Circular de Lanzarote

13.09.2021 Puerto del Carmen

  

Draußen scheint wieder die Sonne. Och nöö, denke ich mir tatsächlich beim wach werden. Der Sonnenakku ist tatsächlich nach 12 Tagen wieder ziemlich voll und Wandern mit Sonne ist eigentlich gleichzusetzen mit einer Draußensauna für mich. Keine Ahnung, wie die gut aussehenden Malemodels bei Playa Blanca es hinbekommen, auf ihren neonfarbenden Leibchen beim Promenadenjogging maximal ein Schweißherzchen auf der Brust für die Angehimmelte zu erzeugen, die im tighten String daneben herhüpft. Minimalistische Badebekleidung ist ohnehin auffällig in Mode gekommen bei den aktuellen 20ern. Dazu Wuschelschlappen mit mehr Wuschel als Schlappe. Oben ohne gehört auch an den Pools mittlerweile zur Normalität. Es geht noch weniger als Bikini. Ganz ausziehen wäre da eigentlich deutlich weniger sexualisiert. Und ich behaupte, genau das ist auch der springende Punkt.
Ich laufe noch drei Kilometer an der Küste entlang, bis sie in Puerto Calera schließlich wieder vom Massentourismus erobert wird. Wobei dieser Ort ein bisschen was Elitäres Fr repräsentiert. Ein Yachthafen. Dezente Anlagen... "Secret Escapes" mit küstlich am Leben gehaltenen Rasenflächen, Pool bis vor die Haustür. Die Promenade von Puerto del Carmen nimmt hier ihren Anfang, um 10 Kilometer lang bis zum Rollfeld des Flughafens nicht mehr zu enden. Ein Mann steht auf einer Klippe mit Stativ und Kameraausrüstung und zielt ins Meer. Aber da ist nichts. Nur Meer. Etwas oberhalb sitze ich auf einer Vulkansteinbank an der Promenade, trinke was, lasse den Schweiß trocknen und schaue zu, wonach er schauen mag. Eine Viertelstunde. Aber da kommt nichts. Also entweder der hat echt kein Verständnis für Fotomotive, die seiner Kamera würdig wären oder Leute wie diese hier sind Statisten, die Leben vortäuschen sollen, damit ich nicht merke, dass ich durch eine riesige Simulation laufe. Eigentlich tue ich das hier entlang der Südküste auch ohne Kerle wie diesen. Hier wird Urlaub simuliert, der in Wirklichkeit nur eine schlechte Kopie des Katalogbildes darstellt, das ebenso eine überkontrastierte Simation von Urlaub darstellt. Mann, beim Computerspielen kann man wenigstens noch Knöpfchen drücken. Naja... hier auch, in den britischen Billigkasinos an der Strandpromenade. Ich bin zynisch? Na dann schau dir gleich das Elend jenseits des ursprünglichen Hafens von Puerto del Carmen mal an!... Naja abwarten, erstmal hier ankommen.
Der alte Ort selbst ist eigentlich schön. Zwar ist die Hafenbucht im Grunde auch nur ein Ferienpueblo ohne einen nennenswerten Rest an Ursprünglichkeit, aber man hat tatsächlich ein ansehnliches Ersatzflair geschaffen. Hier ist auch das Fariones Grand Hotel. Das erste Hotel, das hier überhaupt gebaut wurde, weit bevor Kakofonie-City dahinter entstand und dort stattdessen nicht mehr als das war, was ich gestern im Naturschutzgebiet durchwandert bin: Wüste und der mit Abstand längste Strand der Insel. Hier hatten meine Eltern 1972 ihr Insel-zu-Hause. Es existiert ein Bild davon. Also gehe ich auf die Suche. Ich laufe durch entliche ranzige Ferienanlagenfragmente, die ihre besten Zeiten seit Jahrzehnten hinter sich haben. Sie haben alle Namen: La Bonita, Bella Vista... Die Balkone sind auf das Meer ausgerichtet, nur dass zwischen Balkon und Meer jetzt ein lukrativeres, sechs Stockwerke hohes Plazahotel und ein riesiges Einkaufszentrum klotzt. Die Aussicht endet vor der Zuliefereinfahrt und dem Parkhaus. Ich glaube, die Häuser von vor 50 Jahren mussten anderen kapitalistischen Zielen weichen. 30 Minuten laufe ich noch ein paar Straßenzüge ab... dann stehe ich unvermittelt vor den Häusern, die wie das meiner Eltern aussehen.
