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32.07.2013 - "Sag mir, wo ich beginnen soll ..."

Es regnet. Aber ich hab ein Frühstück, also scheint die Sonne. Um halb 9 besuche ich doch noch den Dom von innen und mache noch ein Foto vom 0 km Stein. Es ist Pilgerandacht in einer Kapelle im Seitenschiff. Habe mich bewusst gegen die Hauptmesse entschieden und es war richtig so. 10 Leute saßen allein im noch geschlossenen Dom. Begleitet wird die Andacht von einer virtuosen Querflötenspielerin, die sich die Akustik des Doms gänzlich zu eigen macht. So und nicht anders hätte ich den Abschluss der Reise gewollt.
Eineinhalb Stunden später geht mein Zug zurück nach Oslo. Ich verlasse Trondheim und der Himmel klart auf. Die Sonne kommt heraus und es stellt sich ein ähnliches Gefühl wie letztes Jahr ein: Das Videoband ist nach 20 Tagen Spielzeit am Ende und ich spule alles in 7 Stunden zurück auf Anfang. Ich könnte jetzt im Akkord alle 20 Minuten eine Station stempeln. Trotzdem wirkt alles fern aus dem Zug heraus. Wir fahren endlos durch Wälder und an den roten Höfen vorbei, eine Std. später das Dovrefjell, eine halbe Stunde später liegt es hinter mir ... Lillehammer ... Hamar ... Eidsvoll, wo ich vor mehr als 2 Wochen eine richtige Entscheidung getroffen habe ... Oslo. Mir ist schwindelig. Ich checke im Anker Hostel ein und setz mich aufs Bett. Ich hab ein 8-Bett Zimmer allein. Gut, dann wecke ich wenigstens keinen morgen um halb 4. Mein Flug geht um 6:30 zurück nach Berlin Tegel. Ich war doch grad erst hier angekommen! Verdammt, dreieinhalb Wochen, als wäre nichts gewesen. Aber es ist eine Menge gewesen und ich fühl mich ganz anders als letztes Jahr. Ich fühl mich gelassen und richtig gut und freue mich, das Land so entdeckt haben zu können. Und ich freu mich auf zu Hause. Zum Abschluss suche und finde ich noch den 643 km Stein in Oslo und lege mich dort in den Mittelalterpark auf die Wiese, Robert liegt mir im Nacken und ich schaue auf den Sund. Die Sonne scheint, es ist fast wolkenlos und mir tut nichts mehr weh. Auch im Unterleib ist wieder alles normal. Es war wohl doch alles anstrengender, als ich mir eingestehen wollte. Und so endet heute dieser ereignisreiche Monat, bzw. dieser eine, sehr sehr lange Tag. Robert brummt, er hätte jetzt zum Abschluss noch gern eine Geschichte. Wie jetzt, hier? Ja! Eine Abenteuergeschichte! Bittebittebitte!! Hmmm ... Na gut. Ich hol das Gerät heraus, fang an zu lesen und Robert kuschelt sich ganz warm um meinen Hals:

"11.07.2013
Ich habe mich zu meinen Bettnachbarn gelegt und schreibe noch ein bisschen Tagebuch..."



Robert und Cindy sind vereint!

31.07.2013

Wache auf und es regnet Bindfäden. Finde es aber nicht schlimm irgendwie. Ob ich Trondheim nun im Postkartenwetter sehe oder so. Habe ohnehin nicht vor die Stadt großflächig unsicher zu machen. Binnen der letzten drei Tage hatte sich ein anschwellender Schmerz im Unterleib ausgebreitet und ich bin ein wenig unsicher, was ich davon halten soll. Ein Leistenbruch? Wenn es heute trotz der Entlastung nicht besser wird, muss ich wohl ein Auge drauf fallen lassen. Was mach ich jetzt? Hmmm... das Pilgerbüro ist erst ab 14 Uhr besetzt. Kathedrale? Die ist verschlossen, weil Bischhof xyz in selektierter Audienz abc sagt. Und ansonsten kostet das Gemäuer 70 Kr.... 9 Euro. Ganz ehrlich, dafür muss ich dort nicht hinein. Gut, dafür ist das Steinmassiv auch entvölkert. Unsympatisch. Das meiste Gedränge findet auf dem anliegenden Burghof statt. Dort ist Handwerkermarkt. Ich gehe erstmal zum Bahnhof. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass es mit meiner megagünstigen Online-hol-sie-dir-doch-selber-am-Automaten-ab-Karte Problemchen geben wird. Gibt es auch. Mein Code wird nicht angenommen. Der Richtige wurde mir an meine norwegische Handynummer geschickt, die ich nicht habe. Hmm... nach 10 Minuten debattieren bekomm ich den Zettel auch auuuusnahmsweise am Schalter. Ist auch das allerletzte Mal, versprochen ;-p So. Und jetzt ins Museum. Es regnet nämlich, hab ich das erwähnt? Gehe ins Rockheim, Museum für norwegische Pop und Rockgeschichte und komme 5 Stunden nicht mehr heraus. Die Ausstellung ansich scheint übersichtlich, solange man sich nicht selbst bemühlt mit einem grünen Laserpointer in den Räumen Dinge anzuvisieren. Hatte ein paar Minuten gebraucht, bis ich die Spielerei verstand. Aber was erst nur wie reizüberflutendes Kindertingeltangel aussah, entpuppt sich als ziemlich geschickt durchdachte, effiziente Informationsvermittlung. Was mich aber eigentlich so lange dort binden konnte war Gaute, 26, Musikwissenschaftsstudent, einer der Angestellten dort, der nach ein paar Minuten großen Spaß darin gefunden hatte, mir seine Wahrnehmung der norwegischen Musik zu vermitteln, während wir in der Ausstellung zwischen für ihn maßgeblichen Punkten hin und hersprangen und er mir Wikipediaeinträge zeigte, wo es seiner Ansicht nach wichtig war. Ich bekam quasi eine eher ungeplante, subjektive Privatführung. Besser gehts nicht :-D Elektronika sind sein Gebiet. Gut, da kann ich mich mit anfreunden. Und Death Metal, eines der international bekannten Säulen norwegischer Musik. Hochinteressant, aber laut und vor allem nicht meins. Er schaut auf die Uhr, stellt erschrocken fest, dass er schon seit 10 Minuten an der Kasse sitzen soll. Er verrät mir noch die alternativen Szenetreffpunkte in Trondheim, für die ich wohl leider keine Zeit haben werde und wir verabschieden uns. Mittlerweile ist es 16 Uhr. Es regnet. Ich gehe zum Radisson Garden Hotel. Ich will heute ein Zimmer mit Allem haben, vor allem Pool, Sauna und Frühstücksbuffet. Vor allem muss ich aber all mein Inventar waschen und das will ich nicht in einer Herberge. Der Rucksack ... naja ... er wurde 600 km weit getragen und das merkt man sehr sehr deutlich. Und weil der Glaspalast gerade renoviert wird gibt's günstige Zimmer. Gut ... günstig auf norwegisch, aber ich freu mich! Gebucht. Rüber zur Herberge, Sachen holen. Ich treffe Erich nochmal und wir können uns noch verabschieden. Ich treffe aber auch Inge und Ingrid wieder, die seehr froh sind, mich wieder zu sehen. Schön :) Dann zum Pilgerbüro. Eine Frau steckt mir einen dreiseitigen Fragebogen entgegen und prüft eindringlich meine Stempel. Ich bin Pilger Nummer 305 dieses Jahr, erfahre ich, und bekomme in feierlichem Ton den A3 großen Pilgerbrief und einen Pilgersticker für freien Domzugang, wann immer ich will, mein Leben lang. Flatrate-Beten im Nidarosdom, was für ein Privileg. Gut. Ich fühl mich wieder befördert. Hab jetzt drei Streifen am Revers. Uuh, bald mach ich noch Lois Konkurrenz. Nee, schaff ich nicht ... so karrierefixiert ist keiner sonst, den ich kenne. Verabschieden von I und I und ab zum Hotel, ich will schwitzen und planschen und alles alles sauber machen! Es regnet.

30.07.2013

Die letzte Etappe steht an und wird mit 29 km durchaus noch einmal lang. Aber ich lasse mir wieder einmal Zeit. Ich habe einen ganzen Tag gut gemacht und somit den ganzen Mittwoch Zeit Trondheim zu erkunden. Irgendwann nach 11 gehe ich los. Es ist blau und es geht langsam hinunter an die Fjordküste. Also endlich wieder mein Meer. Na Robert? Reinspringen? ... hmmm, nein, dieses Wasser ist ihm zu nass. Ich will auch nicht, denn abgesehen davon ist es auch gerade weg. Ebbe. Ich komme in Stadtnähe, das spürt man, auch wenn Trondheim als drittgrößte Stadt Norwegens nur ca. 180.000 Einwohner hat. Sehen kann man es aber noch nicht ao recht, außer daran, dass es ein paar Reihenhäuser und viel kleinere Grundstücke gibt, nicht die sonst eher üblichen zwei bis dreitausend Quadratmeter. Es geht wieder auf den alten Königsweg, bis schließlich der Weg schlicht ins Wasser des 500m breiten Sunds führt. Aha? Soll ich jetzt schwimmen? Nein, ein Holzschild weißt darauf hin, eine Nummer anzurufen, dann käme ein Boot. Oh toll. eine Wasserfähre wie in Spanien? Gleich anrufen. Keiner geht ran. Von einem Hof gegenüber des Sunds höre ich eine Kreissäge. Hmmm... da ich ein Boot am Ufer unter dem Hof ausmachen kann kombiniere ich, dass ich die Kreissäge abwarten könnte, um mehr Erfolg zu haben. Also erstmal Kekspause am Ufer.... Maaahnn wie lange sägt der? Wo ist die nächste Brücke? 12 km Umweg. Nein! Ich will Boot fahren! .... nach 15 Minuten höre ich, wie die Säge herunterfährt ... so, jetzt! Und es geht auch tatsächlich jemand ran. Ich lag völlig richtig. Der Sägenmann rudert mich rüber! Tolle Fähre! :-D Auch ein netter Kerl. Sein Hof hat aich eine kleine Stallherberge. Ich trink ne Villa bei ihm und wir kommen ebenfalls ins Gespräch ... zwei Stunden lang vergisst er die Säge und ich den Weg. Ich könnte mich an so viel Offenheit gewöhnen. Er bringt mir viel über die Energieversorgung in Norwegen bei, da kennt er sich aus. Aber auch mit den Sümpfen hier. Die roten Früchte, die ich dort gestern gesehen hatte ist etwas, das angeblich nur in Norwegen wächst und Molte heißt. Sieht aus wie eine gigantische orangene Himbeere am Stiel und man macht Marmelade daraus. Schade, ich dachte, es wäre giftig und habs nicht probiert. Um 15 Uhr gehts dann weiter, ich komm am 14 km Stein vorbei, der noch einmal auf einem 200m hohen Berg steht. Der letzte Wald, der sich bis direkt an Trondheim heranzieht und mich bei einer Skispringschanze in die Stadt entlässt und damit auf die Zielgerade hinunter zum Niadros Dom. Doch ich ziele nicht allein auf den Dom zu. Vom größeren Seitental, von wo aus auch dis E6 wieder aufs Zentrum zustrebt kommt .... Wetterchen! In Form einer einzelnen Amboswolke, dunkler denn je und mit einem gewaltigen Krach und dicken Blitzen. Es hat mich aufgelauert und allen Anschein nach wird es mich jetzt kriegen. Der Fernsehturm steht schon in starkem Regen. Dann kommen die ersten Tropfen und 400m vor dem Dom, erwischt es mich schließlich auch. Der erste Tag, an dem ich dem Regen tatsächlich ausgesetzt bin. Du hast den Wettlauf gewonnen! ... und es krawummst zur Bestätigung zurück. Ich komme zum Dom, der sehr niedlich zwischen Bäumen steht. Davor ein kleines Kaffee wie ein Bauernhaus. Daneben ein paar Buden, die für die Pilgerfesttage aufgebaut wurden. Vor dem Nebengebäude bildet sich eine Schlange und wartet offensichtlich auf Einlass. James Morrison wird gleich spielen. Huch, den kenn ich sogar! Mag aber die Musik nicht so. Aber ich rette mich erstmal unter einen Baum ddirekt gegenüber von dem kleinen Domplatz. "Jeder bekommt den Empfang, den er verdient" hat Hape in seinem Buch festgestellt, als er nach Santiago einmarschiert. Bei ihm kam das Staatsoberhaupt, bei mir eine Naturgewalt. Und es regnet mich nass. Es ist mir egal. Ich hatte ein Wetter, das es in Norwegen nie gibt. Nie! So, nochmal die Aussage von Hape. Die ist irrelevant. Der Empfang ist irrelevant. Ich sitze hier vor einem großen Steinhaufen mit vielen Figuren, wobei die Olavsdarstellungen einen Kranz umgebunden haben. Ansonsten erkennt man sie an der Axt und dem besiegten Drachen unter seinen Füßen, der wiederum den Kopf Olavs hat. Ein bemerkenswertes Sinnbild, finde ich. Es gefällt mir. Mit der Interpretation tue ich mich nicht ganz leicht. Muss ich morgen in Erfahrung bringen. Besiegst du die Bestie, vernichtest du dich selbst? Wer ist wer? Steht es für einen Zwiespalt in der Person Olavs, einerseits heilig, andererseits auch nur ein König im tiefsten Mittelalter, der sicherlich nicht zimperlich war, wenn es um Machterhalt ging? Mir erscheint auch ohne weiteres Wissen die Heiligkeit und das Pilgern zu diesem Ort sehr zurechtkonstruiert. Und mir bleibt die gleiche Frage wie letztes Jahr und die gleiche Antwort. Bin ich deswegen hier? Wegen einem Steinkoloss und einem Heiligen? Nein. Das ist schlicht nur das Ende der Rahmenhandlung. Die Hauptattraktion bin ich. Eines ist anders. Ich bin alleine hier. Es gibt keine anderen Pilger, trotz der Pilgerfesttage. Ich werde dennoch sofort als Symbol dieses Festes erkannt und freudig begrüßt von den Leuten, die über den verregneten Platz huschen. Aber es ist still. In allen Belangen. Ich bin weder froh noch traurig. Ich bin auch nicht müde. Es ist schlicht zuende. Und es ist vollkommen okay. Ich hatte Zeit für mich allein wie noch nie, viele Gedanken sind gekreist, die sonst nie eine Chance hatten und seit etwa einer Woche ist der Weg vorbehaltlos nur noch eins gewesen: wunderschön. Kein vernebelnder Gedanke. Und ich kenne ein schönes großes Kuchenstück Norwegen mit Schlagsahne und habe es genauso verzehrt, wie ich es am liebsten mag: direkt und intensiv. Aber jetzt möche ich nach Hause, Leute sehen, die ich kenne und die fertigen Gedanken, die jetzt Erinnerungen werden, mitnehmen. Doch die Reise ist noch nicht vorbei. Zunächst, wo ist der 0 km Stein? Egal, morgen. Ich bin nass. Die Herberge liegt direkt hinter dem Dom. Viele Musiker kommen gerade dort unter wegen den Festtagen und ich bekomme nur mit Mühe ein Bett, zusammen mit einem Fahrradpilger. Also doch noch Herbergsatmosphäre zum Schluss. Er, Erich, 62, ist mit dem Rad vor 34 Tagen in Bayern gestartet. Und wir unterhalten uns gut, bis wir nach 3 Stunden feststellen, dass es schon 23 Uhr ist. Draußen im Nebengebäude kommt Morrison mit "You give me something" zum Höhepunkt. In einem Raum schräg über mir ein Pärchen ganz offensichtlich auch. Ich geb mir jetzt ne Mütze Schlaf. Morgen steht einmal mehr eine Beförderung an. Und so gleitet der Tag ganz sachte und mit ein wenig Nachhall und fernem Applaus in die Nacht. Es wird still und es fängt wieder an zu regnen.

