Circular de Lanzarote

14.09.2021 Spider-Man

  

Ich hab mir einen Wecker gestellt, denn ich habe einen wagen Plan: Frühstücken in der Abfüllkantine auf Ebene -1 und dann um 9 Uhr gleich den Automann in der Lobby abfangen. Ich habe gestern gedacht, dass es für den letzten Tag doch cool wäre einen Wagen zu mieten. Einige Autovermietungen habe ich an der Promenade abgeklappert und nur "Completos" kassiert. Das Frühstmögliche wäre der 25.9. gewesen. Tolles Geburtstagsgeschenk, aber da bin ich schon weg. Schnief. Insgeheim hatte ich mit dem Gedanken gespielt, auch mal mit so nem Fiat 124 Spider auf der Insel rumzucruisen und zu tun, als wäre ich 23 Jahre jung und mega checkend. Sowas hab ich noch nie gefahren. Somit bedindet sich auch meine Hoffnung bei der Lobbyagentur in einer frohsinnigen Abwehrhaltung und checkt schonmal den Busfahrplan, bis der Agenturmann kommt. Punkt 9 Uhr ist er da und hat genau einen Schlüssel dabei. Ich hab Riesenglück. Der Wagen ist erst wieder ab Übermorgen vermietet. Phantastisch! 5 Minuten später befinde ich mich im Besitz eines Schlüssels zu einem ... ähm... Würfel. Hmm. Fiat Qubo. Nie gehört. Yeah. Das ist eher mal das krasse Gegenteil eines Spiders, kommt aber mit seiner Pizza-Lieferwagenform in Sachen Sexappeal dem 124er meiner Eltern höchstwahrscheinlich deutlich näher. Aber hey, es ist ein Fiat! Das wichtigste Qualitätsmerkmal ist somit erfüllt. Und wenn ich mich ganz ganz flach auf den Boden lege und die Kamera auf Weitwinkel stelle wie bei dem BMW bei Famara... da guck... alles nur eine Frage des Blickwinkels und schon habe ich einen Spider. Und das dazu nötige Wroooom liefert während der Fahrt mein unwiderstehliches Organ.
Also was tun mit der sich gerade auftuenden Fülle an Möglichkeiten... ich hab doch keinen richtigen Plan!... äh... ins Inselinnere, da, wo ich durch die Wegführung nicht hinkomme. Weiter auf Manriques Spuren wandeln? Klingt nach nem Plan. Ich breche auf in Richtung Inland nach San Batolomé zum Monumento al Campecino, das er Anfang der 70er als Lobgesang für die Bauernkultur der Insel errichtet hat. Schlecht gestapeltes Tetris ist das. Deswegen ist es wohl nach 50 Jahren auch noch nicht verschwunden. Der Bauernbezug erschließt sich mir unbelesen kein Stück. Aber es ist eins der wenigen Motive, zu dem von 72 und 96 ein Bild existiert. Also steuere ich eins bei. Manrique hat das Muesum dazu gestaltet, aber der Gehalt hält sich in Grenzen, wie bei vielen seiner Tourihighlights. Es soll offensichtlich einen Kopf im Strandurlaub mit nicht allzu fülligen Informationen vernebeln oder so. Und jetzt? Timanfaya ist 15 Minuten entfernt, der Jardin de Cactus ist 15 Minuten entfernt, Famara ist 15 Minuten entfernt... die ganze Insel schrumpft mit einem fahrbaren Würfel auf Themenparkgröße zusammen. Nach zwei Wochen Umrundung stelle ich erstaunt fest, wie auf einmal der nächste Supermarkt oder ein steiniger Weg kein Gedanke mehr wert ist. Lanzarote wird dadurch von einem Lebensort auf einen Vulcano Island Entertainment Park degradiert. Manrique gibt sich als Gastgeber und stellt Attraktionen im Park auf.
Na gut, dann folge ich dem Park-Plan mal und fahre nochmal nach Timanfaya in den true official Part des Nationalparks. Dabei durchquere ich Masdache. Ach guck, der Namensgeber des Bungalows ist hier. Ist aber kein Hingucker, der zugehörige Vulkan. Ich mache eine Bustour mit, gucke wie Gras in einer immer noch heißen Stelle im Boden nur durch die empor steigende Hitze Feuer fängt, schaue zu, wie Wasser, das ein Parkmann in ein Loch im Boden gießt nach 5 Sekunden als Geysir wieder herausschießt und kaufe mir tatsächlich in der Tienda des Park-Miradors eine Mitbringsel-CD. So. Hab ich das auch nochmal gesehen. Und? War das besser als die Caldera-Blanca-Tour vor ein paar Tagen? Nö. Es hatte die Intensität von Fernsehgucken. Aber hey, ich hatte voll Schwein und konnte als erster in den Bus und somit Kino aus der ersten Reihe erleben. Das ist ja schonmal was ganz Besonderes, ja! Was hängen blieb: Der letzte Ausbruch war 1824, Pfarrer Curbelo aus Yaiza hat in den 1730ern Ausbruchchroniken geführt und es leben 800 Tierarten hier, sogar ein Geier und das heiße Tal der Stille ist vornehmlich eine Buswendeschleife. Und Bus fahren sollte man hier können. Von hier oben erkenne ich, dass mein Regenbogenberg tatsächlich der Vulkan in der Webseitengirlande ist.
