Circular de Gran Canaria

23.05.2023 Maspalomas

  

Ich ziehe die Vorhänge zur Seite und schaue zu, wie sich auf der gegenüberliegenden Seite die Sonnenstrahlen die Bettenburgenfassaden herab ergießen. Ich will hier nicht mehr sein und breche sofort auf. 30 Kilometer liegen vor mir, bis zur Südspitze Gran Canarias. Und der Weg wird mühselig. Es ist ein Wechsel von Bettenburgenbuchten, gefolgt von Felsmassivüberquerungen auf der stark frequentierten GC 500 entlang der Küste. So durchquere ich die Buchten von Puerto Rico, dann Patalavaca, dann Arguineguín und El Pajar. Die Bettenburgen übertreffen sich gegenseitig in Breite und Höhe. Hier wird massenhaft Billigurlaub gemacht und ich kann nicht im Ansatz begreifen, worin hier der Reiz liegt. Ich sollte Interviews machen. Die Poollandschaften sind voll wie Schwimmbäder zur Hochsaison. Die Strandpromenade ist eine rot getünchte Fleischparade bierbäuchiger Renter und ihrer Gattinen. Selfies vor dem Meer und den Betonblöcken, die die Küste vor der Abtragung schützen. Aus Lautsprechern dröhnt in regelmäßigen Abständen eine Stimme, die davor warnt, Alkohol mit an den Strand zu nehmen und droht bei Zuwiderhandlung mit Polizei. Nach einer knapp 15 Kilometer langen Bettenburgenkette in mindestens drei Reihen hintereinander hört das Spektakel abrupt auf. Die GC 500 schlängelt sich durch eine nahezu unbewachsene Felsebene, die wie ein Flickenteppich in hunderte Rechtecke eingeteilt ist, als wenn hier einer Landwirtschaft betreiben wollte. Aber es wächst nichts.
Weitere 8 Kilometer später erreiche ich einen gewaltigen Golfklub. Mit einem Schlag sind die Hänge grün. Was muss das für ein CO2-Abdruck sein, den diese Anlage erzeugt. Gras würde hier niemals von selbst gedeihen.
Dann beginnt die Promenade von Meloneras. Eine Art doppelte Kirchturmspitze taucht auf. Hier unten ist tatsächlich ein Ort mit Kirche? Je näher ich herankomme, desto mehr entpuppt sich die Kirche sowie auch die authentischen Bauten ringsum als Fake bzw. als Themenpark eines Luxusresorts. Überhaupt ist der Küstenteil das Gegenteil des Billig-Massentourismus davor. Das hier ist Edel-Massentourismus. Die Gebäude sind allenfalls noch dreistöckig und ergeben ein dezent aufeinander abgestimmtes Bild, mitsamt der Geschäfte und der Promenade. Hier fließt Geld. Auch der Rotary-Club fühlte sich bewogen ein kleines Denkmal aufzustellen und den zugehörigen Ort Maspalomas als Stadt des Friedens auszuweisen. Ja, wo Geld ist, ist wohl auch Frieden. Ich finde eine kleine Bucht, die nicht an einen Hotelstrand angeschlossen ist und somit auch keine Lautsprecher und Küstenwache hat. Hier liegt auch keiner. Aber die Einheimischen gehen hier ins Wasser. Und ich auch. Endlich Atlantik. Aber ich muss noch 7 Kilometer weiter... also, das Soll ist erstmal erfüllt.
Der Leuchtturm der Südspitze taucht auf. Hier endet auch der GR 131 von Agaete. Direkt dahinter beginnt eine großflächige Wüstenlandschaft und ein gewaltiger, weißer Sandstrand. Das muss alles Saharasand sein, der sich hier im äußersten Süden zu formvollendeten Wanderdünen auftürmt. Es wird heiß und das erste Mal in diesem Urlaub geht mein Wasser zur Neige. Egal. An Supermärkten mangelt es hier unten nicht. Also durchquere ich in der Diagonalen die Wüste. Es ist ein Vogelschutzgebiet. Doch anstatt, dass das Areal dahingehend respektiert wird, entdecke ich überall nackte Sonnenanbeter im Gebüsch, die die halbwegs abgeschiedene Atmosphäre dafür auszunutzen, nahtlos durchzubräunen. Es sind nur Männer. Auffällig viele Männerpärchen. Hmm... Vielleicht ist das eher ein Vögelschutzgebiet.
Ich will hier schnell durch. Der Sand ist enorm heiß und meine Fußsohlen brüllen nach nunmehr 25 Kilometern. Allem Anschein nach ist das hier the place to be in Sachen Strand. Ich kenne jetzt etwa 3/4 der Küste Gran Canarias und niegends sonst ist noch so ein Strand. Ich verstehe, warum Fuerteventura seinen Reiz hat. Aufgrund der Nähe zum Festland landet dort der Hauptanteil des Saharasandes. Die anderen Inseln bekommen davon nur Bruchteile ab. Schöne Motive ergeben die Dünen. So schön, dass ich glatt meine Absteige für heute verpasse. Ich habe ein Appartement in einer Anlage aus dem letzten Jahrtausend gebucht. Sie liegt in einem augenscheinlich deutlich älteren Teil der touristischen Infrastruktur. Direkt dahinter baut sich ein Shopping Center auf, das gänzlich leer ist. Alte Schilder prangen an den Verkaufseinheiten, die Parfüm und vor allem Elektronik anpreisen. Ein Fotogeschäftbanner wirbt damit, seit 1976 am Ort zu sein. Alles Relikte aus den Goldgräberzeiten, bevor das Internet Einzug hielt und damit das Geschäftsmodell der billigen Elektronikwahre aus Marokko obsolet werden ließ. Einst hatte mein Apartmentblock sicherlich Meerblick. Jetzt schaut man auf die Rückseiten drei weiterer Hotelreihen davor. Aber es hat einen Pool und war günstig. Kurzzeitig hatte ich überlegt, eines dieser Fünf-Sterne-Anlagen zu testen. Aber was hätte ich davon. Ich sähe ein Schwimmbad, um das vorwiegend Rentner liegen und sich mit Bräunungsöl übergießen... und hätte auch nur einen Pool mit Chlorwasser. Alle Anlagen hier unten im Touri-Hotspot sehen im Prospekt erstrebenswerter aus, wenn der Kontrast aufs Doppelte überhöht und die Nachbarhotels ausgeblendet sowie das Strandleben eingeblendet werden. Das ist für alle gleich.
Gran Canaria ist hier weit weit weg im Norden. Man sieht es nicht einmal mehr und könnte meinen, die Insel besteht nurmehr aus Geröll, Hotels, Bars, Shops und Putzbediensteten.