Circular de Gran Canaria

20.05.2023 Cruz Grande

  

Der heutige Tag führte mich schneller zum Ziel als erwartet. Tatsächlich bin ich auf dem Camino de Santiago gelaufen mit allem was dazu gehört: Muschelsymbole, Wegkreuze, gelbe Pfeile und sogar Pilger. Es ist viel los unterwegs. Man merkt, dass Wochenende ist. Ich gehe wie gestern wieder vorbei an den Zeltplätzen in den Kiefernwäldern, in denen auf einmal duzende Zelte stehen. Bislang kennen ich diese Stätten nur corona-verwaist. Jetzt zieht es die Leute in die Berge zum Entspannen. Der Camino bzw. SL 50, verläuft mittig der Insel genau in den Süden hinab auf 1200 Meter Höhe zu einem Aussichtspunkt namens Cruz Grande. Der Weg ist augenscheinlich schon lange ausgebaut. Wegmarkierungen der Cabildo Insular von 1953 begleiten den Weg, der teilweise gepflastert ist wie eine alte Römerstraße. Kurz vor dem Abstieg über die Klippe ins Tal verläuft der Weg über einen pflanzenlosen, erstarrten Lavafluss. Er muss alt sein, so alt wie der Roque Nublo gestern mindestens. Das Lavagestein hat mittlerweile eine beige Färbung, auch wenn die Flussrichtung noch genau erkennbar iar.
Dann geht es steil bergab. Nach drei Tagen über den Wolken bin ich jetzt wieder unter ihnen und die Luft wird deutlich milder. Ich bin ein bisschen betrübt. Oben gefällt es mir gut. Andererseits habe ich das sehen können, was sich fußläufig erreichen lässt und von daher darf es auch gerne weiter gehen. Meine Unterkunft kann ich schon von weit oben erlennen. Es ist ein kleines Zeltdorf am Einstieg des Caminos. Als ich ankomme bin ich erst einmal verwirrt. Es gibt kein wirkliches Haus, nur eine Art Schuppen. Drum herum stehen weiße Zelte viele Aprikosen. Eines davon wird wohl meins sein, aber es ost keiner da, den ich fragen könnte. Na gut, ich habe mich auch erst abends angekündigt, jetzt ist es 14 Uhr. Dann setze ich mich mal hier irgendwo hin. Und so sitze ich da und schaue mich um. Es herrscht ein Chaos aus verschlissenen Gegenstäden, die irgendwo herumstehen. Dabei hat zwar alles irgendwie einen Zweck, es ist keine Müllhalde. Aber wirklich alles ist irgendwie zurecht improvisiert mit dem Allernötigsten. Darunter mischt sich viel Kinderspielzeug, also wird hier auch ein Kind leben. Viele Katzen und Kätzchen umschleichen meine Beine.. Mich beschleicht ein Verdacht. Alles erinnert mich an Abracaribes vor drei Jahren auf La Palma. Das muss ein Aussteiger sein, der hier wohnt oder eine Familie. Ich warte keine 10 Minuten, da schleicht ein schrottreifer Nissan die Piste hinab zum Haus. Heraus kommen ein älterer Mann, eine Frau und ein Kind. Sie begrüßen mich und sind meine Gastfamilie. Er heißt Patrice und ist Franzose. Sie heißt Simone und ist Deutsche, das Kind heißt Mibella, ist fünf und spricht Englisch. Eine Aussteiger-Familie mit fantasievollem Improvisationstalent allem Anschein nach. Sie zeigt mir die Finca und zu meiner Freude gibt es sogar einen Whirlpool mit warmen Wasser. Na das kommt mir Recht, der Tag ist noch lang. Nur Essen habe ich keins mehr. Der nächste Supermarkt liegt 6 Kilometer entfernt in einem Ort mit dem lieblichen Namen Tunte.
Simone ist recht gesprächskarg und es fällt mir schwer, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Mehr als drei vier Wörter bekomme ich als Antwort nicht heraus. Nicht aus Unsympathie, sie kommt mir recht... naja... einfach vor. Aber sie bietet mir an abends Essen ans Zelt zu bringen und da sag ich nicht nein. Mich interessiert schon, warum sie hier sind. Irgendwie fehlt hier ein Mann zum Kind. Patrice muss eine Art Opa sein, so alt wie er ist. Und er spricht nur gebrochen Englisch, von ihm kann Miabella es nicht gelernt haben. Ich werde nochmal beim Frühstück mein Glück versuchen. Ich pflanze mich erstmal in den Pool und schreibe Tagebuch. Miabella möchte auch rein, schämt sich aber, weil ich da bin. Also geht sie mit Patrice Fußball spielen. Sie ist genauso mit einem schwer zu bändigenden Warpantrieb ausgestattet: die Materie-Antimaterie-Reaktion kommt nie zum Erliegen, es sei denn, man zieht rigoros den Stecker. Die beiden würden sich prima ergänzen, glaub ich.
Gegen 18 Uhr verzieht sich die Sonne hinter den hoch aufragenden Felsen, von denen ich herunter gekommen bin. Schade, keine 🌈-Sonnenuntergänge mehr. Es wird schnell sehr kalt und ich muss einen kleinen Wärmepuster am Bett laufen lassen. Pünktlich um sieben Uhr kommt mein Essen. Hähnchenkeule. Lecker! Finden die Katzen auch. 15 Stück laufen hier herum, sagt Simone. Könnten auch mehr sein. Mein Zelt muss ich sofort zu machen, oder ich habe vierbeinige Tischgäste.
Der morgige Tag wird etwas komplexer. Ich könnte zwar direkr weiter in den Süden ziehen, habe aber ein weiteres Ziel halbwegs in den Bergen gebucht. Ich sehe aber jetzt erst, dass zwischen hier und da nicht wirklich Wamderwege existieren. Topomaps zeigt mir zwar was an, aber das ist ganz schön verzweigt alles. Ich stecke mir mit kleinen Fähnchen Markierungen auf der Karte ab, wo ich wann abbiegen muss. Das dauert unerwartet lange. Na da bin ich mal gespannt, wie das morgen funktioniert. 9 Uhr gibt es Frühstück, danach will ich sicherheitshalber sofort los.