29.07.2013

Heute lasse ich es langsam angehen. Wetterchen sucht sich anscheinend ab sofort neue Opfer. Es ist blau da oben. Eigentlich lasse ich es immer langsam angehen. Vor 9 Uhr bin ich nie weg. Warum auch? Ist schließlich egal, wann ich wo ankomme. Wenn nichts geht, nehm ich halt das Zelt. Hinaus aus dem Vereinsheim, Schlüssel wieder verstecken und los gehts, erstmal 20 km lang durchs Moor. Ein Paradies für Moskitoliebhaber. Schutzschilde auf 100% und durch. 20 km lang laufen wie auf Schwamm durchtränkt mit dem Regenwasser der Nacht. Man sinkt komplett ein. Schuhe waren allenfalls hinderlich hier, also wech. Das muss die kräftezehrendste Etappe des Weges gewesen sein, aber auch wunderschön, wenn man zwischen Wollgrasbüscheln und Blaubeersträuchern hindurchwatet. Verhungert wäre ich nicht. Dann nach 5 Stunden Stille der erste Bauernhof. Daneben ein Baum mit eigenartigen Früchten ... so bunt, sieht eher aus wie ein Weihnachtsbaum. Auf einmal bekommt Robert einen Schreikrampf. Am Baum hängen duzende Stofftiere, die anscheinend Pilger dort hinterlassen haben. Nach Roberts dramatischerer Schilderung sind's natürlich erhängte Leichen seiner Art, manche schon in mehrere Teile zerfallen. Er sprang raus und wollte sie retten, zumindest den Hund am Wegweiser, könnte das nicht .... nein, das ist nicht Cindy, Robert, komm jetzt, Leben und Bestimmung definieren sich eben manchmal völlig anders. Weiter gehts und mir fällt heute erst auf, dass ich bislang nirgendwo Spinnennetze sehe, in keinem Stall oder Schuppen, wo man sie am ehesten erwarten würde, in Wiesen schon garnicht. Spinnen gibt's aber genug. Wundert mich sehr bei all den Insekten.
Gegen 3 Uhr erreiche ich Skaun. Erst zur Kirche, Wasser auffüllen. Lese die Aushänge. Polnischer Student bietet Hilfe for all kind of services. Soso. Hmm. Um den 29.07. sind in jeder Gemeinde Aktivitäten um den hl. Olav, nicht nur in Trondheim vom 27. Juli bis 03. August, wie ich jetzt auch weiß. Auch die Messe gestern in Meldal war eine Pilgermesse. Dann Supermarktpause auf einer Parkplatzbank mit Pfirsichen, Käsebrot und Eis. Dabei schaue ich den parkenden Autos zu. Hmm... drei Elektroautos schon. Bemerkenswert. Dann ein Kühlschrank von Volvo 240. Baujahr Ende der 70er. Der Inbegriff an Eckigkeit. Das Raumschiff parkt sich direkt vor der Tür, die erschrocken auffährt. Heraus kommt ein ungleiches Paar, er grob geschätzt das selbe Gewicht wie der Wagen, sie garantiert ohne Fett. Frage mich, warum Autos eigentlich dennoch immer noch in der Waagerechten fahren können. Schwerkraftkompensatoren werden doch erst im 23. Jhd. erfunden werden. Nach 3 Pfirsichen ist ihr Einkauf beendet und beide haben jeweils 3 Coop Tüten in den Händen. Ja ... jetzt Tür aufkriegen ohne auch nur eine Tüte abzusetzen. Er hat das bereits perfektioniert. Seine Effizienz schlägt sich da am Körper bereits deutlich nieder. Sie ja nicht so. Die Tür geht immer wieder zu, bevor sie den Arm dazwischen geklemmt bekommt. Nach drei Anläufen dann die Entscheidung wenigstens eine Tüte abzustellen. Auf diese Weise schafft sie es tatsächlich die Tür zu öffnen und sie mit dem Kopf geöffnet zu halten, währenddessen die abgestellte Tüte umkippt und drei Dosen über den Parkplatz rollen. Ich kann nicht mehr vor Lachen. Eigentlich sollte man ja jetzt helfen, aber ich will das emotionsgeladene Finale sehen. Es ertönt auf norwegisch ein resigniertes "Høøåååh!". Er sitzt schon im Wagen und mault irgendwas. Außerdem, wie soll ich helfen? Mit Hirnzellentransplantation? Abgesehen davon fällt mir mit einem Stich in der vorderen Hirnrinde eine Situation vor 3 Wochen bei Lidl ein, wo ich ... ähm, lassen wir das, in den Spiegel schauen kann ich später immer noch, spätestens zum Bart abrasieren in Trondheim. Der Rest ist aber leider unspannend. Sie stellt die Tüten dann doch alle ab und ich gehe ... weitere 10 km weiter durch Sumpf und Wald, bis ich eine Lichtung erreiche. Es ist still und ich leg mich ins Gras. Dabei zerdenke ich ziemlich viel. Erst eineinhalb Stunden später gehe ich weiter. Mann, hab ich gar nicht gemerkt. Erstaunlich und ein bisschen erschreckend, wie intensiv man sich mit sich selbst beschäftigen kann und vor allem womit alles. Aber egal. es wird der letzte Berghügel sein. 380m Hoch und ich schaue das erste Mal auf den Fjord von Trondheim. Wahnsinn, schon so nah, das Meer. Morgen bin ich da. Und so schlendere ich gedankenverloren hinunter und komme an meine Herberge bei Kilometer 29. Ein am Hang gebauter, verwinkelter Hof mit botanischem Garten und einer Grillhütte auf einer Klippe, von wo aus man den ganzen Fjord überblickt. Traumhaft schön, erst recht mein Häuschen, das wie im 19. Jhd. eingerichtet ist. Das Ehepaar hier hat zusammen alles selbst aufgebaut. Gerade entsteht etwas weiter höher auch noch eine Hütte. Hmmm... hier mal länger bleiben, das hätte was. Und ich leg mich zerdenkend aufs Bett und studier nenebenbei eine herumliegende Broschüre von Trondheim. Ich glaub ich weiß, was ich dort machen werde :-) Aber erstmal die Augen zu und das Gehirn beruhigen, da lass ich für heute mal ein Paar Norweger sprechen:

