07.09.2020 AbraCaRiBes | ᐸ ᐳ ᐱ |

Ich sei doch Informatiker, da kann ich doch mal nach dem Laptop ihrer Tochter Una schauen. Sie reicht mir den Laptop. Sabrina ist nett und zuvorkommend in ihrer speziellen Art, wirkt aber irgendwie leicht verpeilt und schaut an mir vorbei ins Leere, während sie mit mir spricht. Ich habe das Gefühl, sie ist mit den Gedanken immer halb woanders. Ich frage sie, ob sie hier ihr Glück findet und was sie hier so macht. Sie schaut sekundenlang regungslos in den Raum, kneift die Augen zu und winkt ab. "I don't know what I'm doing here..." Sie lebt derzeit von ihren Behausungsvermietungen.
Während ich in einer Art Badezimmer im Garten stehe, geht sie zu den Deutschen und bereitet vor, dass ich jetzt kommen werde, natürlich wieder ganz zum Ärgernis ihrer polnischen Freundin, die das - ein wenig zurecht - übergriffig findet. Aber es meint ja niemand böse, also gehe ich brav und mutig hin und stelle mich auch mal vor. Da ist sie wieder, diese stetige, unterschwellige Angst davor, abgewiesen zu werden... wie in der Disko...
Vor mir stehen Simone und Harald. Um sie herum tanzt ihr zehnjähriger Sohn Emilio. Die beiden sind vor knapp 5 Jahren nach La Punta gekommen und wollten eigentlich nur 3 Monate hier bei Sabrina bleiben. Es wurden Jahre. Warum, frag ich. Simone erzählt, dass sie BWL studiert hat und aus Dresden kommt, Karrierefrau war, viel Geld verdiente. Harald ist Altenpfleger aus dem Sauerland bei Arnsberg und schon seit 20 Jahren auf der Insel. Sie hat ihn auf der Insel kennen und lieben gelernt, dann hat sie beschlossen ihr altes Leben aufzugeben. Beide wohnen seitdem in der Hütte von Sabrina, kaum größer als ein Wohnwagen. Sie machen Upcycling aus Sperrmüll und Kunsthandwerk, manchmal Altenpflege, was halt so kommt. Emilio lebt mit ihnen, ging hier in den Kindergarten und auf die Schule, dann Internetschule, dann Heimunterricht durch die Mutter. Harald kommt mir in seiner Aussteigerexklusivität überheblich vor. Er sei froh aus dem Spießerloch raus gekommen zu sein so schnell er nur konnte, erzählt er, während er seine Stifte sortiert. Simone wirkt ruhig und besonnen. Sie beizt gerade eine kleine Holzschranktür, die sie auf dem Sperrmüll gefunden hat. Darauf soll ein Bild entstehen, das sie dann auf dem Markt verkaufen will. Eines Tages hatte sie keinen Sinn mehr in Karriere und Sicherheitsbewusstsein gesehen. Sie meint, dass doch irgendwann jeder 30-50 Jährige in dieser Gesellschaft an den Punkt komme den Sinn des Ganzen nicht mehr zu begreifen. Harald pflichtet bei. Jeder muss erstmal wieder bei Null anfangen, um gesunden zu können. Zwei Wochen reichten da nicht. Auf der Insel wäre für sie beide alles einfacher. Ich würde das doch verstehen, ich gehöre doch auch hierher. "Du siehst doch auch gar nicht so aus wie die Käsedeutschen!", grätscht Emilio hinein. Harald schaut etwas verabscheut, als ich berichte, dass ich am 1.8. mein 20-jähriges Dienstjubiläum gefeiert hab. "Gefeiert?!?" Ich werde regelrecht langweilig. "Ach, du solltest besser hier sein.", sagt Emilio und nickt sich bestätigend zu. "Schau mal!" Er streckt die Hand aus. "Glitzerschleim, gibts unten im Laden für nur 1,25 Euro." Mir wird Schleim gereicht. "Hast du schon mein Tatoo gesehen? Er zeigt mir seinen Bauch. "Das war auch nicht teuer und hält schon laaange." Ich glaube ihm und muss gerade sehr an Noras zehnjährigen Sohn Leander denken, dem ich letztens ein Glitzereinhorn auf den Arm gemalt... also "tätowiert" hab. "Bis letzte Woche hatte ich noch lange Haare. Kannst du dir DAS vorstellen?" Ich schaue auf meine Haare... Neeeiiin was eeehrlich? "Ja! Aber mit Ponny, nicht so'n Pferdezopf wie du! Aber alle im Dorf haben mich dann immer Emilia genannt und da hab ich sie mir abgeschnitten, obwohl ich sie ja eigentlich mochte!"
Emilio choreografiert regelrecht, während er spricht. Ich nehme ihn auch mit kurzen Haaren eigentlich nur als Junge wahr, weil er im Gegensatz zu Sabrinas Töchtern kein Hemd trägt. Emilio geht schließlich rüber zu ihnen, um mit Schleim und Sahne in Unas Plastikküche neben dem Badhäuschen zu "arbeiten". Ich gehe und leere meinen Rucksack, um ihn für morgen schonmal vorzubereiten. Ich hab echt Schwein. Direkt unter dem Haus führt der GR 131 entlang und ich bin schon in 761 Metern Höhe. "Was ist das?" Emilio rennt zu mir und zeigt auf Herrn Bunt, der bei meinen Wandersachen liegt. "Herr Bunt", sag ich. "Und was macht er?" Sich überall fotografieren lassen, wo er noch nie vorher war! "Ah, ich verstehe! Dann darf er das auch mit mir!" Er nimmt Herrn Bunt und posiert, ich mache ein Bild. "So, und jetzt mit Papa und Mama!... okay nur Mama besser, aber... ich frag mal..." Er rennt zu Mama. Ich höre vom Weiten wie Mama sagt, dass langsam Bettzeit angesagt ist. "Ich darf nicht mehr kommen, gute Naaaacht!" klingt's über den Hof.
Die Sonne verschwindet im Dunst. Ich sitze in einem Wohnzimmersessel unter einer Palme, bis die Mücken kommen und mich ins Kinderzimmer zwingen, das ich jetzt doch für mich allein hab. Una schläft bei Mama, die anderen Geschwister spontan bei Freunden. Sehr gut, eine Mütze Ruhe kann ich vor dem morgigen Höhenritt noch echt gut gebrauchen.