GR131 2019 Fuerteventura

04.11.2019 Antigua

  

Zum Frühstück klopfts an meiner Zimmertür. Ich darf wählen: Basic für 3 oder Super für 6 Euro. Ich tanke für die nächste Etappe natürlich Super, bestehend aus Ei, Schinken, Joghurt, Müsli, Gebäck und Fuerteventura-Videos in 4K vom Fernseher. So bonbonblau ist Wasser noch nie hier gewesen wie auf diesen Hochglanzdrohnenvideos auf YouTube. Clara, die Besitzerin, liebt sie dennoch und besteht darauf, dass es wirklich wirklich so aussieht. Zum Beweis zeigt sie mir selbst geinstagramte Fotos vom Handy. Naaaaa gut! Aber das Azurblau kann Atlantik nie und nimmer. Da muss schon Kreta her.
Ihre Tochter Angelina und ihr Freund kommen dazu. Es entwickelt sich eine viersprachige Konversation über Wandern und schöne Ecken auf Fuerteventura. Clara lebt seit 1 Jahr erst hier und ist eigentlich Italienerin. Sie berichtet stolz, dass im Sommer eine Frau wie ich (?) alle kanarischen Inseln in 3 Monaten überquert hat. Die Tochter ist aus Trieste zu Besuch. Sie kann Englisch und Fetzen Deutsch. Ajuy will sie erkunden. Da war sie noch nicht. Hmm schade. Daran komme ich wohl nicht vorbei, ohne einen gehörigen Umweg in Kauf zu nehmen.
Ich mache mich langsam auf den Weg. Die Familie auch. Glasflaschen wegwerfen am Observatorium oben an der Windmühle über dem Haus. Ach, hier werden Sterne geguckt? Und tatsächlich komme ich beim Weitergehen dran vorbei. Schöne Mühle daneben. Die wird gemalt. Der Rest des Wegs ist najaaaa... hoffentlich wirds mal netter. Wieder viel Wüste. Irgendwann Valle de Santa Inés. Einfamilienhaus-Neubausiedlungen mit großen "Gärten". Na viel Spaß beim Rasen sähen. Echt jetzt, hier will man wohnen? Keine wirkliche Freude hier rumzulaufen. Es ist bewölkt und kühl. Nach dem Ort verlasse ich den Weg und laufe auf der Straße in Richtung Antigua. In Betancuria gibt's keine Unterkünfte. Egal. Ich möchte dort zwei Nächte bleiben. Antigua hat einen niedlichen Ortskern mit Rasenfläche (!) und einem nach Chlor riechenden Springbrunnen. Ich stecke meine Füße hinein und studiere die Karte. Der Wanderweg SL FV 29 verbindet Antigua und Betancuria auf direktem Wege über den Bergkamm, auf dem ein Aussichtspunkt thront. Cool, Plan für Morgen steht also. Schnell noch den örtlichen Minimercado um Clipper Fresa Zero und 7up Sabor Mojito sin azúcar für später am Pool erleichtern und weiter zur Unterkunft. Sie liegt am anderen Ende der Ortschaft versteckt hinter rot bemalten Mauern. Nur eine Tür. Daneben eine Klingel mit der Aufschrift: "¡No te sorprendas, siempre necesito unos minutos!" 3 Minuten später steht eine pummelige Frau grinsend vor mir und sagt, ich solle mal kräftig vor die Tür wemmsen, die ginge sonst nicht auf. Wemmsend flieg ich ihr fast in die Arme. Sie lacht, guckt mich an und meint "Deutsch, ne? Und du läufst über die Insel? Mit den Schuhen? Und dem Säckchen? Geil." Sie heißt Malole, ist 42, hat jahrelang in Wien gelebt und jetzt die Hacienda von ihren Großeltern geerbt. Mit ihrem Mann betreibt sie seit 2 Jahren ein Hotel darin und hat augenscheinlich irre Freude am Job. Ich bekomme erstmal eine Einführung in die Familien- und Hausgeschichte seit 1890. Es war mal ein Bauernhof. Seit 2000 das erste Inlandshotel (Hotel rural) der Insel für stressgeplagte Strandbettenburgenhasser. Heute Abend werde ich wieder mal eingeladen. Freunde kommen, ich könne mitessen. Sie würde mich auch gerne irgendwo hinfahren. Ich könne das doch nicht alles laufen! Puuuh, das ist schon ein Angebot, zumal es bis La Pared über 38km werden übermorgen. Sie hat nen Plan: sie bringt mich nach Ajuy dann könne ich von dort aus loslaufen. Boah, das IST ein Plan, so sehe ichs doch noch. So machen wirs. Aber bis dahin erstmal nen Ruhigen machen hier. Die Sonne kommt termingerecht heraus. Der häusliche Pool muss dringend zwingend durchpflügt werden.
Abends gab's die versprochene Suppe mit Tomate und Ei. Alle Gäste kamen zusammen. Zwei Mädels aus Österreich gesellen sich zu mir. Es stellt sich heraus, dass eine von ihnen seit 14 Jahren mit Malole befreundet ist. Sie haben beide eine Herberge in Wien geführt. Zu späterer Stunde und nach viel Weißwein gesellt sich der 62jährige Dave aus London zu uns. Er hat ein ausgesprochen intensives Kommunilationsbedürfnis. Sein Job ist Kommunizieren und Vortragen vor hunderten Leuten in der Gesundheitsbranche. Wir vier sitzen lange zusammen, irgendwann bricht mein Englisch unter dem Weißweinkonsum zusammen und Malole schickt mich mit Marzipankuchen aufs Zimmer. Aber hey, so schlimm ists noch nicht. Ich kann das hier noch schreiben. Es ist still geworden. Lautlos fliegt eine Fledermaus durchs Gemeinschaftswohnzimmer...