28.07.2013

Und so wache ich mit einem Plätschern im Ohr auf. Jetzt versucht Wetterchen wohl gleich von Anfang an in die Offensive zu gehen oder wie? Nein, es ist der Bach neben dem Stabbur in dem wir schlafen. I und I versuchen derweil laut flüsternd keinen Krach zu machen. Das ist ein Widerspruch. Aber wer flüstert ist leise, auch wenn man es noch im Haupthaus nebenan hört. Egal, ich bin wach und prompt fängt auch das Haus rhythmisch an zu vibrieren. Gottnochmal, was ist das denn? Oh... mein Handywecker auf den Holzdielen, donnerwetter. Ich steh senkrecht und mit einer Gehirnhälfte noch irgendwo halb in einem Wurmloch steckend im Raum und fuchtel am Gerät herum, um diesen peinlichen Moment endlich abzuwürgen... so, erledigt... I und I flüstern einfach weiter. Hat ihr Flüstern wohl den Lärm übertönt, denk ich mir und mach mich bereit fürs Frühstück. Um 11 Uhr ist schließlich Messe mit Chor in Meldal, das sind noch 7 km.
Ich komme auf den Punkt dort an und bin denkbar ungekleidet mit Shorts und Piratentuch auf dem Kopf. Eine Minute später seh ich Stadtfein aus. Hab da noch was im mobilen Kleiderschrank gefunden. Gut, über das Schuhwerk lässt sich streiten. Vor mir betreten mehrere Familien in Tracht die Kirche. Meine Güte, macht man das hier sonntags so? Nein, es ist etwas Besonderes. Zwei Kinder werden heute während der Messe getauft.... hmm... die Trachten machen mächtige Frauen noch mächtiger, denk ich mir und muss an die Herero-Frauen in Nord-Namibia denken. Aber es sieht schön aus. Ein Mann fällt mir auf. Fein gekleidet mit Kravatte, aber das Hemd aus der Hose. Sieht total dämlich aus, soll aber offensichtlich so sein. Eine Messdienerin begrüßt alle Leute am Eingang. Im Vorhaus steht Kaffee und Kuchen für danach. Und da steht auch ein Stempelchen für mich. Schön :) Dann bimmelts, die besonderen Gäste, also Taufgemeinde und Chor ziehen in die Kirche ein und die Messdienerin hat ein Headset auf. Sie entpuppt sich als 26 Jahre junge Priesterin mit einer klaren, hellen Stimme. Das war schräg, fand ich, richtig schräg. Merkte, dass ich zum ersten Mal einem evangelischen Gottesdienst beiwohne. Aber wird sie von den Dorfbewohnern wohl vollwertig angenommen, frag ich sie. Sie meint, es gäbe da überhaupt kein Problem. Sie hätte das Kaffeekränzchen danach eingeführt, das führte sogar zu Zulauf. Hmm... auch ne Idee. Die Predigt wurde auf Englisch gehalten, weil wir ja ausländische Pilger zu Gast haben ... jep! ... und zwar kein Gegeringerer und anderer als ich! Der Chor hatte zwischenzeitlich seine Auftritte. Es war ... naja nett. Ganz schön schief leider. Aber irgendwie auch nicht schlimm. Chor erleichtert, Priesterin seelig, "Half of the church was filled, thats great!", Taufpaten alle sichtlich stolz. Und ach ja, Kaffee und Kuchen für alle. Irgendwie gefällt mir diese gemütliche und ungezwungene Athmosphäre in der Holzkirche.
Um 13 Uhr ging's weiter. Na, was wohl Wetterchen im Schilde fûhrt? Wo hat sichs versteckt? Es ist zwar blau, aber schwül ... zu schwül. Ich muss sofort aus den Sonntagsklamotten raus. Wetterchen lässt nicht lang auf sich warten, hat mich doch aufgespürt. Aber es ist mutlos, beleidigt und tut nur gefährlich, bis ich gegen 20 Uhr an einer Schießhütte mitten im Wald ankomme, an der 'Pilegrimsherberge' steht. Hmm... ein Vereinshaus. "Call Sirin" steht da. Gut, das mach ich. Sirin hebt ab und weist mich per Telefon an eine Werbetafel, an der hinten eine Art Geocaching-Dose befestigt ist. Der Schlüssel. Toll, schon wieder ein Haus für mich! Es hat einen Kühlschrank mit vielen Weichgetränken und einer Aldi-Schokolade, Müsliriegeln und Keksen, definitiv aus Deutschland. "For the next one" steht dran. Mann, können die Gedanken lesen? Toll! Ich breite mich mitten in dem riesigen Saal auf zwei Mattratzen, die in der Ecke stand aus und fühle mich sehr verloren und allein hier. Uh, da mach ich aber das Licht nicht aus hier. Das ist ja dann wie Weltraum um mich herum. Das, was gerade noch toll war, wirkt jetzt doch sehr unheimlich. So viel Platz wollte ich dann doch nicht. Und als ob Wetterchen das geahnt hätte, fängt es auch noch mit Grummeln an. Dann kommt der Regen. Robert... heute Abend müssen wir zusammenhalten... wie, 'Nö' ... du kommst aus deinem Sack!
Es klopft an der Tür. Ich mach auf und eine Thailänderin steht vor mir. Offensichtlich Sirin. Sie stellt viele Fragen, wer ich bin, wo ich herkomme, warum ich auf dem Weg bin und ich stelle alle Fragen zurück. Daraus werden zweieinhalb Stunden, die wir im Schneidersitz auf den Vereinstischen sitzen. Sirin ist 40 und kam vor 2,5 Jahren nach Norwegen, hat hier geheiratet. Ich frage auch sie, wie sie das Land empfindet. Nicht als ihre Heimat, sagt sie. Wenn das Einkommen stimmt, ist es ein schönes aber kaltes Land. Oslo wäre nur so erschreckend anders. Hmm... ich empfand Oslo als sehr normal und alles sonst als sehr anders. Aber sie ist nicht glücklich hier, trotz des Jobs in einem Altenheim, bei dem sie umgerechnet 2600 Euro verdient, was in Norwegen gerade so reichen würde. Sie hat Wirtschaftswissenschaften studiert und möchte weg von hier, aber sie weiß nicht wohin. Nach Thailand zurück kann sie nur schlecht. Und ihr Mann? Nach viel Zögern sagt sie, sie liebe ihn nicht mehr. Sie kennt die Kultur nicht. Die Familie beäugt sie skeptisch, weil ... naja ... Thailand halt. Alle sind zwar herzlich hier, aber Thailänder denken sehr anders. Und ihrem Mann kann sie nicht mehr vertrauen. Ich bekomme einen Komplettabriss der letzten zwei Jahre, dass sie eine chinesische Freundin hat, dass sie 500 Stunden Norwegisch lernen muss, dass ihr Mann sich in Singlebörsen herumtreibt und viel streitet und sie ist sichtlich froh, dass mal einer zuhört. Sie spricht angeregt und gestikuliert dabei, als wenn sie einen Ausdruckstanz veranstalten wollte. Ich finds befremdlich aber schön mit ihr zu sprechen und ich lerne eine neue Perspektive von Norwegen kennen. "Norway ought to be the best country in the world to live in? ... Where?!" Dann geht sie. Wir verabschieden uns. Guten Weg, leb wohl. Ach ja, sie schätzte mich anfangs auf 25 Jahre ein, ich sie auf 30. Wir sind wohl jünger geworden ;-)
Draußen regnet es jetzt in Strömen. Zu Spät! :-D Ich trink noch eine tierisch leckere, norwegische Zuckerbrause namens "Villa" aus dem Kühlschrank und nehm dann meinen Schönheitsschlaf.
Erkenntnis des Tages: Man braucht nicht viel zum Glücklich sein, aber find das Wenige erstmal.

27.07.2013

Und es geht weiter. Zunächst erstmal mit Frühstück, das mir im Hauptraum des verwaisten Gästehauses hergerichtet wurde. Die beiden Besitzer haben sich total gefreut einen Pilger an Board zu haben. Das mache mehr Spaß als Jugendgruppen, meinen sie. Ich hatte den gesamten Komplex für mich. Draußen hat die Besitzerin Kaninchen. Ich solle sie ruhig füttern. Das tat ich auch. Erst gesittet, dann wuchs irgendwann in mir der Spieltrieb, sprich, was isst Hase denn noch so?! Fingerhutblume? Nein. Astern aus dem Blumenbeet? Ja. Rettich? Ja. Birkenrinde? Erst ja, dann eher doch nicht. Keks? Ja. Aber am besten geht dann doch der Löwenzahn und Klee. Danach in den Gemeinschaftsraum. Dort steht eine große Auswahl an Filmen. Gut, dass hier kaum was synchronisiert wird. Ich schau mir Blues Brothers 2000 an. Grottenschlecht. Aber egal, so bin ich wenigstens müde geworden, denn ich hab mir heute viel vorgenommen. 40 km werden es. Ich bin extrem gut in Form und viele schwierige Dinge konnte ich zuende denken und möchte jetzt, wo ich die Berge hinter mir habe und ich wieder stetig tiefer komme, auch ankommen. Kurz hab ich mit dem Gedanken gespielt am 29. einzutreffen, denn da ist ein großes Fest in Trondheim zu Ehren des hl. Olavs, genauso wie am 25. in Santiago für den prominenteren Muschelmann. Aber das wäre zu stressig. (Hmm... genau vor 1 Jahr bin ich in SDC angekommen.) Hier sind die Zwischenstationen einfach zu schön, ich mache oft eeinfach mal ein oder zwei Stunden Pause, wenn's mir grad gefällt. Komm ich halt um 23 Uhr an, ist ja eh hell.
Norwegen ist schlicht kein Vergleich zu Spanien. Hier leben die Leute für meine Augen stimmiger und ich liebe es zu sehen, dass Wert auf Details und Kleinigkeiten gelegt wird. Spanien ist streckenweise wie ein sturer Bock. Die vermeintliche GGelassenheit ist in meinen Augen manchmal auch schlichte Unlust. Ich erinnere mich nur an die ganzen Baudebakel, die dort so üblich sind, wie hier rote Holzhäuser. Dafür bin ich hier in den letzten 560 km an keiner einzigen Bar vorbeigekommen. Gastronomie, das ist hier entweder ein sauteures Kro oder ne Wurstbude in ner Tankstelle und diese dann aber auch nur in Städten. Dazwischen gibt's nichts. NICHTS. Ich vermisse total die Gewissheit, alle 2 Stunden an einer Bar vorbeizukommen, in der ein Glas Wein 80 Cent kostet und ne Cola Cao 1 Euro und nicht wie hier 12 Euro für ein 0,33er Bier. Hmm ... naja ... Barkultur dieser Art lässt sich schlecht etablieren, wenn man schon seine 100 Euro, sprich 800 Kronen dabei haben muss. Aber ich darf auch nicht vergessen, dass hier mein Geld nur die Hälfte wert ist. Hier ist nicht alles unbezahlbar teuer, hier wird einfach anders verdient. Das gilt im umgekehrten Sinne auch für Spanien.
Ich schaue nach einem sehr ausgedehnten Frühstück in den Himmel. Ein paar Wölkchen. Jaja, das kenn ich schon. Kaum komm ich raus. geht die Verfolgung doch wieder los! Und so ist es auch und diesmal geb ich schon morgens richtig Gas. Aber es hilft nichts, diesmal holt mich das miese Wetter ein. Es rummst gewaltIg wie eine Surround Testaufnahme durchs Tal und ich zieh zum ersten Mal den orangenen Regenschutz über den Rucksack. Doch kaum setzt der Regen ein, erreiche ich nahe Ringebu eine rustikale Stallherberge. Darf ich kurz bleiben? "Kein Problem!" ... der Himmel kann sein Pech nach drei Tagen inbrünstiger Verfolgung einfach nicht begreifen und fängt jetzt bitterlich an zu weinen. Ich sitz im zur Herberge umgebauten Stall auf einem Sofachen und hab so gar keine Lust zu trösten. Stattdessen ist mir etwas langweilig und ich mal was ins Gästebuch. Nach 1 Std. ist das Wetter erschöpft davongezogen und gibt die Sonne wieder frei. Das war er also, mein erster Regentag in Norwegen. Es hätte auch anders herum sein können hier oben. Das wäre sogar wahrscheinlicher ... eigentlich. Die E6 verläuft hier nicht mehr mit mir mit und ist in ein Nebental abgebogen. Stattdessen laufe ich einen Großteil der Strecke auf der 700. Das geht im Vergleich zu den Stecken zuvor extrem gut. Auf solchen Straßen werde ich mittlerweile schnell, 7 km/h sagt mein Gerät, und die passende Musik nimmt einem gänzlich die Anspannung und es macht echt Spaß, mal im Takt der Musik durchziehen zu können:

Ich laufe und laufe, vorbei an Örtchen mit dem Namen "Voll" und mitten durch einen Ort mit dem malerischen, klangvollen, vielsagenden Namen "Å". Å sind 7 Häuser und ein Supermarkt. Å hat keine Ortsschilder mehr, die werden ständig als Souvenir geklaut, heißt es, obwohl Å nicht der kürzeste Ortsname ist, sagt mir die Kassiererin vor Ort im Coop. Das wäre angeblich "I" in Italien. Das wär zwar auch nur ein Buchstabe, aber eben ein einfacherer. Aber Å hat dennoch eine Bedeutung, nämlich "Bach", bzw. etwas zwischen Fluss und Bach. Und ich laufe und laufe und ... laufe kurz vor Meldal tatsächlich 1 km an meiner Herberge vorbei ... Musik aus. Vollbremsung. Rückwärtsgang. Ich gelange zur Herberge und ich trau meinen Augen nicht. Da stehen mindestens 20 Wanderschuhpaare! PS - Pilgerschock? Ich bin zwar seit Ringebu hinter der magischen 100km Grenze aber das hier ... sind gar keine Pilger, wie ich aufgeklärt werde, sondern ein Chorworkshop auf Wanderschaft von Oppdal nach Meldal. Norwegische Jugendliche aus dem ganzen Land verbringen so einen Teil der Sommerferien zusammen mit einem gemeinsamen Hobby. Gibt's oft in Norwegen. Sogar Kinder aus Finnmark ganz im Norden sind dabei. Sie stehen im Haupthaus und proben für morgen, da gibt's im 7 km entfernten Meldal um 11 Uhr ein Konzert in der Kirche. Na schön, dann weiß ich schon, wo ich morgen um 11e bin :-) Ich bin jedenfalls wieder mal im Stall untergebracht, zusammen mit zwei Frauen, Ingrid und Inge. Aber als Stall tarnt sich das hölzerne Raumschiff nur von außen. Auf morgen bin ich gespannt!

