Circular de Gran Canaria

16.05.2023 Artenara

  

Früüüstücksbuffet. Au das kann ich heute gut gebrauchen. Gestern Abend und heute Morgen habe ich noch extra intensive Dehnübungen gemacht. Das zahlt sich aus. Die Glieder fühlen sich butterweich an. Das gibt mir Mut für die heutige Etappe. Was brauche ich dafür... hmmm... Ei, Ei, Ei und zwei Spiegeleier... Quark... Obst... und Säääft. Okay Schinkenspeck auch... okay 'n Schokocroissant auch. Übertreib's nicht, hoch rollt es sich schlecht. Die Blubberbrause fülle ich mit dem Gratiswasser aus der Minibar auf. 3 Liter Wasser... reicht das? Ich vertraue auf angemessen feuchte Bewölkung, je näher ich ans Gebirgsmassiv herankomme. Doppelte Vibramsohlen heute. Ich will erstmal nichts riskieren. Und ab geht's.
Am Kirchplatz im Stadtzentrum finde ich das erste GR 131 Schild. Ich freue mich richtig. Der vermeintliche GR 134 ist bislang wenig erstrebenswert. Ich verstehe, warum er nie realisiert wurde. Es ist einfach extrem verbaut entlang der Küste, zumindest auf der Länge von 100 Kilometern, die ich hinter mich gebracht habe. Mag sein, dass der Süden anders ist, ich werde es sehen.,
Ich lasse den Ort hinter mir und steige direkt in die Natur ein. Von Weitem sieht man den Abbruch, auf dem die Baumgrenze ist. Ganz im umgekehrten Sinne wie in den Alpen: Auf 1000 Höhenmetern fangen hier die Bäume erst an zu gedeihen. im Tiefland an der Küste hält die Wolken nichts auf. Und ich komme verdammt schnell voran. von wegen Herausforderung an Höhenmetern. Es ist schon krass, wie sehr eine schöne Landschaft der Kondition zuträglich wird. Der Weg ist wunderschön und einsam. Ein paar Ziegen mit Glöckchen hängen an den Hängen ab. Sonst begegnet mir keiner und ich verstaue meine Kleidung wieder im Rucksack. Mag sein, dass das neue Netzhemd praktisch ist. Aber Kleidung stört dann doch eher hier oben. Auch die Wolken halten sich an die Vorhersage. Die Landschaft wechselt im Zeitraffer: unten Wüste, dann Kakteenhaine, dann Wiesen, dann Farne und Blumen, dann Sträucher und schließlich die geliebten Kiefern, als ich nach etwas mehr als 2 Stunden den Gebirgskamm auf 1200 Metern Höhe erreiche. Es ist windig und kalt geworden. Wolken preschen durch mich hindurch und hinterlassen Tröpfen in den Haaren. Und ich habe keinen Durst. Ich setze mich an der Abbruchkante auf einen kurios gewachsenen Eukalyptusbraum und mache ausgiebig Pause. Am Horizon geben die Wolken den Blick auf eine Himmelspyramide frei. Komische Wettererscheinung, denke ich. Als die Pyramide bei den zurückweichenden Wolken immer mehr Konturen annimmt, erkenne ich, dass es der Teide ist. Er ist ziemlich genau 100 Kilometer entfernt, sagt die Landkarte.
Ich komme schließlich an einem dieser Ausflugsziele im Wald heraus mit Bänken, Grills und Wasserbrunnen. Und jetzt ist auch in Spanien Corona vorbei. Sie geben wieder Wasser frei. Niemand hier. Hmm... wahrscheinlich nur am Wochenende. Touristenzeit ist auch nicht und Hotelbesucher der Küste verirren sich nicht an solche Orte. Eine Gebirgsstraße beginnt hier, der ich folgen will und ich ziehe mich wieder an. Schon aus dem Grund, dass es auf einmal empfindlich kalt wird. Eine weitere Wolkenfront ist nach einer kurzen Sonnenphase vor die Gebirgswand geknallt, wuchtet ihren wassergefüllten Bauch über den Kamm und verliert dabei einiges an Gewicht. Es regnet irgendwie. Die Kiefern fangen die kleinen Tröpfchen auf, um daraus große Tropfen zu machen und zu Boden platschen zu lassen. Die Straße führt über Kiefern bewachsene Hügel. Erstaunlich weit auseinander stehen die hier aber. Und sie sind so dünn. Nach einiger Zeit verstehe ich auch warum: vor nicht allzu langer Zeit muss hier oben ein Waldbrand gewütet haben, dsr alle Bäume in Mitleidenschaft zog. Die einen sind verbannt, die anderen haben das Massaker als nackter Pin überlebt, dem sämtliche Zweige weggebrannt sind. Jetzt haben sich neue Zweige gebildet und geben den Bäumen die Anmut von Ohrenwattestäbchen. Auf dem Boden sprießt alles, was vorher kein Sonnenlicht abbekam und macht dem Wand Konkurrenz. Auch die Straße muss viel abbekommen haben. Sie ist brandneu. Immer wieder gucken Hydranten bei Parkplatzeinbuchtungen aus dem Boden. Man hat wohl vorgesorgt für die nächste Katastrophe. Ein Blick ins Internet verrät mir, dass besagter Waldbrand 2019 stattfand. 9000 Leute mussten aus 50 Orten evakuiert werden.
Die Wolken verdichten sich zu einer undurchschaubaren Nebeldusche, bis ich gegen 18 Uhr Artenara erreiche. Hätte ich das Navi nicht, ich wüsste nicht, ob hier jetzt eine Ortschaft ist. Ne wahnsinns Aussicht soll man hier genießen dürfen. Hmm... naja, vielleicht morgen. Jetzt will ich mich vor allem aufwärmen. Auf so ein Wetter bin ich unzureichend eingestellt. Beim örtlichen Supermarkt decke ich mich ein. Ich will Tomaten, Thunfisch und Käse. Meine Unterkunft ist direkt unterhalb einer Christusstatue. Was das bedeutet sehe ich erst, als ich davor stehe: ich habe eine Höhle gebucht. Also wirklich ein in dem Stein gehauenes Hobbitloch. Innen ist die Zeit stehen geblieben. Die Möbel sind uralt. Wer hat hier wohl mal gelebt? Vielleicht war das ja auch ein Ziegenstall. Egal. Es hat ein Bett und einen Tisch, aber keine Fenster. Es weht einfach durch Türgitter. Ich schlafe also irgendwie halb draußen. Internet gibt's auch nicht. Also setze ich mich an den Tisch, höre Hörbuch dabei und gehe ins Himmelbett mit Moskitonetz. Scheint wohl notwendig zu sein. Ich habe heute genauso lange gebraucht für die 22 Kilometer wie gestern, knapp 8 Stunden. Den Beinen und Füßen geht es richtig gut, kein Vergleich zu gestern. Und das nach 1500 Höhenmetern. Anstrengung ist echt relativ, wenn's schön ist.