Und nu? Hm... da ist ein Ort namens Nazaret. Ich fahre nur hin, weil der Orr so heißt. Statt Jesus entdecke ich das Lagomar, das Ferienhaus von Omar Sharif. Leider geschlossen. Schade, da wäre doch wieder so ein heftig türkiser Pool drin gewesen. Also geht's weiter zur ehemaligen Inselhauptstadt Teguise. Sehr pittoresque mit dem Zwiebelturmkirchlein und dem Marktplatz, das von patschuli riechenden Art- und Nature Shops umgeben ist. Ich gehe mal in einen rein. Dachte ichs mir doch. Fernost-Ethno-Kram, den es auf jedem Weihnachtsmarkt genauso gibt. Kunst ist das nicht. Der Rest des Orts ist halt Ort... mit weißem Beton und grünen Fenstern as usual, also weiter. Einmal quer über den Kamm auf die Ostseite und schon bin ich beim Jardin de Cactus. Hier war ich vor 25 Jahren auch. Es ist mit die letzte Atteaktion, die Manrique vor seinem Tod noch ersonnen hat. Damals war es gerade eröffnet worden. Alle Kakteen waren ganz klein. Das hat sich sehr geändert und ich muss sagen, es ist die bisher eindrucksvollste Kreation des Künstlers und durch und durch stimmig. Tolle Pflanzen kann man in diesem ovalen Hitzekessel bestaunen. Über eine Stunde lichte ich viele spannende Gewächse ab, bis ich schweißnass weiter fahre, denn zum Mirador del Rio ist es von hier jetzt auch nicht mehr weit. Zack, stehe ich wieder vor einem Manrique-Monument, das für ne schmale Mark einen wirklich wirklich beeindruckenden Blick auf ganz La Graciosa und die Famara-Steilküste samt abgerundeter Skybar liefert.
Damals haben wir ein paar Meter daneben geparkt, um uns den Eintritt zu sparen. Aber der Mirador klebt halt direkt auf dem Abgrund und es ist eine andere Nummer. Ein bisschen wehmütig werde ich, als ich den tropischen Strand auf der gegenüberliegenden Seite des Inselchens erspähen kann. Der ist unübertroffen. Trotzdem parke ich auch danach ein paar Meter daneben, um meiner eigenen Version von damals einen aktuellen Stand zu verselfien.
Es ist halb 5 und mich zieht es zurück ins Hotel, noch einmal ins Saunaraumschiff gehen und ich würfle mich zurück in Richtung Arrecife an schräg klingenden Orten vorbei... Ye... Soo... Uga...
Heute Abend môchte ich eigentlich nochmal Fisch essen gehen, aber bestimmt nicht in Puerto del Carmen. Dank meines Würfels fahre ich also zurück ins verschlafene Playa Quemeda zum El Pescador von gestern, bestelle den Fisch des Tages und den Pilzeintopf und beobachte, wie die Sonne hinter den Bergen verschwindet und der Himmel zum Regenbogen wird.
Volll mit Fisch im Bauch, ziehe ich mich aus und gehe neben dem Restaurant ins Meer und schwimme in die schwarze Salzsuppe zu den ankernden Booten hinaus. Der erste ruhige Moment heute und ich fange während des rumpaddelns an rumzudenken. Der Tag hinterlässt einen erschlagenden Eindruck. In 9 Stunden habe ich mit 200 Kilometern die selbe Distanz mit dem Auto zurück gelegt wie zu Fuß in zwei Wochen. Das Erlebte beschränkt sich auf Selfies und Hot-Spot-Bilder und ist im eigentlichen Sinne keine selbst erlebte Erfahrung, sondern eine Inszenierung, für die Manrique als maßgeblicher Einfluss lukrativ gefeiert wird. Um ehrlich zu sein habe ich das Gefühl, die ganze Insel ist dieser Inszenierung ein Stück weit zum Opfer gefallen. Man hat ihm damals weitreichenden Gesttungsspielraum gestattet, was in meinen Augen dazu führte, dass eine Insel entstand, die den Tourismus als Ersatzursprünglichkeit für sich proklamiert hat. "Planet Risa". Fehlt nur noch ein Wetterkontrollsystem im Orbit. Aber mir gefällt dennoch als Kunstobjekt ansich bettachtet ein Großteil dessen, was Manrique sich so ausgedacht hat. Es hat eine unverkennbare Ästhetik.
Ich hatte eigentlich nur mit Leuten zu tun, für die die Insel zur Wahlheimat wurde. Ein Großteil der Einheimischen arbeitet in den Touristenorten und lebt im Inland. In weiteren 50 Jahren wird man "Ursprünglichkeit" wieder neu definieren müssen. Ob es das dann alles immer noch so gibt? Immerhin: der Billig-Brite wird langsam verdrängt. La Gomera, La Palma und selbst Fuerteventura erschienen mir gelassener und echter. Aber was heißt schon echt. Das hier ist ja eigentlich echt. Es ist der heutige Zeitgeist, über den in 200 Jahren auch geurteilt werden wird, wohingegen romantische Ölgemälde von Billig-Promenaden und Bettenburgen wohl keine Restaurants mit Namen wie "Zum schlendernden Touristen" schmücken werden. Es bleibt wohl eher das stereotype Bild des arbeitenden Pescadors, barfuß mit Hut, kniend vor seinen Netzen neben seinem Holzboot am Strand.
Als es dunkel wird, fahre ich zurück und schaue einmal beim Rollfeld den Fliegern beim Starten zu. Morgen bin ich da auch schon drin und dann ist dieser 15 Tage lange Tag zu Ende. Immer wieder stelle ich fest, wie diese Art des Wanderns die Tagesgrenzen verschmelzen lässt. Das waren keine zwei Wochen, das war ein 360 Stunden langer, trockener und heißer Tag mit hitzigem Abschluss. Und ich lege den Schlüssel an der Rezeption auf dem Tisch.