26.07.2013

Heute hab ichs langsam angehen lassen. Die gewaltigen Wolkentürme des Vortages haben sich in der Nacht gänzlich aufgelöst. Doch die Luft ist feucht und ich bin mir sicher, sie kommen schon bald wieder über das sich nun langsam entfernende Dovrefjell gekrochen. Und so ist es auch. Ab Mittag werde ich wieder verfolgt. Ganz schleppend und langsam. Es grummelt den ganzen Tag mit sanfter Gewaltigkeit und formt im Himmel über mir scheinbar alles erdrückende Wolkengiganten, die sich aufgrund der Sonne scharf vom Stahlblau absetzen. Eine zweite Welt irgendwie. Und auch etwas beängstigend. Während der Weg endlos wirkende 30 km über einen Hang geleitet wird, ist mir das Wetter im scheinbar gleichen Tempo auf den Fersen und es wird sachte dunkler und dunkler. Ich liebe dieses Zwielicht und gerade jetzt, wo ich eine Umsicht von 100 Kilometern auf alle Täler um mich habe, wirkt alles als eine wunderschöne, bedrohliche Momentaufnahme. Viel passiert nicht, abgesehen davon, dass ich fasziniert nach oben schaue und dabei fast an meinem Zwischenziel Sundset vorbeilaufe, wo ich wie so oft als einziger Gast in eine Herberge einkehre. Und als ob ein Verfolgungskampf verloren scheint, verflüchtigen sich binnen einer halben Stunde alle Wolken. Es regnet zwei drei völlig erschöpfte Tropfen.

25.07.2013

Eigentlich will ich hier gar nicht so recht weg. Ich befinde mich in einer Holzhütte in den Bergen, unter der Hütte rauscht ein Bach, fließend Wasser ist somit auch vorhanden, also warum nicht noch hier bleiben? Weil ich nichts mehr zu essen habe? Oh ... gutes Argument. Abgesehen von Kaviarpaste ist nichts mehr aufzutreiben und das Zeug kann ich nach 2 Wochen nicht mehr riechen. Was bleibt? Quellwasser. Das ist alles?! Oh Gott ... und wo kann ich Nachschub bekommen? Mal schmökern im Internet ... erm ... n bissel schlecht ohne Empfang. Was sagt die Führerbibel ... die sagt Oppdal ist der nächste ernst zu nehmende Ort. Ah, sehr gut und das ist ... 26 km weit weg?? "Da hat mal einer wieder nicht richtig aufgep..." Schnauze, Gewissen! Eeeh, ich krieg ein bisschen Panik. Robert, wir müssen los und zwar schnell! .... Was heißt hier "sag ich doch schon seit gestern ...", ab in deinen Wohnbeutel!
Es geht eine lange lange lange Straße durchs Vinstratal herunter. Die ist so lang, dass man Zeit hat zu begreifen, dass das Wort 'lang' verdammt kurz für seine Bedeutung ist. Zwischendurch muss ich mir eine Runde Bergfluss gönnen. 2 Tage ohne Dusche machen sich bemerkbar. Nach dieser Flummilungenaktion donnert es von irgendwo her gewaltig, tief und dumpf. Och nicht jetzt schon... achso, das ist mein Bauch. Aber einen Wetterumbruch wurde dennoch für heute verkündet. Aber nicht, bevor ich Essen gegessen hab! In Driva solls einen Campingplatz geben. Die haben bestimmt Eis! Mies gelaunt komm ich nach 4 Stunden dort an und es prangt ein Diplom-Is-Männchen am Haupthaus jaaaaaaaaaaa! ... das erst um 18 Uhr besetzt wird. Oh Oooh ... GPS sagt 10 km bis Oppdal. Oah nee ichwillnichichkannnichtichwillzuckerchips-schokoladekartoffeleintopfpizzapommes-hamburgerdönerrobbenfleisch!! Dann Verlauf ich mich zweimal, weil eine Wegmarkierung zu versteckt steht. Wutschnaubend reiß ich sie raus und stell sie um. Dann ... der Himmel. Eine Bank im Schatten... ne gar nicht, da lehnt eine Hütte an der Bank ... und die ist für Pilger? Ich geh rein ... Tatsache, noch ein unbemanntes Refugium und mitten auf dem Tisch steht ... eine Himbeersirupflasche!!!
Die darauf folgende Orgie bedarf keiner weiteren Kommentierung, jedenfalls stellte sich nach ein paar Minuten in dieser Hütte ein durchaus beachtliches und fototechnisch bemerkenswertes Dänemarkgefühl ein... und so hab ich es drei Stunden später auch nach Oppdal geschafft. Erstaunlich wie leicht man wieder alles nehmen kann, wenn das Gehirn wieder mit Zucker versorgt ist. Und so fallen einem auch wieder Lieder zum Mitsingen ein. Heute passt dieses in die Stimmung fürs Klangtagebuch, nachdem ich nach 3 Tagen zurück im Tal angekommen bin, wo ich bis Trondheim ab jetzt vermutlich bleibe und somit auf dem Weg zur Zielgeraden noch die ein oder andere Denketappe ansteht:

Und so sitz ich jetzt kurz hinter Oppdal im Skigebiet Stølen ... und es hat bereits kräftig gedonnert. Das Wetter steuert auf eine Regenfront zu. Doch des Nachts löst sich urplötzlich alles wieder auf ... das kommt mir sehr bekannt vor ...

24.07.2013

Irgendwann gegen 10 sind alle meine Sachen vom Tau der Nacht getrocknet und ich geh planschen und Zähneputzen unten am Bach. Mir war so danach, die Kälte der Nacht doch noch einmal aufleben zu lassen :-p Danach ging's 3 km runter entlang der E6 zum Historischen Kongsvold Hotel, Proviant für die Tour über den anstehenden Frühlingsweg mit Pass auf 1340m zu besorgen und einmal kurz Mails zu checken. Und dann gings los. Ja ... auf den Weg auch, aber einer wurde immer schneller und hüpfte mir regelmäßig aus dem Sack ... Robert! Da gibt Cindy nur einmal ein Lebenszeichen von sich und auf einmal ist er nicht mehr zu bremsen und möchte bei jeder Verschnaufpause, die ich im windstillen Birekenwald bei knapp 30 Grad zwingend einlegen muss, um nicht umzukippen, sofort weiter. Dabei ists sooo schön, fast unwiklich in den Wäldern. Unter den Birken wachsen Heerscharen an violetten fingerhutartigen Blumen, es hat wirklich was von Frühling. Und wir werden eh nicht schneller sein, trotz deinem Davongerobbe! ... Tz... was Frauen nur für eine Anziehungskraft ausstrahlen können ... 1400 km weit... mir absolut unbegreiflich... ach Robert, ist doch so! Hier, wow Wetter, schau mal! Und da oooooh, Is-landschaft und tolll, der nervige Signalvogel! ... der schon wieder. Je länger ich ihn preifen höre, desto mehr glaube ich die Signale auch verbal zu erkennen: Tiefer ..."steht ....... steht ...... steht", dann geh ich weiter und es beginnt ein helles, aufgeregtes "LÄUFT!......LÄUFT!......LÄUFT!". Sind solche Signaltröten eigentlich intelligent? Mir scheint es eher so, je krächziger, desto mehr Hirn.... und so lauf ich über eine weite Hochebene von einem Tal zum nächsten und kann wieder nur Bilder sprechen lassen, wenn ich wieder WLAN habe ... bis ich schließlich gut sonnengebräunt, aufgeheizt und hungrig in Ryphusan eintreffe, eine Art Alm mitten im Nirdendwo auf 1100m Höhe und es määht gar mächtig. Auf der Farm ein rotes Holzhäuschen mit der Aufschrift "Refugium". Keiner da, alles in Selbstbedienung. Juchuu, mein zu Hause für heut Nacht! Und so sitz ich in der Hütte, die 10 Mattratzen hat für die Pilgerschar, die laut Logbuch seit 1997 nur einmal im Jahr tatsächlich mal die Hütte füllt und zwar, wenn Bernd Lohse seine Wandergefolgschaft auf HH mitnimmt. Er war schon 8 mal hier. Ich bin Gast 1400 seit 1997 und der erste seit dem 19.07. Ach mensch tollll, Däääänemarkgefüüüü... nanu wer kommt den da zur Tür herein, um diese Zeit! Ich wohn jetzt hier! :-p ... es ist Muriël, an die 50, Exil-Französin aus Trondheim, wo sie schon 20 Jahre wohnt und regelmäßig hier hoch zum Vögel gucken kommt. Sie schaut dann immer mal rein, ob heute mal einer da ist und wie ich ihr so im Scheidersitz auf einer Mattratze sitzend entgegenschaue, ist sie total erschrocken. Da is ja einer!! ... und der will ausgefragt werden. Wird er auch schön braf und bevor Robert noch per Anhalter in ihren Rucksack robbt, ist sie zum Glück auch schon wieder weg, meine Hütte teil ich eh nicht ... außer mit drm liiieben braaaven Robert natürlich ...... hooch, guck nicht schon wieder so, weit wärst du eh nicht gekommen. Wer versteht dich denn (hier) schon, wenn nicht ich!
Mittlerweile tummeln sich viele Schafe hier und schmiegen sich eng an die Hütte. Alle Nase lang möht es direkt neben mir. Es wird wohl wieder eine kalte Nacht werden. Es ist ruhig geworden und mir kommt in den Sinn, dass zu allem was man sieht und empfindet ja auch immer Musik passt, wie ein Soundtrack in etwa. Also fang ich einfach mal ein Klangtagebuch an. Das Dovrefjell, über das ich heute und gestern ewig und allein gelaufen bin, hat einen für mich sehr eindeutigen, meditativen Klang:

23.07.2013

Es ging heute den ganzen Tag auf dem alten Königsweg übers Dovrefjell. In Verbindung mit dem derzeitigen, eher unüblichen Wetter ist alles ein landschaftliches Erlebnis. Das zu beschreiben geht nur besingt, doch glücklicherweise kann dieses Gerät ja auch Fotos schießen. Das ist doch aussagekräftiger. Die Mücken weichen auf den Hochebenen gänzlich kleinen Fliegen, die in kleinen Schwärmen hinter mir herziehen. Also entweder hab ich mittlerweile eine leuchtende Aura oder bin einfach nur sehr lecker für die nervigen Biester. Zum Glück hilft da der Schutzschild ebenso wirksam, wie für die Moskitos. Und ich werde von einer Art... nenne ich es mal Alarmanalge in Form eines Vogels begleitet, das Ähnlichkeiten mit einem Rebhihn hat. Es pfeift in einem regelmäßigen Zyklus, wenn ich mich bewege. Bleibe ich stehen, pfeift es zwei Töne tiefer. Das ist zwar irgendwie lustig, dennoch fühlt man sich pausenlos kritisch beäugt. Für die nächsten 50 km komme ich an keiner Ortschaft mehr vorbei. Puh, da bin ich auf Kekse, Brot und Kaviarpaste angewiesen... und auf nette Kirchen. Nicht nur wegen dem Friedhofswasser, das kommt hier ja ebenso frisch überall aus dem Berg. Aber in den letzten beiden Kirchen gabs für Pilger Kuchen =-)
Zur Übernachtung gabs an meinem heutigen Etappenziel Kongsvoll nur zwei Möglichkeiten: Übernachten in einem Edelhotel mit Sternerestaurant oder Zelten auf dem Berg. Nun, 200 Euro gebr ich definitiv nicht für eine Nacht aus. Außerdem ist es so schön draußen, da bau ich nur das Innenzelt auf und kann die ganze Nacht nach draußen schaun jawoll!... ja ... solange bis die Temperatur nach Sonnenuntergang auf kuschelige 3 Grad sinkt. Ach ja, bin ja noch auf 1000m verdammt. Mann, kann Kälte kalt werden!! Also brauch ich schließlich doch das erste Mal alle meine Wintersachen. Und so ists jetzt 9 Uhr morgens, ich bin sowas von nicht ausgeruht und mein nächstes Etappenziel verspricht ein umbemannter Stall mit EC-Karten-Gerät zum Bezahlen zu werden. Ein dreifaches Hoch auf die Internetgänseblümchen.

