Circular de Gran Canaria

18.05.2023 Pico de las Nieves

  

7:30 und ich bin wach. Ich hatte einen viel zu real wirkenden Blödsinnstraum, der in mir das Gefühl hinterlassen hat, alles falsch zu machen. Ich hasse sowas. Diese Gefühlsimpfungen sind meist hochintensiv ,aber haben zum Glück nur eine geringe Halbwertzeit. Das passiert häufig dann, wenn ich in einen - nennen wir es Mußezustand - eintrete. Es passiert nicht das erste Mal beim Wandern. So intensiv, wie sie sich direkt beim aufwachen angefühlt haben, so bedeutungslos waren sie schon zum Frühstück. Ich versuche diesen Umstand etwas Positives anzugewinnen. Mein Kopf hat Zeit aufgestaute Gedankenkreisel zuende spinnen zu lassen und Platz für neue Gedanken zu schaffen. Das Wetter draußen fängt glatt an zu weinen ob der Erkenntnis. Kälte und Nässe schieben sich erneut den Bergkamm hinauf. Das Parador liegt mitten in einem Joch. Hier wälzt sich alles als Erstes durch. Ich vermute mal, das dauert bis Mittag, bevor die Sonne es auflöst.
Na dann mach ich mich erstmal frühstücksfein. Die Wandersachen gehen nicht. Mein Oberteil und der lange Wickelrock, das geht. Den Kurzen rolle ich zusammen und binde ihn mir zur Schärpe, den Grünen wickel ich als Schal um den Hals. Ist ja noch kalt. Blick in den Spiegel... Blöd sieht's nicht aus. Nicht einmal improvisiert. Aber halt nicht konform im Vergleich zu Joggingklamotten und Einwegschlappen. Da kommt man sich ja fast overdressed vor.
Ich wollte eigentlich heute zum höchsten Punkt Gran Canarias laufen. Sind nur 7,7 Kilometer bis dorthin. Bei der Feuchte brauche ich nichtmal Trinken mitnehmen. Ich trete vor die Tür... und mache auf dem Absatz kehrt. Nä. So nicht. Ohne Sonne wird nichts warm hier. Es sind deutlich unter 10 Grad. Also gehe ich aufs Zimmer und zeichne was, bis mein Balkonkino nen anderen Streifen fährt als das undurchdringliche Nichts der Unendlichen Geschichte. Eineinhalb Stunden später, es geht auf 13 Uhr zu. Ich vertraue meiner Intuition, dass die Wolken in Kürze verschwinden werden wie gestern wirkel alle Röcke zu einem Oberteil zusammen und gehe los in den Nieselregen, hinauf zum Pico de Las Nieves. Es lässt sich irgendwie aushalten und tatsächlich. Nicht mal 20 Minuten später brechen die Wolken mehr und mehr auf und die Temperatur steigt gefühlt um 10 Grad an. Es ist toll, was die sich zerreißenden Wolkengebilde für Formen annehmen. Überhaupt ist die Luft hier oben auffällig klar und allee leuchtet sehr farbintensiv. Bis zum Gipfel geht es entlang einer kaum befahrenen Straße durch weitere brandüberlebte Kiefernwälder. Zeltplätze gibt es hier oben und mittendrin auf dem Weg auf einmal der Hinweis an die Autofahrer, dass das hier ein Jakobsweg ist und entsprechend Pilger auf der Strecke zu erwarten sind.... Jakobsweg?! Es ist schon kurios. Egal wo ich die letzten Jahre hinkomme, kurz über lang treffe ich auf einen Jakobsweg, selbst mitten im Atlantik neben der Sahara. Ja nee is klar. Diese Schilder sollten sie an den Küstenstraßen aufstellen, damit ich mir als Fußgänger nicht mehr so ausgeliefert vorkomme.Etwas weiter ein Aussichtspunkt. Hot Spot. Also gibt's auch ein Leckerlizelt für Autotouris, die hier ihr Selfie vom Tal machen und dann nocn schnell nen Käse und ne traditionelle Kanarentracht einkaufen. Als Wanderer habe ich den Luxus Hot Pots ablichten zu können, wo nie ein Autofahrer hinkommen könnte. Also uninteressant und ich gehe weiter, bis ich nach etwa eineinhalb Stunden den Gipfel erreiche. Daneben prangt eine Radarkugel. Der Berg hat sich im Wald so gut versteckt, dass nur der runde Radarfußball verrät, dass es hier wohl nirgens höher hinaus geht. Schwalben fliegen hier wie damals auf dem Gipfel auf La Gomera.
Hier fahren alle hin. Im 17. Jahrhundert hat man hier Schneespeicher angelegt, erfahre ich. Daher auch der Name. Aber ich erfahre auch, dass das NICHT der höchste Punkt ist. Das ist ein Zinken etwa 100 Meter weiter südlich, ist ganze 6 Meter höher und heißt Morrón de la Agujereada. So ein Pech, da hat sich der ganze Aufwand ja nicht gelohnt. Beteübt quatsche ich noch Leute an, mein Scheitern in Form eines Selbstbildnisses vor besagtem Zinken festzuhalten und schieße niedergeschlagen noch ein paar Fotos das Tal hinunter, das den Blick auf den weit entfernten Flughafen und Las Palmas freigibt. Ich kann meinen ganzen bisherigen Weg von hier oben nachsehen. Erstaunlich, so groß ist die Insel jetzt auch nicht. Und alles voller Wald. Eine Tafel verrät, das war nicht immer so. Seit den 50ern gibt es intensive Aufforstungsprogramme. Na das sollten sie mal auf Fuerteventura versuchen.
Nach ein paar Gedenkminutem trete ich den Rückweg an. Keine Wolke ist mehr am Himmel. Ich kann nicht anders, die Landschaft ist zu schön, um sie unfotografiert vorbeiziehen zu lassen. Motive über Motive. Es macht so Spaß, dass ich einen ganzen Film vollknipse. Das stimmt mich wieder milde. Na dann gibt's heute halt mal ein paar mehr Fotos.