Circular de Lanzarote

04.09.2021 Orzola

  

Die Jurte wird warm. Es muss Morgen sein. Sollte mal die Tür aufmachen. Ich stehe auf, gehe direkt in die Dusche mit Palme und lasse Wasser auf mich regnen. Nass wie ich bin setze ich mich in die Open Air Küche, esse Müsli und lasse mich vom Wind trocknen. Daran könnte ich mich gewöhnen. Nebenan schütteln sich drei Frauen rhythmisch zur Taktvorgabe einer Vorschüttlerin und ihrer Boom Box, aus der dezente Schüttelrhythmen durch die Luft und in meine Küche takten. Dachte schon, ich würde alleine hier wohnen.
Ich vertilge 300g Ökoknuspermüsli mit Ökomilch vom Lidl bzw. dem Honesty Shop - da stand das - und breche auf zurück zum Strand. Auf dem Weg dorthin bemerke ich das Straßenschild der LZ-1, das zwei Sehenswürdigkeiten von César Manrique in nicht allzu weiter Ferne ankündigt. Hmm... da ändere ich doch glatt meine Pläne. Arrieta und Punta Mujeres lasse ich also seitlich an mir vorbei ziehen, während ich etwa 5 Kilometer entlang der Hauptstraße und abrupt hinein in eine eintönig braunschwarze Lavalandschaft mit Flechtbewuchs, bis ich die Jameos del Aqua erreiche, eine Art... hmm... ich weiß nicht genau... geologische Kulturstätte oder so?!, die Manrique 1966 in das Ende eines unterirdischen Lavalaufs installiert hat, das sich als Loch zur Oberfläche auftut, um... hmmmmm... ne coole Abhänglocation zu schaffen? Davor ein Parkplatz. Hier steht ein weiteres urlaubsarchäologisches Relikt, das ich wiedererkenne. Ein Krebssymbol, vor dem vor 25 Jahren meine Schwester posiert hat! Na dann werde ich dem jetzt ein Update gönnen, bevor ich mich der Stätte widme.
Ein Häuschen am oberen Ende erleichtert mich um 10 Euro, bevor es Wendeltreppen aus Lava und Holz abwärts geht in eine... Bar. Dahinter tut sich dann tatsächlich eine optische und evolutionäre Attraktion auf. Eine Höhle, die der Inselkünstler durch Lichteffekte mehr oder weniger gekonnt in Szene gesetzt hat, die aber dadurch vom eigentlichen Ereignis einfach nur ablenken: von kleinen, weißen, blinden, Krebsen, die sich als endemische Abart in einem unterirdisch gespeisten Meerwassersee ausschließlich in dieser Höle entwickelt haben. Ich war damals zwar hier, aber wirklich wahrnehmen tue ich das erst jetzt, mit einer gewissen Art erfahrenem Respekt für die bewundernswerten Abstrusitäten der Welt wie diese hier. Ich bin fasziniert und beobachte minutenlang das emsige Krabbeln unzähliger weißer Pünktchen im tiefen Blau des Sees. Als 16-jähriger hatte ich andere Interessen. Wahrscheinlich hätte mich eher ein überteuertes Stileis aus der hiesigen Bar angemacht, wie heute die Teenis das Selfie vor ihrem neuesten Ich-war-hier-Instagram-Ablichtprodukt, das morgen schon durch das nächste verdrängt wird... sprachs und machte erstmal ein Selfie.
Es geht seitlich durch die Höhle bis zu einer durch ein Sonnensegel rot getünchen Bar... what else... ist ja schon 100 Meter seit der Letzten... dann hinauf zu einem Pool, in dem man nicht schwimmen darf. Was für eine bekloppte Verschwendung. Aber gut, da hätte ich wohl nicht alleine Lust drauf. Dahinter ist ein Hölenauditorium, bevor es dann wieder Wendeltreppen hinauf geht in eine... Bar... und zum Manrique-Merch. Dann durch die Glastür und ich stehe ein paar hundert Meter entfernt wieder auf dem Parkplatz. Das war's. Viele Besucher hier. Läuft. Innerlich würde ich Manrique am liebsten mit meiner Chlorwasserflasche zuprosten. Was man aus nem Loch alles rausholen kann. Vor allem Geld. Nicht jedoch ein intensivierendes Gefühl für die Geologie, die Kultur, die Fauna oder ein Lebensgefühl. Es wirkt wie eine futuristische Comicvorstellung der 60er von Entertainmentvorlieben der kommenden Generation, bevor es dann stattdessen Massentourismus gab, der hier wie durch eine Geisterbahn durchgeschleust wird und weder an der künstlerischen Architektur noch an der endemischen Spezies wirklich Anteil nimmt. Epic Fail. Aber das Wasser war echt krass blau in dem Pool. Selfie.
Ich erfahre aber, dass der unterirdische Lavastrom 8 Kilometer lang ist und bis zum Monte Corona führt, den ich gedenke morgen zu besteigen, wenn es die Zeit zulässt. Und 2 Kilometer höher von hier existiert ein zweiter Einbruch, der begehbar ist. So nah! Ich muss hin!