22.07.2013

Draußen klatscht was und ich verbinde das mit irgendwas völlig Unpassendem in einem Traum, bis ich schließlich aufwache und aus der kleinen Luke mir gegenüber in den Garten schaue. Maria rennt hinter fünf Schafen her und versucht sie von den Blumenbeeten zu verscheuchen. Lamm guckt blöd und nimmt sich statt Kornblume halt Magareten vor. Und so gehts von rechts nach links. Naja. Ich geh mal Zähneputzen denk ich, steig aus meinem Stall, Lamm erspäht großes Etwas mit Zottelmähne und sucht schlagartig das Weite. Maria krümmt sich vor Lachen. Nadenn guten Morgen.
Nach drei Tellern Rømme will ich los, da kommen drei Menschen den Hang hinunter. Ein etwas knautschiger, aber charismatischer Mann geht beiden voran, direkt auf mich zu. "Tag, ich bin Bernd." Aha. Verrät mich meine Nase als Deutscher oder wie? "Nö, aber du bist doch Pilger." Ja und? "Vier von fünf sind hier deutsch, wenn sie denn pilgern, da kann pilgernman nicht allzu falsch liegen." Und du bist auch Pilger? "Schon einige Zeit, sozusagen ja." Versteh ich nicht. Dann klingelts langsam. Er ist Pastor Bernd Lohse, der Mensch, der meinen Pilgerführer geschrieben und den Pass ausgestellt hat. Jede Familie, bei der ich bislang eingekehrt bin, kannte zumindest diesen Namen. Woooow, ein richtiger Star. Setze den Rucksack wieder ab und wir unterhalten uns noch ein bisschen. Hab ja Zeit hier. Maria macht Waffeln für alle. Noch ein Grund zu bleiben. Irgendwann gegen 12 breche ich aber doch auf, es fällt mir aber ein bisschen schwer. Ich bekomme Reisewaffeln und eine herzliche Umamrmung von Maria und von Bernd den Pilgersegen. Hm. Ich zwing mich dann mal schnell weg.
Es ist ein weiterer wolkenloser Tag und es geht direkt hoch auf den Dovrefjell bis auf 1200m. Klingt weniger als es ist, die Baumgrenze liegt bei 1000m. Aber die Flora ist nicht alpin. Wo dort die letzten Bäume Fichten sind, sind es hier uralte, knorrige Birkenzwerge. Hier oben ist durchaus einiges an Wanderschaft unterwegs. Ich treffe viele norwegische Familien, die hier ihren Wanderurlaub verbringen. Als Pilger steche ich aber immer noch hervor. Ich treffe nur ein weiteres Pilgergespann, Alex und Wolfgang, die beide erst in Dovre gestartet sind. Das wäre durchaus üblich, meinen sie. Na dann dürfte wohl sich die "Pilgerschar" ja langsam konzentrieren. In der höchst isländisch daherkommenden Landschaft kann ich mir das grad gar nicht vorstellen. Ich mache Zwischenstation auf der Schaffarm Fokstugu. Christine, die Chefin ist traurig, dass ich nicht bleibe, wo doch ein Pfarrer vor Ort ist. Dann möchte sie aber wenigstens die Pilgerandacht mit mir machen. Ich, Christine und Pastor also in der Hofkapelle. Doppelsegen. Womit hab ich das denn verdient, nun ist aber gut :-) Das ganze segnen bringt mich auf dem Weiterweg nach Furuhaugli mächtig ins Grübeln. Ich finde nicht, dass ich das verdient hab. Was das für ein Anhänger da wäre um meinen Hals, fragt mich Christine. Ob ich den Weg aus spirituellen Gründen laufen würde. Ich weiß nicht, sage ich, jesenfalls nicht so. Mein Anhänger ... das ist Wasser, Erde, Luft. Und heute ist die schönste Luft des gesamten Wegs, aus allen Bächen lässt sich das Wasser trinken und die Erde ist warm und durch das ganze Moos weich wie Kissen. Ich bin auf einem der Dächer Norwegens bei so warmen Temperaturen, dass ich mein ganzes Winterarsenal arbeitslos im Rucksack lassen kann. 8 Grad wären hier im Juli normal, nicht 25. Die Schneefelder bezeugen das durchaus. Und morgen gehts gleichermaßen weiter. Menno, wieder so ein Moment, den man lieber teilen würde. Naja, gewissermaßen tue ich das ja :-) [@Maria zu Haus: Es war eine todesmutige, angriffslustige Maus!]

21.07.2013

Ich wache auf, hab super geschlafen. Robert hat sich kein Stück bewegt und das Zerren des Windes am Zelt empfand ich mehr als beruhigend denn als störend. Ich packe mein Zelt zusammen und dann gehts hinauf bis Dovre, der Baumgrenze entgegen. Die Luft wird trockener und kühler, es ist wunderschön sonnig und mir fehlt nichts. Es gibt eigentlich nichts Nennenswertes zu berichten über den Weg, ich war einfach nur eins mit mir. Lange her, dass ich das mal so behaupten konnte. Mittlerweile bin ich komplett aklimatisiert. Nichts tut mehr weh, auch nach 30 km nicht. Der Zustand ist schön. Schade nur, dass die Woche davor immer so anstrengend ist, bis man diesen Zustand erreicht. Ich mache dennoch viele Pausen, mehr um mich bescheinen zu lassen. Dabei fällt mir auf, wie sich am Himmel mitten im makellosem Blau eine weiße Schliere herausarbeitet, die nach und nach immer größer wird, bis man das Gebilde durchaus als Wolke bezeichnen kann. Sie prallt gegen den bewaldeten Hang und verflüchtigt sich wieder. Das Ganze dauert so 10 Minuten und mir fällt auf, dass ich bis gerade noch nie beobachtet habe, wie eine Wolke entsteht.
Gegen 18 Uhr erreiche ich Budsjord, noch einer dieser Bilderbuchberghöfe. Er wird derzeit geführt von Maria, 24, Studentin für Ernährungswissenschaften. Ich finde sie interessant und wir kommen beim Abendessen ins Gespräch. Das hier oben ist ihr Sommerjob von Mai bis September. Sie spart auf einen eineinhalbjährigen Auslandsaufenthalt in England hin und ist begeistert dabei, all das, was man zum Leben braucht, selbst herzustellen. So will sie ihr Leben ausrichten. Sie fragt, warum ich auf dem Weg bin und ich erzähl ein paar Eckpunkte aus diesem und letzten Jahr. Schade natürlich, dass sie nicht auch unterwegs ist, hätte vielleicht interessant werden können. Sie strahlt eine Gelassenheit und Ruhe aus, die mir gut tun würde. Robert würde am liebsten die Augen verdrehen, wenn er es könnte, aber er darf das auch, dafür ist er ja unter anderem hier ;-) Sie hat sich mit zwei Decken auf die Wiese gelegt und nimmt die Abendsonne in sich auf, während ich selbiges tue und dabei Fotos hochlade. Die Herberge hier mag uralt sein und ich übernachte in einem ehemaligen Stall, aber WLAN gibt's hier bekanntlich an jedem Gänseblümchen.

20.07.2013

Die heutige Etappe war schön meditativ. Es ging 37 km von Kvam über den Verkehrsknotenpunkt Otta nach Sel (man ist hier mit ganz schön wenigen Buchstaben für Orte zufrieden, oder?). Der Name Peer Gynt taucht seit drei Tagen immer wieder auf. Es gibt Restaurants, Hotels, Museen und Geschäfte, die danach benannt sind. Da musste ich doch mal recherchieren. Peer Gynt ist der Protagonist eines dramatischen Gedichts aus dem 19. Jhd. und die Geschichte spielt anfangs und zuletzt hier. Eine kleine moralische Fantasiegeschichte. Aber das nur am Rande.
Was macht man mit 37 km auf ein und derselben Straße? Ein Hörbuch hören. Schöne Idee. "Mieses Karma" heißt es. Letztes Jahr war ich mit Ina genau um die Zeit in einer Herberge, der wir ein mieses Karma beimaßen. Na passt doch ;-) Nur war das hier darüber hinaus auch noch ein mieses Hörbuch. Boah hab ich mich aufgeregt. So ne gequirrlte, humorlos und schlecht geschriebene Scheiße drehen sie Erwachsenen an. Für Kinder wäre es ja hier und da ganz witzig gewesen, aber es ging um ne Horde Sex aus Frauenperspektive, korrigiere, Blitz-Illu-Leserinnen-Perspektive und es ist dem ewigen Weg zu verdanken, dass das Ding mehr als 40 Minuten lang die Chance hatte sich zu beweisen. [Dirk, Finger weg!] Irgendwann driftete ich gedanklich ab und dachte im Leerlauf vor mich hin, zählte die gestrichelten Begrenzungsstreifen und stellte unter anderem fest, dass jeder Strich vier Schritte lang ist, während die Zwischenräume nur drei messen. Das bringt ein Problem mitsich. Die Musik im Ohr passt nicht zum Takt der Streifen und ich habe nur ein Lied von Kyteman, das einen 7/8 Takt hat und ich somit jeden neuen Steifen wieder ordnungsgemäß auf Eins betrete, anstatt stetig abwechselnd, wie bei allen anderen Takten. Das ist ein Grund, warum ich das Lied drei mal gehört habe. Ein anderer war, dass es eigentlich ganz gut meinen Gedankenfluss reflektiert, finde ich. Zwischendurch ziehe ich die Schuhe aus, zumal es wolkenlos und heiß ist. Mal schauen, wie lange das gut geht. Nach 16 km tuts weh. Das ist lang mit 10 kg aufm Rücken, befinde ich und zieh sie wieder an. An ganz vielen Wasserzerstörungen komm ich vorbei. Gleicher Grund wie in Mecklenburg. Es regnete Wochen und jetzt wird es das glatte Gegenteil. Hatte heute Morgen die Wetterdaten geladen. Bis Mittwoch wolkenlos und bis 28 Grad. Das ist für norwegische Verhältnisse Obergrenze und ein Riesen Glück für mich, zumindest bis Dovre. Denn in Trondheim regnet es grad und ist 13 Grad. Aber das ist verständlich, ich komm ja erst noch :-p
Und so vergeht die Zeit mit kleinen Beschäftigingsblödeleien. 12 Stunden brauch ich mit vielen Pausen, komme an brütenden Kranichen vorbei (hier fliegen sie also hin?) und komme zum Ziel, eine Herberge in einem Mittrlaltermuseum. Es hat geschlossen. Na toll. Ich will duschen! Muss mich setzen. Werde von Ameise gebissen. Aua! Du warst im früheren Leben ein schlechter Mensch und hast auch mieses Karma verdient! Setze mich woanders hin. Muss wohl zelten hier. Mein Blick fällt auf das Parkplatzklohaus. Es ist offen gelassen worden. Cool. Hier bleib ich. Und so sitze ich im Dämmerlicht nachts um halb 1 bei stürmischen 13 Grad in meinem Zeltchen und schreibe, während das Gerät an meiner mobilen Steckdose für morgen aufläd. Robert liegt schon in seinem kleinen Grünen Schlafsack hinter meinem Nacken. Er war heut ganz in Gedanken versunken, der Arme. Immer wieder holt ihn die Sehnsucht nach seiner geliebten Cindy ein... Morgen gehts endlich rauf nach Dovre. Mein Zeltplatz liegt in einem von mehr als 1000m hohen Bergen umgebenen Talkessel (was hier im Norden durch die niedrige Baumgrenze schon recht alpin wirkt) und es geht an drei seiten verheißungsvoll nach oben. Ich freu mich!

19.07.2013

Mir fällt heute erst auf, was für'n Mehl ich mit dem Wetter habe. Es hat noch nicht einen Tag geregnet, was vor allem deshalb ins Auge sticht, da auf allen Feldern ringsum gewaltige Wassersprenganlagen aufgefahren werden und der Boden unter meinen Füßen die stoppelige Konsistenz von Heu annimmt, wenn ich über die vielen Wiesenwege laufe. Es wird von Mal zu Mal gebirgiger. Das Tal, das kontinuierlich von der immer niedlicher werdenden E6 durchzogen wird, ist tiefer geworden und heute habe ich weiter entfernt erste Schneefelder auf den Berghängen gesehen. Wir nähern uns wohl langsam dem Dovrefjell ... wir ... also Robert und ich natürlich. Der Arme hat scheiße geschlafen gestern. Ständig hat er Geister gesehen und mich laut aus dem Schlaf gerufen. Doch kaum war ich wach und fragte was los sei, blieb er still. Ich verstehe es nicht. So sehr er auch nicht von meiner Seite weicht, so wenig weiß ich doch von seiner Persönlichkeit, so selten, wie er mal Klartext mit mir spricht. Und wenn, dann nur so viel, wie ich ihn direkt frage. Und was das jetzt schon wieder war? Zugegeben, die düstere, uralte Herberge birgt bestimmt auch ihre Jahrhunderte alten Geister. Und da Robert soweit ich weiß nie ein Auge zutut, sieht er wohl mehr als ich. Warum er sich für mehr als drei Wochen mit seiner kleinen Wohnung im Oberfach des Rucksacks zufrieden gibt bleibt mir ein Rätsel, aber er bestand wehement darauf. Wie soll ich mich da wehren! Gerade macht er es sich auf einer Tischtennisplatte gemütlich und starrt auf einen Regenbogen an der Wand hinter mir. Ich hab mich heut für einen Campingplatz entschieden, nachdem ich eine Herberge verpasst hatte. Schade, dachte ich, aber umkehren wollte ich auch nicht. Die Überraschung kam, als ich einchecken wollte. Es gibt einen Extraraum für den Pilger, der ab und an vorbei kommt und der ist umsonst. Der Besitzer scheint seinen Glauben stark auszuleben. Er veranstaltet regelmäßige Bibelworkshops und der Platz verfügt über eine eigene Kapelle. Ich selbst finde, er ist ein bisschen schräg. Sein schiefes Grinsen und die dadurch frei werdende Zahnlücke unterstützen das nur. Also hab ich mich nach einem kleinen Rundgang durch Kvam zum KIWI zurückgezogen und liege auf einem von fünf ausrangierten Sofas in besagtem Pilgerraum mit Regenbogen. Darunter steht ein Psalm geschrieben: "Lovsyng Herren hele jorden ... ild og hagl, snø og skodde, du storm som steter hans ord i verk. Salme 148, 9-10". Man kanns auch so fast verstehen, nicht wahr? So oder so, unter einem Regenbogen zu nächtigen gefällt mir. Überhaupt fühl mich jetzt nach 8 Tagen irgendwie komplett. Mir fehlt nichts. Aber mir schwirren viel zu viele Gedanken durch den Kopf. Monika würde jetzt vielleicht sagen, ich zerdenke immer alles. Und oft glaub ich auch, sie hat Recht. Wie sagt Ann bei Hape Ks Pilgerschmöker so schön konsequent: "Drop the thought." Etwas, das ich manchmal noch lernen muss. Es gibt da ein paar sehr hartnäckige Wirren, die schwer zu bändigen sind und führen nicht allzu selten zu ebenso wirren, aber real wirkenden Träumen. Alles hängt irgendwo zusammen und ergibt einen Sinn. Vielleicht werde ich ja klarer, wenn auf dem Dovrefjell die Luft dünner und die Bedürfnisse essentieller werden. Doch bis dahin hab ich noch viel Wald vor mir. Wenn Robert doch nur die Moskitos wegfressen könnte, die sich auf meinem Nacken festsaugen, wenn er doch schon so gemütlich im 2. Stock meines Vaude Appartments residiert. Ach guck nicht so scheinheilig rüber, du bist Fleischfresser!

