Circular de Lanzarote

12.09.2021 Playa Quemada

  


Im halb Acht werde ich wach und beschließe auch gleich aufzubrechen. Die Strecke wird lang und einsam durch die Wüste gehen und ich hab keine Lust auf Frust. Viel lieber will ich noch ein letztes Mal nackig wandern und jede Bucht zum Eintauchen nutzen können, bevor mich morgen bis zum Rückflug die Urbanización wieder gänzlich einnehmen wird. Doch erstmal heißt's noch die hiesige, nicht enden wollende Kakofonie hinter mich zu bringen. Das Elend findet nach drei weiteren Kilometern an einem offiziellen Hundestrand ein abruptes Ende, das das Monumento Natural Los Ajaches erzwingt. Hundestrand... Schilder zeigen an, dass die zwei Kugeln, die ein Hund so macht, von Herrchen mit Rückenleiden aufgesammelt werden müssen. Mensch, hier gehe ich aber so richtig gerne schwimmen jetzt. Schnell weiter. Seit 1994 sind die folgenden Papagayostrände und das komplette Hinterland Naturschutzgebiet. Keine Bebauung. Sonst wäre auch hier schon alles zubetoniert worden. So bleibt der einstige "Geheimtipp" eines jeden erdenklichen Reiseführers der 90er auch erhalten. Viel los ist nicht. Es ist das erste Mal so bewölkt, dass die Sonne keine Chance hat. Ich bin froh. Das kann ich gut gebrauchen für die Strecke. Bis zur südlichsten Spitze Lanzarotes geht's an den Stränden entlang. Afrikaner bringen sich in Stellung, um nackt badenden Ruhesuchenden kreischend bunte Wickeltücher anzudrehen. Ich gucke böse und sie ziehen gleich ab. Ein offizieller Zeltplatz ist hier in einen viereckigen Zaun eingepfercht. Camper im Freiluftgehege. Fehlt nur noch, dass sie Eier legen. Dem Geruch nach tun sie das in einem Betonverschlag abseits der Windrichtung. Tolle Szenerie. So richtig was für mich. Ich zieh' in den Wüstenstaub gen Norden. Ganz in der Ferne am Horizont erkennt man einen Klotz: das Grand Hotel von Arrecife. Zielgerade also. Je näher ich herankomme, desto mehr schält sich eine schneeweiße Küste aus dem wolkenverhangenen Zwielicht. Weiße Küste? Was ist das denn? Beton ist das... und zwar mit Namen Puerto del Carmen, meinem morgigen Ziel. Noch sieht es aus wie ein langer dicker weißer Strich am Horizont. Das kann auch erstmal so bleiben.
Es geht rauf und runter. Eine einsame Bucht flogt der nächsten, um von mir beschwommen zu werden. Ich liebe das. Nackig wandern, zugestaubt an Buchten ankommen, Seesack fallen lassen und direkt ins Wasser, planschen, Seesack wieder auf den Rücken, nass weitergehen und von der Sonne trocknen lassen, bis die nächste Bucht kommt und das Spiel von vorn beginnt. Meine Vorstellung von Luxus ist sehr einfach und trotzdem nicht leicht zu bekommen.
An größeren Stränden, hier und auch in Famara, sind mir immer wieder kleine Bunker aufgefallen, die mit ihren zwei Schießscharten die Bucht im Blick halten wie ein klobiges Beton-Beutetier. Überbleibsel eines Krieges. Nur welcher? Weltkrieg? Hier? Ein Wehrturm aus dem 18. Jahrhundert stand auch in Playa Blanca. Definitiv andere Epoche. Ein Hotspot von damals, der nicht leicht zu übersehen war.
Die rostigen Stäbchen stecken ab und an auch wieder im Boden und endlich finde ich eins, auf dem noch das offizielle Zeichen klebt, das besagt, dass ich mich auf einer monumentalen Route befinde. Ich muss leoder feststellen: Wandermarkierungen und Wegweiser sind auf der Insel kaum zu gebrauchen. Sie stehen zwar hier und da gemeinsam mit total verwitterten Hinweisschildern herum, aber wir Wanderer sind offenkundig nicht das Zielpublikum mehr. So ist auch der GR 135 zwar seit 8 Jahren projektiert und mit den alten Zeichen in seiner Ausprägung auch schon da, aber suchen muss man ihn sich schlussendlich selbst... mitunter mit gefährlichen Sackgassen. Auch heute muss ich einen Abhang auf auf allen Vieren herunterrutschen wie auf Skiern, weil der Weg plötzlich einfach im Nichts verschwindet, weil ihn Jahre keiner mehr gegangen ist. Abhänge sind hier selten Fels und eher halb loses Geröll, das bei jeder Belastung sofort nachgibt. Aber so gelange ich in ein kleines Barranko, in dem eine bewundernswerte Kriechpflanze sei Unwesen treibt wie das Gestrüpp in Krieg der Welten, um Tennisballfrüchte zu erzeugen. Da soll man meinen, im Boden wäre kein Wasser. Da hat sich das Einstauben sogar gelohnt. Was solls, jede Bucht macht mich wieder sauber und so komme ich mach 10 Stunden im Zielort Playa Quemada an.
Es ist ein kleiner Fischerort ohne nennenswerten Tourismus. In der Bucht liegen viele runde Reusen im Wasser. Mein Verschlag wird mir durch die gute alte Schlüsselbox bereitgestellt. Langsam gewöhne ich mich daran. Es ist toll, auf diese Weise auf keine Zeitabsprache angewiesen zu sein. Egal wann ich komme, mein Bett ist bezugsbereit. Der Kontakt zu den Besitzern ist in der Regel klasse. Das funktioniert halt auch zugegebenermaßen gut mit dem Booking-Punktesystem, Kritik am Portal hin oder her. Man bemüht sich immer.
Aprolos Mühen. Heute will ich Fisch, den hab ich mir verdient. Gestern und vorgestern war ich aus Prinzip nicht essen. Allein wie die Kellner einen auf der Promenade angeiern. Hier gibt's das El Pescador. Ich muss es gar nicht sehen, um zu wissen, dass der Laden das ist, was der Name verspricht. Es ist ein Wunderland aus Öl, Knoblauch, Saugnäpfen, Flossen, Pilzen, Gewürzen, Salz, Schrumpelkartoffeln und noch mehr Öl. Heute lasse ich es krachen, aber so richtig.
Neben mir sitzen vier Freunde. Sie unterhalten sich in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch gleichzeitig. Man kennt sich, der vierte kam eher zufällig dazu, weil man sich hier doch irgendwann mal vor Jahren hier begegnet ist. Ein deutscher, Thomas, lebt hier, seine Halbschwester aus Frankreich ist zu Besuch. Der Bekannte kann aber nur Englisch. Thomas muss alles bestellen, alle haben einen riesen Spaß, der Kellner rechnet deren acht Weine auf meiner Rechnung ab. Auf den Schreck hin gibt's einen Lo-Siento-Kuchen für mich.
Ich beobachte die Vier, verfolge die Gespräche, stelle fest, dass ich mittlerweile in allen vier Sprachen folgen kann und werde etwas wehmütig. Das hat sehr viel von dieser Jakobswegathmosphäre, die ich schon etwas vermisse. Ich würde mich ja am liebsten dazu setzen. Aber das ist leichter gesagt als getan: Wir haben leider keinen alle-verbindenden Weg.