen. Das Ganze wiederholt sich mindestens noch drei bis vier mal, bis schließlich Ungeduld die Entspanntheit der Eltern aufsaugt. Irgendwann wird's laut. Ich sag, ich werde laut, bevor ich genervt bin. Dann habe ich auch immer die Möglichkeit wieder auf Freund unzuschalten, ohne dass etwas doofes oder Gemeines passiert. Das wäre dumm und gerade jetzt auch schade, denn der Tag ist nicht irgendein Tag. Wir nehmen unseren roten Flitzer und düsen hinauf zum Teide. Bislang war Frances mäßig Begeistert vom Insel-Ersteindruck. Die Urabizacion, in der wir nächtigten, war eine typische Spaßmeile im britischen Stil mit Animation in den umliegenden Kaffeebars, die einen Einheitsbrei aus mit Gesang und Klampfe dargebotenen Klassikern der Pop- und Rockgeschichte der Leute, die die 70er und 80er "Ihre Jahre" nennen. Für Jüngere wie uns hat sich die Vorstellung von Urlaub sehr gewandelt, vor allem durch die Möglichkeiten des Internets. Wir sind nur heute hier und das ist gut so, verspreche ich Feances. Wir werden vier habitable Zonen durchqueren, bevor wir schließlich im feuchten, touristisch nur individuell erschlossenen Norden für unsere nächste Unterkunft wieder absteigen.
Es geht hinauf. Erstmal den Smog hinter uns lassen. Schon gestern konnte man vom Flugzeug aus nichts von der Insel erkennen, außer eine kleine Spitze des Teides. Alles liegt im Dunst. Das muss der Saharastaub sein, der zur Zeit bis Deutschland weht. Man konnte gestern Abend im Zwielicht am Strand deutlich eine gelbe Wolke über dem Meer erkennen. Und unser Auto ist jetzt auch mit gelbem Staub benetzt. Wir erreichen irgendwann die Baumuntergrenze des Corona Forestal. Die gibt's hier, weil es darunter zu trocken ist und die Wolken bis zur Küste hin schon längst verdunstet sind. Der Wald ist herrlich und mir kribbelt es in den Beinen. Zu sehr verbinde ich diese Landschaft mit laufen, dass es mir schwerfällt, es nicht zu tun.
Wir machen eine Pause im Wald. Es ist still, die Luft trocken, aber die Sicht auch ohne Wolken vernebelt. Frances Laune ändert sich sofort. Das hier ist das Teneriffa, das ich vor zwei Jahren unter Schmerzen kennen gelernt habe. Davon darf es mehr geben. Schließlich umfahren wir die Berge des Hochplateaus und schauen direkt auf den Teide mit dem Lavafeld. Nur dass der Teide kaum zu sehen ist. Wir lassen die ganzen Hotspots für Fotos links liegen und ziehen direkt zur Seilbahn. Karten hatte ich schon lange zu Hause gekauft und im November auch die Zugänge für den Gipfel klar gemacht. Ob das alles so klappt? Es kann, sagt Frances. Es MUSS!, sagt Herr Bunt! Jawohl! Auf jeder Insel hatte ich ihn bislang in den entlegensten oder prominentesten Ecken posieren lassen. Aber vor zwei Jahren habe ich ihn schlicht vergessen! Das geht nicht!... sagt er. Ich muss mich fügen und hoch auf den Gipfel. Aber ich hoffe natürlich darauf, dass die Erfahrungen mit Leander im Wald seines Kindergartens auf hier übertragen lassen.