18.07.2013

Ich wache auf in einem Klassenraum, dem Blauen Raum. Für einen kurzen Moment denke ich, ich träume noch. Habe ich auch. Ich träume hier jeden Tag und sehr intensiv, das hatte ich schon lange nicht mehr. Meistens geht es um zwischenmenschliche Konflikte, die ich anscheinend träumend aufarbeite. Hier oben in den norwegischen Bergen kommt alles heraus, für das mir sonst vielleicht der Schlaf fehlt. In einem Regal mir gegenüberliegend befinden sich eine Reihe Pergamentrollen. Was da wohl drauf ist? Gleich mal hin, nachschauen. Hmm... Verzierungsplaupausen. Hab im Keller des ehemaligen Schulgebäudes eine Werkstatt gesehen. Kombiniert heißt das wohl, hier ist jetzt eine Holzmanufaktur. Und so ist es auch. Die 900 Jahre alte Stabkirche von Ringebu braucht regelmäßig neue Elemente geschnitzt und der Mann der Herbergsmutter ist hier wohl sowas wie der Schnitzegott. Ich statte der Kirche einen Besuch ab. Wenn Gott mal Urlaub macht und auch gern mal das Dänemarkgefühl dabei will, dann mietet er sich hier ein. So eine gemütliche Holzkirche hab ich selten gesehen. Heute sollen es nur 20 km werden, aber wirklich mal!! Vermisse manchmal schon eine Art Bremse. Ich allein tue mich damit schwer. Letztes Jahr hat Ina das geschafft und es war gut so. Heut hab ich es aber auch selbst geachafft, denn Teile des Weges waren sehr mühselig zu überwinden. Die starken Regenergüsse haben auch in Norwegen die Berge aufweichen und talabwärts rutschen lassen, sodass ich viele Kletterpartien einlegen musste. Bei KM 15, Sør-Frons Kirke, ein auffälliges Gebäude mit dem Grundriss eines Stoppschilds, war ich schön bedient für den Tag. Dreimal musste ich zudem den Moskitoschutzschild aktivieren. Abgesehen davon finde ich auf dem Weg erst eine Gabel, dann einen Löffel, dann ein Handtuch. Hmm... Spuren der Niederländer, die ich schon seit Tagen verfolge. Die Spuren verdichten sich und sind nicht mehr nur Tagebuch- und Logbucheinträge ein oder zwei Tage vor mir. Ich kann sie förmlich schon riechen und nehme die Sachen wohlwissend an mich. An der Kirche ist ein kleines Pilgerzentrum. Man verkauft hier selbstgemachtes Eis. Oooooh, hier mach ich Pause! Und wer sitzt da? Die Niederländer. Na dann werde ich sie mal verwirren :-D und sage: I know you. You are Mathilde, you're Gunnar. "ääh ... where habe we met?" Nowhere. But I want to eat my ice cream, do you have a spoon for me? "Yes of course, just a minute! Hmmm... where have I ..." Should I take this one ... and perhaps this knife while its too hard or just dry it with this towel in Advance?
Die Verwirrung ist komplett. Mission erfüllt. Aber auch die Freude ist groß :-) Als nächstes sind zwei Deutsche dran. Sie sind mir nur noch einen Tag voraus, sagte eben eines der Wegebücher, die hier in regelmäßigen Abständen am Weg entlang in Postkästen mit dem Kreuz vornauf liegen. Und wer kommt da noch? Matthew, der Pole, samt Gerdrud im Schlepp, die ihn für eine Etappe begleiten wollte. Sie erkennt meinen Rucksack draußen und ruft schon von weitem nach mir. Schön, so sieht man sich noch einmal wieder. Matthew bleibt hier. Ich möchte noch weiter nach Sygard Grytting.
Und da bin ich jetzt, liege alleine in einer Herbergshütte aus dem 13. Jahrhundert. Das Haupthaus ist aus dem 16. Jhd. Alles ist original erhalten und seit 1545 im Familienbesitz. Ich werde zum Lammessen eingeladen. Der Hof lebt in erster Linie von der Schafzucht. Und anschließend, nachdem ich gebührend ausgefragt wurde, zeigt mir der Hausherr den ganzen Hof. Mann mann, ich bleib einfach Pilger. Was meinst du Robert? Ach schmoll doch nicht immer so!! Den ganzen Abend hast du nur blöd auf dem Bett herumgerobbt, anstatt dass du mit zum Essen kommst. Soviel Liebeskummer nach Cindy kann doch keiner haben! ... Was meinst du? Wie? Die armen Lämmer?? Ach halt erstmal den Rand und leg dich in Position hinter meinen Nacken, ich muss schlafen. Morgen gibt's Frühstück, da will ich ausgeruht sein.

17.07.2013

Wieder ein Tag mit kleinen Überraschungen. Doch zunächst stellt sich auf dem Weg eine Konstante ein, die ich einfach mal mit "Dänemarkgefühl" zusammenfassen würde. Dafür muss man wissen, wie das gemeint ist: Als Kind und auch später bin ich oft in Dänemark an der Ostsee gewesen. Wir haben ein Holzhaus mit viel zu viel Garten drumherum gemietet, haben im Meer geschwommen, mit den Quallen gespielt, Joghurt aus 1l-Pötten mit selbstgepflückten Brombeeren gegessen und abends Spaghetti Bolognese gekocht. 2011 hatte das Ganze dann sogar die Ausmaße einer ganzen 150 Jahre alten, 5 Stockwerke hohen Mühle mit Wellnessparadies angenommen ... allerdings im November und zu fünft, damit das gute Stück auch nur ansatzweise bezahlbar ist. Statt Baden haben wir wie blöde geogecachet und Abends erst in die Sauna, dann mit Chips und Cola Bomberman auf der Wii gezockt. Das Dänemarkgefühl ist also auch auf Norwegen übertragbar. Egal wo ich klingel, um Wasser zu haben, kommt man freudig ins Gespräch. Die Unterkünfte sind teilweise original aus dem 19. Jhd. erhalten und sind meistens die Kornspeicher alter Bauernhöfe. Mittlerweile sehe ich immer öfter Höfe, an denen das Kreuz prangt und darauf hinweist, dass hier (meist ein oder zwei) Pilger übernachten können... für den einen Pilger, der da mal kommt. Und wenn er denn kommt, ohoooooo! Dann gibt's nichts Spannenderes mehr und alles Andere wird Nebensache. Ich hab sowas bisher noch nicht erlebt. Es sind halt nur 0,3% des Jakobswegvolumens, da konzentriert sich die Aufmerksamkeit gewaltig. Ich bin gjedenfalls spürbar alles andere als ein Tourist und das macht mich nachdenklich. So muss das Pilgern auf dem Camino 1982 gewesen sein.
Gegen Mittag kam ich in Bødrum an und bog ein zu einer Herberge, die ich gestern eigentlich nehmen und deswegen angerufen hatte. Komme auf den Hof, werde freudig von zwei vierbeinigen Bodyguards und der Hausherrin begrüßt wie ein alter Brkannter: "Aaaah, Oliver, da bist du ja!" Wie jetzt?! "Schade, dass du gestern nicht gekommen bist, wir hatten Suppe gekocht und uns schon Sorgen gemacht. In Skåden sagten sie, du wärst um halb 8 durchgekommen, aber du bist bestimmt zwischendurch eingeschlafen oder?" Öh ... was soll ich sagen... "Ach egal, trink mal den Hollundersaft hier und dann zeigt Alv, mein Mann, euch gleich den Wasserfall zum Schwimmen.", sagt Gerdrud Lillelien und zeigt mir den Hof. Vor den Scheunen mäht ein jünger Mann rasen. "Der ist auch Pilger und bezahlt grad die Unterkunft, hihi." Er heißt Matthew und kommt aus Polen. Zu dritt mit Alv, dem Opa von Heidi in Natura, gehen wir zum Wasserfall samt 3m Sprungfelsen ins 3m tiefe und 12 Grad warme, glasklare Bergwasser. "You can drink it, but please leave a bit for the fishes, right?" Ich springe mutig hinein und prompt schrumpft meine Lunge auf Flummigröße. Woah. Titanicuntergang, so fühlt sich das an, wenn Jack Dawson sich in die Fluten stürzt, denk ich bei sowas jedes Mal. Aber das Foto wars Wert :) Ich konnte nicht lachen. Alv will die Fotos haben. Das würden die Pilger doch eher selten machen, im August wirds aber wärmer ... 15 Grad. Na toll, das sagt er mir jetzt. Aber es ist toll, sag ich ihm, einen Wasserfall im Garten zu haben. Er wohnt schon dort, seit sie in den 70ern aus Oslo weggezogen sind. Er arbeitete in der Gegend als Bergbauarbeiter, sie bewirtete den Hof. Ich ziehe Alv die Fotos auf seinen Rechner und im Gegenzug nimmt die Frau meinen Rucksack zur nächsten Herberge nach Ringebu mit. Hui, ein toller Plan :-D Zwischenzeitlich taucht ein weiterer Pilger auf. Huch, langsam kommen sie. Obs in Richtung Trondheim wohl langsam belebter wird? Sebastian, in meinem Alter, hatte in Eidsvoll auch die Schnauze voll und nahm den Zug nach Hamar. Nun ist mein schlechtes Gewissen entgültig gegessen ;-)
Die 32-km-Strecke selbst war mit mehr als 1000 Höhenmetern sauhart. Gerdrud sagte 23. Jaja, immer diese umgekehrten deutsches Zahlen ... mein Pech. Ich war sowas von alle und liege jetzt in einem alten Schulgebäude. Ich bekamb Ersbeeren und ein Eis zur Begrüßung. Menno, schöön! Kam grad noch kurz mit Liliane der Besitzerin ins Gespräch. Angefangen hatte sie mit Bed n Breakfast, aber es wäre schöner mit Pilgern. Die haben immer ein Ziel und sie findet es toll, auch wenn die Sache gar kein Geld abwirft und sie sogar noch aus eigener Kasse beisteuert. Sie geht schlafen. Ich soll morgen aber tschüss sagen, gibt auch ne Waffel :) Ich geh auch schlafen. Schöner Tag!