Sie stehen noch, in einer Straße namens Alegranza. Alle haben Vulkannamen. Volcan Corona... jaja Versagerberg... Volcan Islote... den Namen des Vulkans auf dem damaligen Haus meiner Eltern konnte ich nicht entziffern auf dem Bild. Aber als ich davorstehe, ist es zweifelsfrei: Volcan Masdache. Er ist unverkennbar durch die Garage unter dem Haus. Nur diese beiden Zwillingsgebäude haben solche, die so steil sind, dass ein modernes Auto hundertprozentig rein aber nie wieder rauskommen würde, ohne wie eine Wippe aufzuliegen. Mehr als manriquisch vorgeschriebene, grüne Farbe an den Fensterläden wurde nicht verändert, während die anderen Vulkanhäuser mittlerweile einem deutlichen Refurbishment unterzogen wurden. In 50 Jahren wuchsen hier Bäume und wurden wieder abgesägt. Neue Bäume sind gewachsen und mittlerweile auch so hoch wie das Haus. Die Ecke, auf der Mama damals gesessen hat und abgelichtet wurde, finde ich auch. Die ist aber klein... hmmm... oder ich bin groß. Auf dem Bild wirkt das alles solider. Muss an den Bäumen liegen, die anstelle der Geranien hier wachsen. Ich kann das Bild nicht exakt nachstellen. Alles ist mit Autos zugeparkt. Aber ich gebe mein Bestes und nutze den Radkasten eines Wagens, um mein Handy für ein Selfie einzuklemmen und so der Anmut des Originals in jeder Hinsicht gleichzukommen. Ich weiß, ich sehe wie Mama... äh... also wie 23 aus... wenn ich meine Beine genauso überkreuze. Aber glaubt mir, ich bin älter als Mama. Ich könnte ihr Papa sein.
Boah, hôr auf, Kopf. Das Gefühl ist wieder genauso schräg wie bei den Salinen, nur dass ich gerade absolut sicher auf der selben Kante sitze, wie meine Mutter auf dem Bild. Bei Star Trek würde man jetzt mit Tricorder in der Hand scannen und feststellen: Ihre nach 50 Jahren stark fragmentierte Restsignatur liegt nur drei bis fünf Farbschichten Weiß tiefer unter meiner. Komisch, dass das hier auf einem Staubfleck im Atlantik auf einmal eine Bedeutung hat, während die 50 Jahre ältere Mama-Version zu Hause ist. Was würde die 1972er Version wohl von ihrem 40 Jahre alten Sohn halten, wenn man sie in einer Zeitreise damit konfrontierte? Na? Ist das die Vorstellung davon, was du 8 Jahre später vorhast zu produzieren?
Es bewölkt sich. Mit Regentropfen! Ich muss mal langsam weiter. Da warten ja noch 8 Kilometer Bingobimbam auf mich. Zu meiner Überraschung hat sich hier zu 1996 viel getan in Sachen Promenadengestaltung. Zwar ist hier noch viel Tingeltangel - Modeläden verkaufen "Markenmasken" von cK, Adidas und Lacoste -, aber die Straße ist einer Fußgängerzone und einem Fahrrad- und E-Rollerweg gewichen. E-Roller stehen hier und in Playa Blanca an jeder Ecke herum und können jederzeit mit dem Handy gemietet werden, was augenscheinlich oft passiert. Beton ist Vulkangestein gewichen und es ist ruhig. Ich bin positiv überrascht. Ich muss sagen, man hat ästhetisch stark renaturiert und so tatsächlich das Beste herausgeholt, das in Anbetracht der Verbauung möglich war. Sieht echt gut aus, auch wenn ich Natürlichkeit vorziehe und keine zwei Wochen hier bleiben würde.
Mein heutiges und letztes Domizil heißt Hotel Beatriz Playa und ist das letzte Hotel vor der Rollbahn. Aber ich glaube, wenn ein Besucher hier nichts ahnend eincheckt, fallen ihm vor Schreck die Zahnfüllungen aus der Backe, wenn er das erste Mal aus seinem Wohnklo auf den Hotelpool und aufs Meer schaut und urplötzlich mit einem ohrenbetäubenden Möööaaaaaaaaahhhrrrrr ne 737 fünfzig Meter darüber in den Himmel schießt. Niemand... wirklich niemand, der hier katalogmäßig einbucht, will das. Ich muss laut lachen. Herrlich. Morgen nach dem Frühstück gehe ich mal rüber zum Rollfeld und lichte Maschinen beim Starten ab. Wo kann man das schon so? Aber wo zum Henker hat das Hotel seine 4 Sterne her? Es ist alt. 80er, schätze ich. Und es sieht aus wie Kampfstern Galactica mit seinen pyramidenartigen Stelzen und niedrigen Gängen im Innenereich. Nachträglich wurde eine Spa-Landschaft mit Sauna in den Keller gezimmert. Aaaah. Da ist der Stern... und der Grund für das Zusatzschild "& Spa" auf dem Dach. Tja, mich haben sie auch gekriegt. Ab in die Sauna. Noch so ein LED-durchleuchtetes Raumschiff, das quasi im Hangar der "Galactica" wie ein Fremdkörper einer anderen Spezies parkt. Erste Sauna nach 2 Wochen. Aaaaaah!
Abends schaue ich noch nach Spots zum Vergleichen. An der Promenade waren mal Windräder. Ich finde nur noch die Podeste. Damals war auch hier keine Flaniermeile sondern Straße. Auf ganz Lanzarote fällt mir auf, dass die typischen Windräder quasi gar nicht mehr zu finden sind. Nur in Arrecife hab ich mal eins direkt beim Kraftwerk gefunden. Soll wohl nicht mehr sein?! Egal. Ich brauch einen Käse und Natillas zum "Lady Bug" gucken und meinen Plan für morgen schmieden.