Dort angekommen realisiere ich, auch hier war ich damals schon. Da ist diese Höhle mit Spiegelwasser drin. Weitere 10 Euro weiter stehe ich mit einer Gruppe und Führung vor dem Einstiegsloch. Routiniert führt sie durch eine Höhlenlandschaft, die ebenfalls durch Manrique, der sich "sehr gut mit Elektrizität" auskannte, optisch durch Illuminationen und akustisch durch psychedelische Klänge von Alan Parsons Projects Album "I Robot" von 1977 inszeniert wird. Nein, letztere Info habe ich nicht vom Guide erfahren, das weiß man! So wird leider auch dieses Hölenerlebnis zu Manriques Höhlenerlebnisinterpretation, die wir Touristen jetzt auch toll finden sollen. Erinnert mich sehr an die Geisterrikscha im Phantasialand, die übrigens auch 40 geworden ist. Das war wohl der Zeitgeist damals.
Ich glaube heute würde man dem Manrique einen erzählen von wegen >Erhalt der Natur<, nicht >Fun City< daraus machen. Aber wo das nunmal schon so geworden ist, klingelt so schön die Kasse, also who cares!
Ungeachtet dessen haben die Lichteffekte was. Der illusorische Spiegelsee fasziniert auch 50 Jahre später noch die Besucher, die voller Überraschung begreifen, dass es keine tiefe Höhle ist, sondern eine 10cm tiefe Pfütze, als der Guide einen Stein hinein wirft. Damals fand ich das Farbspiel einfach nur geil. Ich wollte es auf Dia bannen. Aber ein ISO-100-Film in einer billigen Kompaktkamera ließ das nicht zu. Tja und jetzt... mein Handy kann ISO 12800. Ein Jugendtraum wird endlich wahr: Ich hab mein Höhlen-Dia! Endlich!! Hätte ich das heute morgen geahnt...
Mein nigel nagel neues Experia 5 Mark II bekommt hier unten heftig was zu tun. Meine Gruppe ist irgendwie... weg. Ich bin allein im Höhlenspektakel. Egal. Ich schließe mich der nächsten Gruppe einfach an. Hat keiner gemerkt... hehe.
Weiter geht es entlang der LZ-1, die jetzt scharf an der Küste entlang bis Orzola führt. Auffällig viele, als Abarth aufgemotzte Fiat 124 Spider kommen mir als Leihwagen entgegen. Befahren von jungen Leuten. Aufgefallen ist es mir auch, weil Papa erzählt hat, dass auch sie einen Fiat 124 damals 1972 hier auf Lanzarote gefahren sind... mehr über Schotterpisten als Straßen, die es damals noch nicht in der Fülle gab. Na die Kiste wird wohl nicht halb so cool ausgesehen haben. Aber die Leute in der heutigen Version sind genauso alt wie meine Eltern es vor 50 Jahren waren. Wie sich die Bedürfnisse geändert haben...
Immer wieder gibt es kleine Buchten, die durch weißgelben Sand und grünen Bewuchs krass aus der monotonen Lavalandschaft herausstechen. Türkises Wasser. Jede Bucht ist ein kleiner Publikumsmagnet, es sei denn, das Auto reicht nicht heran. Ich nutze die Stellen zum planschen und halte mich weitestgehend an die Straße. Das Lavagestein auf dem parallel führenden Geister-GR-135 ist doch ne ziemliche Herausforderung, muss ich gestehen. Ich bin ziemlich langsam auf dem Gestein und es ist echt scharfkantig. Wie das wohl auf der langen Durststrecke entlang des Timanfayagebiets wird... dachte ich besorgt, da liegen abseits der Straße auf eimal zwei schwarze Huachares mit Profil-Vibramsohle herum, die wohl jemand verloren haben muss. Ich muss unweigerlich laut lachen. Da ist es wieder, dieses komische Glück, das nur auf den Wegen auftritt. Was ist das schon wieder für ein irrwitziger Zufall?! Ich halte sie an meinen Fuß. Sie passen. Ich stecke sie ein. Ich werde sie sicherlich brauchen.
Gegen 18 Uhr erreiche ich Orzola, den nördlichsten Punkt der Insel. Und da, direkt neben dem örtlichen Supermarkt, prangt eines der altgewohnten GR-Wegweiser. Ich wollte schon in "Und-es-gibt-ihn-doch!"-Jubel ausbrechen, bis mir einfiel, dass in Orzola ja auch der Lanzarote-Teil des GR 131 bzw. E7 beginnt, der die Insel durchs Inland überquert. Ach was soll's. Diesen Moment begieße ich mit Aloe Vera Erdbeere, Clipper Lemon Zero und Eistee Maracuja aus dem Supermarkt 🌈. Ich hab tierischen Durst.
Diese Aloe-Vera-Drinks mit Stückchen sind schon klasse. Auf meinem bisherigen Weg bin ich an vielen Plantagen vorbeigekommen. Manche nennen sich Aloe Vera Museum und sind eintrittsfrei. Jaja... Butterfahrt sag ich nur. Aloe sollt ihr fehlgeleiteten Touris kaufen! Obwohl... in das Nächste schau ich mal rein. Vielleicht haben die diese Dinks ja auch in Groß.
Am Hafen trifft das Schnellboot von La Graciosa ein und ich studiere den Ticketschalter... hmm... einfache Fahrt 10 Euro if you pay in advance, sagt der Ticketmann...
Mit einem Hin-und-Rückfahrt-Ticket für morgen gehe ich auf die Suche nach meiner Unterkunft. Ein Anruf und der Besitzer kommt, um mich in ein weißes Häuschen am Hafen zu lassen.
Jetzt liege ich ereignisbeladen auf der Dachterasse, beobachte, wie die letzte Fähre entladen wird und lade die Bilder das World Wide Web.
Der Tag morgen wird wohl wieder anders ablaufen und ich muss umdenken. Mal sehen, was das Crowded-Hidaway zu bieten hat...