16.07.2013

Was für ein schöner, schmerzhafter und anstrengender und überraschender Tag. Dachte, es wird heute eher wieder ne Straßensession. Aus Lillehammer raus wars auch erstmal so. Es ging vorbei an Fakkelsgården, dem ehemaligen olympischen Dorf... und ab in den Mückenbusch. Eindeutig außerhalb der neutralen Zone. Weise den Maschinenraum sofort an die Schilde hochzufahren. Derartig geschützt begebe ich mich ins Dickicht und treffe wenig später ein älteres Paar beim Brennnesseln schneiden. Huch, die terraformen ja den Pilegrimsleden :) Sie sehen mich und geben mir prompt ein Feedback, das in jedem Reiseführer des Jakobswegs so romantisch beschrieben wird, aber nur selten zu finden bleibt: Herzlichkeit. Sie freuen sich total mich zu sehen, wollen wissen wie es mir geht, ob ich gut behandelt werde, ob mir was fehlt. Bin freudig überrascht und wir kommen etwas ins Gespräch. Elisabeth und Odd sind Teil der Organisation, die den Weg ehrenamtlich in Schuss hält. Muss aber meine Dschungelgeschichte loswerden und sie nehmen sie bereitwillig an, sagen aber auch, dass es eher unüblich wäre von Oslo zu starten. Ach was. Hm... dann muss ich ja gar kein schlechtes Gewissen wegen meiner Zugverkürzung haben, wie praktisch :-p Danach ging's weiter auf die Straße. Üüüh, heut ist das langweilig. Ich red nur Blödsinn vor mir her, bis schließlich ein weißes Schild ein Skigebiet ankündigt: Hafjell. Und da steht ne Seilbahn rum, die geht bis ganz nach oben... und da gondolieren Gondeln dran im Kreis herum! Davor ein Schild: Sommerbahn, 60 kr. Schaue aufs GPS. Danach soll ich auch hoch an dieser Stelle. Zwar nicht bis zum Gipfel, aber Hey, wann kann ich das in Norwegen schonmal machen?! Miete mir für 15 Minuten ein Göndelchen samt routierendem Draht, der mich von 120 auf 789m befördert. Oben angekommen ist es auch gleich mal 5 Grad kälter. Aber die Aussicht, die Luft, das Glockengebimmel der Kühe, Kuhfladen, die Doppelmayr Bergstation ... ich bin in ein Wurmloch nach Österreich hineingegondelt! Toll! Schade nur, dass ich schon wieder runter auf halbe Höhe muss, aber der Ausflug wars wert. Oben am Grad stehen lauter schwarze Feriendomizile und die Leute fahren kein Ski, sondern Mountain Bike talwärts. Für mich gehts schließlich auf einer kleinen Piste weiter bis nach Skåden Gard, einem Hof auf 500m Höhe. Und was sitzt da vor einem Holzhüttchen in Schlafsäcke gewickelt? Zwei Pilgerinnen! Ich fass es nicht. Sowas darf man sich hier ja nicht entgehen lassen, die sind ja seltener als Elche! Wir quasseln eine Weile. Ingrid und Maria kommen aus Karlsruhe und gehen hier nur eine Woche. Heute ist der letzte Tag. Sie haben den Jakobsweg bewusst vermieden wegen der Pilgermassen. Nun, ich muss zugeben, das Pilgern hier wirkt allmählich als Solches authentischer. Ich will noch weiter in Richtung Tretten. Dort soll ein wunderschöner Hof liegen ... hmm ... noch schöner als hier oben? Ich lasse es drauf ankommen und werde nach einem letzten strapaziösen Anstieg um 300m mit etwas belohnt, mldas ich nicht erwartet hätte: Ich bin fix und alle und glücklich. Liege gerade in einer kleinen Holzhütte 400m über Tretten, die zu einem Bauernhof gehört und genau das wiederspiegelt, was ich an den Skandinavien so schätze: das Grundvertrauen. Die Hütte liegt direkt auf dem Weg und ist frei zugängig. Auf einmal stand sie da, wie Erdbeeren am Straßenrand in Dänemark. Drinnen steht eine Tupperdose zum Geld reinlegen, daneben ein Zettel. Übernachten kostet 50 kr, Studentenfutter mitnehmen oder selbst mit dem Wasserkocher einen Tee kochen 5 kr. Duschen: bitte klingeln. Das tue ich auch und frage gleich nach dem Stempel. Bekomme daraufhin eine Briefmarke in die Hand gedrückt. Äh ... a stamp for my pilgrim passport! Hammse nicht kennense nicht. Leiste pflichtbewusst Aufklärungsarbeit. Das wär alles noch neu hier. Es gibt nir 400 Pilger im Jahr. Das sehe ich wohl auch. Auf dem Jakobsweg sind es 140.000, der Camino del Norte zählt immerhin noch knapp 10.000 und hier: Ich kann rumbummeln wie ich will. Weder PPs noch SPs gibt's hier, Betroffene wissen, was ich meine ;-) Bin heute erst um 22h nach 37 km angekommen und die Hütte gehört mir allein :-) Dabei gibt's eine gigantische Aussicht über das gesamte Tal samt Stausee. Dennoch, es bleibt allein nur halb so schön wie es sein könnte, wenn man einen Tag wie heute mit jemanden Artverwandten teilen kann. Und da bleibt mir nur Robert die Robbe als treuer Weggefährte, mein kuscheliges Kopfkissen. Ich hab ihn noch garnicht vorgestellt! Ach, das hol ich die Tage gebührend nach, wenn's nicht so viel zu erzählen gibt ;-) Auf einem Foto gibts ihn schon zu entdecken!

15.07.2013

Vor 7 Uhr wache ich ruckartig und leicht geplättet auf und weiß nicht, wo ich bin. Ich merke nur, dass ich während der letzten Schlafstunden in einem parallelen Subraum umherirrte. Das Ganze ist mir so präsent im Kopf, dass ich mich ernsthaft frage, ob das tatsächlich Träume waren. Doch diese Art von Erinnerungen verblassen rapide und geben mir die Gewissheit, dass ich immer noch der Typ bin, der allein durch Norwegen läuft. Ich schreibe es mir dennoch auf, was da war, das hab ich schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht wirds jetzt peinlich, aber das juckt mich grad nicht, also:
Ich befinde mich in Paderborn in der Nähe des Rathausplatzes, und zwar in einer Art Disco, die es dort reell garnicht gibt. Sie erstreckt sich von der Rathauspassage bis zum Thalia über das Erdgeschoss mehrerer Häuser hinweg. Sie sind miteinander verbunden und zwar dadurch, dass Rollläden mitten in den Gassen heruntergelassen wurden, um das Ungetüm von provisorischem Tanzschuppenarrangement nachts insich zu verschließen. Der Eingang ist in der Rathauspassage und ich gehe hinein, weit nach hinten in einen kleineren Teil, der eindeutig als Kulisse des Sappho identifizierbar ist. Dort treffe ich Ann-Kathrin, eine Schulfreundin, die ich zuletzt vor 13 Jahren beim Abitur gesehen hatte [krass, ich bin genauso lange aus der Schule raus, wie ich drin war]. Sie ist gealtert wie ich, das Gesicht ist aber das selbe, sie ist blond und kurzhaarig [was sie nicht ist]. Sie freut sich mich zu sehen, denn sie sucht einen Sparringspartner zum Merengue tanzen lernen. Find ich supergut, ich such ja eh grad vergeblich nach einem derartigen Kurs und der Grundschritt ist einfach. Im Traum geht alles Weitere dann auch ausgesprochen einfach und ich frage mich, wieso ich eigentlich noch einen Kurs suchen sollte. Das Hin-Hüftschwung-Her-Hüftschwung wird jedoch unterbrochen, denn der Laden füllt sich bis zum Erbrechen und wir beschließen zu fliehen, bevor wir erdrückt werden. Es ist 2:30 und wird auch schon hell, es war auch nicht richtig dunkel, denn Paderborn ist eine Stadt in Höhe von Norwegen, was in Anbetracht der aktuellen Position des Wurmlochs in Richting dieses Subraums durch eine nachvollziehbare Logik besticht. Ann-Kathrin will noch ein Eis von einer fahrbaren Eisbude, die ja um die Zeit immer in der Stadt stehen. Ich gehe mit. Auf halben Weg fährt uns ihr Freund auf dem Fahrrad entgegen. Es gibt einen heiden Streit zwischen den beiden, wo sie gewesen sei. Ich ziehe mich zurück zur Disco, wohlwissend, dass da noch andere Kandidatinnen sind. Doch Pustekuchen. Dreiviertel der Disco ist verschwunden. Die Rollos wurden hochgezogen und geben den Weg für die Durchfahrtsgassen wieder frei. Drei Jugendliche räumen nur noch Plastikbierbecher von der Straße. Der Rest der Disco ist so klein, dass ich keinen Platz finde. In dem Moment weckt mich ein norwegisches Kind im Nebenraum und der Subraum fällt in sich zuammen. Aber so ist das halt mit Träumen. Sie wirken in den ersten 20 Minuten weit intensiver als alles Reale.
Dann fällt mir das Frühstück um halb 8 ein und ich beeile mich hoch zu Randi ins Wohnzimmer, wo sie mir ein Mini-Buffet aufgebaut hat. Sie selbst setzt sich rüber aufs Sofa und wir fangen auf Englisch an zu erzählen ... und hören dreieinhalb Stunden nicht auf. Sie ist 73 Jahre alt und war Lehrerin für Englisch, Religion und Geschichte, hat zwei Adobtivsöhne und lebte mehrere Jahre in China und Australien, um auch dort zu unterrichten. Zumindest erschließt sich mir jetzt, warum das ganze Haus voller Wandbehänge mit chinesischen Schriftzeichen ist. Und sie erzählt mir eine Menge über das Leben im Zentrum Norwegens und die ziemlich bewegende Geschichte des über 100 Jahre alten Hauses. Einst war es eine Versammlungshalle für eine christliche Gemeinschaft, einstöckig mit 6m hohen Decken. Sie und ihr damaliger Mann haben es dann zu dem umgebaut, was es jetzt ist. Gut, das erklärt wiederum, weshalb sich manche Fenster oben auf Bodenhöhe befinden. Sie hat eine 102,5 Jahre alte Mutter, die sie pflegt. Hm, denke mir, hätte sie keine grauen Haare, würde sie für 50 durchgehen, wie da wohl die Mutter ist? Sie erzählt mir viel über die Leute, mit denen sie im Leben umgegangen ist, bezeichnet den ein oder anderen auch als Sohn oder Tochter, zeigt mir Fotos aus alten Zeitungen. Die Frau hatte zweifelsfrei ein sehr bewegtes Leben. Doch bedauert sie, kaum Zeit mit der eigentlichen Familie zu verbringen, die sich abzusondern scheint. Wir fragen und beide, warum das so ist. Ich habe die Vermutung, dass es für einige Leute suspekt erscheint, wenn jemand ein weltoffeneres Leben führt als man selbst. Das konnte sie nicht wirklich verneinen. Sowieso ist die Gegend sehr wie das Auenland bei Herr der Ringe, vor allem wenn ich über die Nachbarn und Dorfgemeinschaften erzählt. Übrigens, Energiekosten und Steuern möchte man hier nicht bezahlen, das kann im Monat für ein Haus schonmal 700 Euro ausmachen. Und ich dachte, Energie wäre bei 100% Wasserkrafterzeugung so günstig.
Das war ein Frühstück, wie soll ich jetzt mein nächstes Etappenziel noch erreichen? Will direkt durch nach Lillehammer. 39 km. Und ich hab Lust ein Hörbuch zu höhren. Also wähle ich eine unter normalen Umständen langatmige Strecke über die 213, immer am Ufer des Mjøsa-Sees entlang (oh, das war gar kein Fjord), den ich währenddessen auch zwei drei Mal von Innen begutachte ;) Da gibt's nichts Spannendes, nur zügiges Laufen, bei 20 Grad und viel Wind und das tut grad gut. Am Himmel stehen wieder diese sahneartigen Wolkengebilde, die ich sonst nur auf Island wahrgenommen habe. Ganz flache, oval geformte, dunkelgraue Gebilde am blauen Himmel mit weiß leuchtender Korona. Gegen 21h erreiche ich dann ein schnuckeliges, verschlafenes Lillehammer. Hier fanden 1994 die gemütlichsten olympischen Winterspiele aller Zeiten statt und die Stadt zeigt sich bis heute deutlich dem Skisport zugewandt. Ich hab allein auf der Hauptstraße 16 Sportläden gezählt. Hab hier ein Zimmer im Gjeste Bu gebucht. Total spartanisch, aber meins :) Nadann bis morgen. Kuriosität heute: Ich finde Datenmüll. Einen CD Rohling und später dann eine SD-Speicherkarte. Was da wohl drauf ist? Muss ich unbedingt mitnehmen.

