Circular de Gran Canaria

15.05.2023 Agaete

  

Die hereinbrechenden Wellen blieben bis morgens weiter bedrohlich laut. Hmm... eigentlich soll das doch romantisch sein, so Meerblick und Wellen vor dem Fenster. Das hier wirkt eher wie Kampf gegen den Fels, auf dem ich wohne. Ein unwirklicher Ort hier und keinenfalls ein Entspannungsparadies. Ich ziehe los nach Westen entlang der Küste. Auch wenn der Ort umschlossen wird von Berghängen, muss ich nicht mehr als 300 Höhenmeter hinauf, sagt mein Gerät. Da bin ich aber froh. Heute morgen war mein Kopf zwar endlich auch ohne Ibu-Booster okay, dafür brennen meine Füße und Beine. Ne Pause wäre eigentlich angebracht. Sieht mein Plan aber nicht vor, eher nochmal 22km bis an die Westküste. Naja. Es lockt endlich ein Hotel mit Pool. Komm, das krieg ich hin.
Landeinwärts um eine nordwestliche Landzunge geht's direkt unter einer großen Brücke der Inselautobahn hindurch. Ein Wanderweg soll hier sein, meint die Wanderkarte. Ich sehe aber nichts, nur Bananenstauden und Sträucher. An der Stelle, wo etwas sein soll, wage ich dann einfach den Gang ins Gebüsch und tatsächlich. Ein völlig überwucherter Wanderweg lässt sich erahnen. Der wurde wohl aufgegeben. Nur ein Holzpflock erinnert noch an einen SL 3, der hier langführte. Aber er bringt mich überhalb der Autobahn auf die alte Inselstraße, die ihre Bedeutung gänzlich eingebüßt hat. Gut für mich. Ein zweispuriger Wanderweg mit Tunneln. Luxus. Warum sehen das nicht auch meine Füße so verdammt?! Es kribbelt und alles ist empfindlich. Bis zum Ort Guia schleppe ich mich so durch, hole Obst und Getränke und setze mich in den Schatten auf den Dorfplatz. Boah hier bleibe ich. Jetzt nochmal 12 Kilometer. Zu Hilfe. Ich muss an den Jakobsweg denken. Da bin ich 30-40km am Tag gelaufen. Was ist denn jetzt nur anders? Grausam. Ich bin jetzt wohl älter, seufz. Aber immerhin nicht so alt wie der da: Ein älterer Mann schlurft jetzt schon das fünfte Mal an meiner Bank vorbei. Er geht den rechteckigen Platz exakt entlang der Außenmauern ab. Hmm... der muss wohl seine täglichen Schritte zusammenkriegen, die der Arzt ihm angetragen hat. Wollen wir tauschen? Um mich herum dröhnen Megaphone durch die Gassen. Autos mit Lautsprechern rufen lautstark die Bevölkerung zum Wählen der jeweiligen Parteien auf. Darf man sowas bei uns eigentlich noch? Am 28.5. sind jedenfalls Wahlen und die Plakate hängen selbst auf abgelegenen Wanderwegen.
Je mehr ich nach Westen komme, desto stürmischer und wolkenloser wird es. Es klatscht mir von hinten die Haare ins Gesicht, bis ich schließlich meinen Buff die Pracht bändigen lasse und werde so in meinen Zielort Agaete gefegt. Mein Domizil liegt auf einer Steilküste. Es hat Frühstück, es hat Pool... und es hat Sauna und heißen Entspannungstümpel!! Hui damit hab ich gar nicht gerechnet. Genau was ich brauche. Keinen Meter mache ich heute mehr. Nichts. Essen gibt's nur noch ein Käsebrot aus dem Automaten... für 4,05 Euro... hmpf. Egal. Ich kann schwitzen und blubbern und merke, dass ich meine Kolfhaut verbrannt hab. Nicht aber wie üblich am Scheitel, sondern großflächiger. Oh Mann... noch so ein zeichen, dass ich älter werde. Auch mein Brusthaar zeigt seit diesem Jahr so komische Fehlfarben... für Blond ist das zu hell.
Ich werde alt. Heute fühle ich mich jedenfalls tatsächlich so. Ich checke die Route für Morgen mit der Gewissheit, dass es wieder 22km werden, aber zusätzlich 1500 Höhenmeter. Hier in Agaete beginnt der hiesige Teil des GR 131, der die Insel durchquert. Es macht auch insofern Sinn, als dass man von hier aus nach Teneriffa übersetzen kann, um den GR 131 dort direkt weiter zu laufen.
Einerseits freue ich mich. Die Küste war bis jetzt wahrlich nicht reizvoll zum laufen. Eigentlich kam ich einer archäologischen Stätte namens Cenobio Valerón vorbei, die aber blöderweise geschlossen hatte wegen Bauarbeiten. Ansonsten viel Straße, viel Verkehr und die Autobahn. Aber ich bekomme Respekt vor dem morgigen Höhenunterschied bei meiner Konstitution. Aber es kann nur schöner werden und wenn ich oben bin, dann bleibe ich da auch ne Weile. Es soll vormittags regnen. Das ist gut, dann hält das obligatorische Wasserproblem hoffentlich in Grenzen.