Circular de Gran Canaria

14.05.2023 El Roque, Moya

  

Ich wache auf mit hämmernder Migräne. Fühlt sich an wie verkatert. Uuuuh, das wird doch nicht der gestrige Sommerwein mit 0% Alkohol und 0% Zucker gewesen sein? Oder doch eher die Anstrengung gestern und das Akklimatisieren. Nichts Neues. Also dann, das fühlt sich eher nach 400mg Ibu an. Der Drops ist gelutscht und nach 20 Minuten bin ich einsatzbereit... oder mein Hirn tut jedenfalls so. Egal, ich fühle mich in der Lage zu laufen und will es auch.
Ich verlasse meinen Betonschwitzkasten am Meer ohne Meer und laufe die alte Straße entlang in Richtung Westen. Bananenplantagen säumen mehr und mehr die Täler wie auf La Palma. Tourismus ist hier oben nicht, dafür ist die Nordküste einfach zu rauh. Aber es wird schöner, je mehr ich Las Palmas hinter mir verschwinden lasse. Es geht einen gehörigen Umweg übers Hochland auf einer kleinen Straße und durch wunderschöne grüne Täler. Die Sonne versteckt sich oft zwischen lockeren Wolken und es sind gerade mal 20 Grad... sagt mein Gerät. Das merke ich schon die ganze Zeit, weil es sich auch in meinem Wasserbedarf widerspiegelt. Ich brauche kaum was, schwitze sogar kaum. Entweder es liegt am rauhen Norden oder im Mai ist das Wetter wechselhafter als die vorherigen Male im Juni und September. Außerdem hab ich gelernt, dass es eine Art Hemd gibt, die besser ist als gar kein Hemd anhaben, obwohl es als das Beste scheint, sich komplett auszuziehen, wenn man schweißnass wird. Bislang hatte ich entweder Polyesterhemden, die sich aber auf Dauer echt unangenehm beim Wandern anfühlen oder ein Baumwollnetzhemd, das sich zwar luftig anfühlt, das Wasser aber aufsaugt wie ein Schwamm. Das Beste aus beiden ist die geniale Lösung: ein Polyesternetzhemd. Es schützt gegen Sonne, lässt aber alle Luft hindurch und trocknet binnen Minuten. Genial... Optisch ist das erstmal wieder ne Herausforderung für mich, obwohl ich es toll finde und mir damit gefalle. Ich könnte aber möglicherweise auch wie so ne Musclemary auszusehen, auch wenn ich es nicht so empfinde und ich auch sonst diesem Stereotyp nicht entspreche, glaub ich. Es wird mir schließlich egal, als ich merke, dass außer mir selbst keiner so wirklich Notitz davon nimmt, außer ein junger Verkäufer in ner BP-Tankstelle, bei dem ich Zitronenjoghurt kaufe. Supermercados sind rah gesäht hier oben. Er beschallt seine Tankstelle laut mit Bob Marley über die Brüllwürfel des Außenbereichs und stellt entspannt fest, dass das Hemd eigentlich rot-gelb-grün gestreift sein muss, um authentisch zu sein. Die Haare passen schon ganz gut! Hm. Hätte eher mit "diverseren" Assoziationen gerechnet, aber seine ist für mich im Vergleich angemessener, finde ich. Ich lasse mir viel Zeit und schlendere auf der GC 300, dann 350, dann 75, mit Hörbuch im Kopf hinunter zu meinem Zielort Moya an der Nordküste. Mein heutiges Ziel ist erhaben wie ich finde. Es heißt "El Roque" und wird seinem Namen gerecht. Ein Häuserklumpen bestehend aus über 60 Einheiten thront auf einem ins Meer ragenden Felsen wie ein eigener Ort im Ort. Er ist nur zu Fuß erreichbar und am Ende ist ein kleines Restaurant. Mein Domizil ist weit außen und unter meinem Balkon donnern die Wellen. Ein bisschen wie ein Schiff... ein bisschen wie eine Leuchtturminsel... ein bisschen unwirklich und unheimlich... und laut. Die Leute wohnen hier tatsächlich vorwiegend. Meine private Ferienwohnung ist eher die Ausnahme. Bemerkenswerter Ort. So langsam komme ich gedanklich an auf der Insel. Hoffentlich mein Schädel auch morgen früh.