Und Leander ist begeistert. Eine Doppelmayr Gondelbahn für 45 Leute! Boaaah! "Ich will aber oben sitzen!" Leander, das ist kein Doppeldecker. Oben angekommen geht er wie selbstverständlich irgendwo hin los. Wir müssen ihn einfangen wie Schäfer die Herde. Eine Herde bestehend aus einem lauten Kater, der immer schlechter hört, je mehr er begeistert ist. Miiaaauuuuu! Aber er merkt schnell, dass Papa Recht hat, wenn es ums Pausen machen geht. Die Luft ins 3700 Metern Höhe ist aehr dünn, vor allem am ersten Tag und dann gleich von Null auf den höchsten Berg Spaniens. Und dann auch noch feuchte Löcher, aus denen es nach Eiern riecht! Lwander ist nicht amüsiert über Eierlöxher, auch nicht nach meiner Erklärung, dass diese Löcher nur bei aktiven Vulkanen existieren. Ee will weiter hoxh. Aber auch mir ist schwindelig ob der Höhe. Frances hingegen freut sich. Kein bisschen Höhenangst macht ihr zu schaffen. Und so erreichen wir alle drei bedächtig aber stetig das Ziel in Form des goldenen Punkt am oberen Kraterrand. Herr Bund ist schon ganz zappelig vor Freude und Kater Leander hilft ihm an den goldenen Podest. Geschafft! Alle vier! Der Ausblick ist ernüchternd durch den Sandnebel. Aber das macht nichts. Wir alle sind hier, als Familie, und das zählt.
Abwärts ist einfacher, stellt Leander fest. Wir alle haben vermeintlich unpassendes Schuhwerk an. Aber das ist relativ. Leanders Sockenschuhe lassen ihn spielend und ohne Hilfe rauf und runter kommen. Meine Sohlen mit Strick dran sowieso. Frances Allwetterschlappen schaffen es auch mühelos. Das macht Vorfreude auf El Hierro.
Zum Abendbrot gibts Fischeintopf, Salzkartoffeln und Pizza im El Papillon am Nordrand des Nationalparks. Leander bekommt eine Fanta Limon. Lecker! Aber wo ist der Strohhalm? Was heißt "Ich brauche einen Strohhalm" auf Spansisch, fragt er. Wir üben "Necesito una pajita.". Aber das Fragen fällt schwer. "Papa, mach du das, ich hab Angst!" Papa macht aber nicht. Nach vielem hin und her überwiegt das schier unmenschlich drückende Verlangen nach dem Halm hnd er steht auf, geht zum Kellner. Formuliert seinen Satz und bekommt ein "Si! Pajita!" zurück. Getaner Dinge kommt er zurück und muss vor Erleichterung erst einmal weinen. Das war zu viel Mut. Aber es war mutig! Sehr sogar. Und als der Pajita dann auch noch gebracht wird, ist da einer aber mächtig stolz auf sich.
Es wird Abend. Und weil ich heute Leander endlich den Pool versprochen habe, fahren wir schnell abwärts zur Nordküste. Leander hört Petersson und Findus. Die Folge mit dem Hahn, der nicht krähen darf. Immer und immer wieder, wähtend die Landschaft sich vor seinen Augen wieder verändert in Richtung Dschungel. Aber der Corona Forestal hat hier durch die kürzlichen Waldbrände mächtig gelitten. Kilometerweit ist alles schwarz verkohlt. Immer wieder erschreckend, wenn ich bedenke, dass ich vor zwei Jahren hier noch durchgewandert bin.
Unsere heutige Unterkunft liegt inmitten von Bananenplantagen und gehört einem deutschen Auswanderer, der sehr darauf bedacht ist, mir alles Notwendige fünf mal zu erklären. Es wirkt sehr pedantisch, aber er kann augenscheinlich auch nicht anders und bleibt mir sympathisch. Hier ist der Pool. Leander quiekt vor Glück. Und ein Jacuzzi! Leander explodiert vor Glück. Es wird geplanscht und geblubbert, bis die Zeit vergessen ist. Das ist hier nicht schwer.
Und so geht ein herrlicher, eindrucksreicher Tag zuende. Frances bringt Leander ins Bett und schläft daneben gleich mit ein. Ich hole meine halb gefrorene Clipper Fresa aus der Gefriertruhe und husche damit im Mondschein noch einmal zum Jacuzzi, um all das, eingeweicht bei 37,5 Grad, aufzuschreiben und meine Alleinzeit zu haben. Das letzte Mal saß ich auf Lanzarote in so einem Teil. 3 Jahre ist das schon her...