14.07.2013

Mann war das herrlich. Gestern Abend hab ich noch das Hotel erkundet. Diese Scandic Dinger müssen doch eine Sauna haben, wir sind schließlich in Skandinavien. Und richtig, im Keller, zum selbst anmachen, ich bin im Himmel :-) Nebenan ist etwas anderes zum selbst anmachen: ein Fitnessstudio gefüllt mit McFit-Models, blond schlank und extrem fotogen. Meine Güte, und die machen das hier ohne dass man sie sieht. Also ich seh sie, aber das zählt nicht, ich gehöre nicht so recht zum Zielpublikum, finde ich. Ich verzieh mich in die Sauna, mache zwei drei Gänge, dann holt mich wie ein Hammerschlag die Erschöpfung ein und ich bekomme hämmernde Migräne. Mag sein, dass ich mein Wegpensum die letzten Tage nicht geschafft habe und ein Bisschen cheaten musste, aber die Dschungel waren extrem kräftezehrend und fordern ihren Tribut. Ich schlief 9 Stunden durch. Heute morgen gabs zum ersten Mal seit Mittwoch wieder richtiges Frühstück. Und das im Hotel. Mann, wie schön kann essen sein :-) Danach Führerlektüre erkunden. Mein ... Weg soll nach Möglichkeit bis Ringsaker führen, denn dort gibt es wohl eine echte Pilgerherberge für 200 NOK, ca. 24 Euro. Das Günstigste überhaupt in Norwegen. Die Preise gehen bis zu 7x höher. Aber ich möchte nicht um jeden Kilometer mit mir kämpfen müssen, wenn ich wieder durch den Dschungel muss. Aber ab Hamar wird alles anders. Die gelben Pfeile weichen gänzlich den Olavszeichen und der Weg ist endlich so, wie ich es mir vorgestellt habe, um sich in Meditation zu laufen. Hamar ist das Saint Jean Pied de Port Norwegens und - unfassbar - ich hole zwei Pilger ein! Zwei Innsbrucker, aber sie sind nicht sehr gesprächig. Sie sind auch in Oslo gestartet und ich interviewte sie nach ihrem Eindruck vom Weg. "Wir sind den Westweg gegangen, du wohl den deutlich härteren Ostweg." Ach was. Da gibt's zwei Wege? Mein GPS hat nur eine Linie gehabt und viel zu oft war es hier bislang auch die digitale Rettungsleine. Die beiden haben Freunde in Hamar besucht und wollen ganz kleine Etappen machen bis zur Hälfte des Weges. Das ist nicht mein Plan und so verabschiede ich mich. Es geht durch wunderschöne Wälder und Wiesen mit einem großen Fjord in Sicht- und manchmal auch Badeweite. Herrlich! Meine Zwischenziele hatten alle Kirchtürme, denn dort gibt's wie gehabt Wasser und Wiese for free. Nur leider sind sie nie offen und so hab ich bislang neben zwei Hotelstempeln nur einen Pilgerstempel, den vom Pilgerzentrum Hamar. Kurios auf dem Weg war ein Mercedes Sammler. Er kündigte sich schon 1 km vor seinem mit alten Mercedessen überladenen Gutshof an. Überall im Wald standen Teile alter Karossen herum, aus denen schon die Bäume wuchsen. Weiter ging es quer über die immer kleiner werdende E6 durch einen weiteren Wald, in dessen Mitte eine Bühne Stand, auf dem ein Stück mit Zigeunern aufgeführt wurde. Der Weg führte genau zwischen Bühne und Tribühne hindurch. Ach ja, da spiel ich doch gern mal Statist, vielleicht passt ja ein schwarzer Pirat in die Szenerie. Man ließ sich jedenfalls nicht beirren. Kurz vor Ringsaker passierte ich noch einen weiteren Schrottplatz. Kuriosität hier: Mittendrin trohnt eine alte F104 zum Anfassen. Beachtlich, so ein Geschoss. Musste ich fototechnisch dokumentieren. Um halb 9 mit 34 km auf der Uhr erreiche ich Ringsaker. Hatte zuvor in der Herberge angerufen, um einen Platz zu sichern. Das hätte ich auch lassen können, ich bin der Einzige hier. Aber wenn das hier Herbergen sind, bin ich im Dänemarkurlaub. Ein zweistöckiges Holzhaus mit 4 Doppelzimmern. Randi Nordby, eine gesprächige Frau, hat ihr eigenes Haus umgebaut und nun sitz ich in ihrem Wohnzimmer auf einen IKEA Liegesessel. Morgen gibt's sogar Frühstück für mich. Nebenan schläft eine Familie, keine Pilger, sondern Freunde von ihr, die sie als permanente Bewohner akzeptiert hat. Hmm... muss an mein Haus denken ;-) Meine Füße brennen höllisch, aber ansonsten gehts mir gut. Und jetzt geh ich schlafen in mein Holzzimmer mit Holzbett :-) Werfe noch einen Blick auf das Pilgerbuch, das hier geführt wird. Letzter Eintrag 01.07., eine deutsche Mama mit Tochter. Oh. Das wird wohl diesmal wirklich "echtes" Pilgern werden. Zum Glück hab ich ein paar Mitsinglieder und Hörbücher dabei. Man glaubt gar nicht, wie motivierend mitsingen sein kann, so einen keiner hört ;-) Und damit der Saft nicht zwischendurch ausgeht, hab ich mir in Eidsvoll in einem Expert Klüngelladen für alles von Handy bis Angelhaken einen Akku zum Akku aufladen gekauft. Eine tolle Erfindung, aber auch ein nur relativ würdevolles Schlusswort für diesen Tag, der echt schön war. Hmmm ... ich könnts ja auch mal wie Harpe machen ... Erkenntnis des Tages: Dschungel hindern den Denkfluss.

13.07.2013

Schöner Tag und ich bin motiviert ... bis ich kurz vor Mittag an einer 800 Jahre alten Steinbrücke Rast gemacht hatte und ein Fahrradschild entdeckte auf dem Stand "Hamar 80,5 km". Der Weg hat sich seit gestern nicht gerade verbessert. Mehrmals stand ich vor Schildern, die ins Nichts führen und sich bei ein paar Machetenhieben ein Restweg eröffnete. Ansich ist es ja schon spannend, so sich so den Weg zu erschließen, aber wenn ich nach 5 Std. nur 10 km vorankomme, bekomme ich leider auch ein Zeitproblem. Bis Eidsvoll beschäftigte mich der Gedanke, bis ich entschied, 60 km bis Hamar per Zug zu verkürzen. Das erleichtert das Weiterkommen für mich gleich mehrfach. Einerseits habe ich nicht den Druck zu langsam zu sein, andererseits beginnt ab hier mein Reiseführer. Hmmm... ob das einen Grund hat? :-) Jedenfalls hoffe ich, dass der Weg jetzt auch öfter als auf den Straßen als solcher erkennbar ist. 19h war ich schließlich in Hamar. Hier war ich schonmal vor 13 Jahren. Und hier gabs ein Hotel, das weiß ich auch, das erste Hotel überhaupt, in dem ich war. Und da ich ein paar körperliche Instandsetzungen dringend nötig hatte, suchte, fand und checkte ich ein. Da bin ich jetzt beim Frühstück und backe mir Crêpes. Damit bin ich noch laaange nicht fertig, also bis morgen! :-D

12.07.2013

Es war eine kalte Nacht. Jetzt zwitschern die Vögel. Oder ist es die ganze Nacht Morgen? Jedenfalls kann ich durch den Blick aus dem Moskitonetz des Zeltes nicht erkennen, wie spät es ist. Blick aufs Handy ... 3 Uhr.... oh ... das war nur ein Test :-)

Es war eine kalte und harte Nacht. Fühle mich dennoch sehr ausgeruht. Blick auf die Uhr ... es ist .... 4:30 ... hooooh.... umdreh ... Zzzzzz...

Es war eine kalte Nacht und jetzt steh ich auf, egal ob dieses Ding 5:30 sagt! Ha! Draußen sitzt ein Mann vor der Kirche und beobachtet mein Zelt. Ist nicht Gregor, das kann ich auch durchs Netz erkennen. Wer ist das? Ich wart lieber noch kurz.... ok ... 15 Min um und pack schonmal zusammen..... Der geht einfach nicht. Egal. Ich will los. Ich geh raus, er erhebt sich auch. Ohje. war Schlafen hier doch verboten? ... Er geht hinter die Kirche, auf einen Aufsitzrasenmäher und knattert los. Hui, das war bestimmt für mich ... sehr freundlich :-)
Es geht los, Gregor treffe ich an der großen Scheune, der er einen neuen typisch roten Anstrich verpasst. Tschüss sagen, weiter gehts.... vorbei an vielen großen Gehöften von der Art, auf dem er arbeitet. Aber auch vermehrt durch Wälder. Und hier wird der Weg sehr skandinawisch Moskitos und Bremsen überall! Aber ich bin schneller! ... noch... Denn dann zeigt der Weg überdeutlich, dass er nicht der Camino ist: Ein gelber Pfeil zeigt auf ein Feld mit 1,5m hohem, blühenden Raps, mitten hinein. Ooooooh ja, sehr interessant! Blühender Raps Mitte Juli. Und jetzt? Sehe auf der anderen Seite des feldes gegenüber einen weiteren Gelben Pfeil hämisch winken. Ihr habt sie nicht alle, denk ich, zieh ich halt eine schöööne gradlinige Schneise ins Feld, mir doch wurscht. Da Pfeil, ich hier, connect Oliver to Pfeil, Commit work, trampel trampel, fertig. Ich gelb bestäubt wie Pfeil, gelber Pfeil vor mir grinst nach links, alles gut, alles klebt und juckt. Schaue links.... Und nun? Ein weiteres Roggenfeld tut sich auf, dahinter ein Wald. Es geht steil abwärts. Die spinnen doch. Gleiches Spiel noch mal. Lieber mal einen Blick aufs GPS werfen, der blaue Strich geht auch dorthin und tatsächlich. Am Ende des Feldes versteckt sich ängatlich zitternd, dass er hoffentlich unbemerkt bleibt, ein Pfahl mit Olavskreuz zwischen dichten Brennesselbüschen und zeigt mitten durch in den Wald. Frage mich wo die Däninen vor 5 Tagen waren. Jedenfalls nicht hier! Wohlan, ich betrete Neuland, zumindest für die Zivilisation des 21. Jhds, so scheint es mir. Damala 1997, als der Weg hier erfunden wurde, war da mal was, das kann man mit geübtem geologischen Blick erkennen. Ein antiker Pfad weiter abwärts in den norwegischen Dschungel, gelbe Pfeilreste an Bäumen, die mit ihnen mitgewachsen sind und da! Ein echter Rastplatz für Pilger ... heute ein Hotel für Borkenkäfer. So geht es mir noch 5-6 mal. Ich komme kaum voran, triefe vor Schweiß und die Mückenschar holt stetig auf. Muss an Tempel Run denken, ist so ein Dschungel-Wegrenn-Spielchen als Handy-App. Gegen 18 Uhr komme ich an eine Kirche und bin fix und alle. Kirchen sind hier ein Garant für Wasser, stelle ich erleichtert fest, denn die Blümchen auf den max. 1qm großen Gräbern verlangen hier täglich Wasser. So auch ich. Wasser über mich und natürlich in die Flasche, 1:5 mit feinstem Blaubeersirup ausm KIWI, lecker. Da setz ich mich glatt ein Weilchen neben Sigmund Kristiansen (*1871 +1948), ess nochn Keks dabei und frag mich, wo ich heut eigentlich hin will. Die Entscheidung wird mir beim Weitergehen durch entgegenklatschende Mückenscharen abgenommen. Es ist 21h, nichts geht mehr, meine Füße auch nicht. Befinden mich kurz hinter dem Rollfeld von OSL und beschließe mein Nachtlager im Wald aufzuschlagen und mich vor der Stechinvasion zu retten. Ich bleibe stehen und werde selbst zur hundertfachen Landebahn, aaah!!! Autan, zeig, was du kannst! Rucksack runter, Flasche raus, sprüüüüüüh ... Wahnsinn. Es ist wie der Schutzschild der Enterprise auf meiner Haut, sie prallen alle ab und bleiben auf Distanz. Genau einen Zentimeter. Es ist unheimlich, aber funktioniert. Beschließe bei einem hundertstimmigen Mückengesurre erstmal was zu essen. Es gibt Kaviar aus der Tube auf Fladenbrot. Die meisten Fiecher haben sich jetzt auf meinen Rucksack gestürzt. Recht so. Danach Zelt aufbauen, hinein und gut. Beobachte, wie die kleinen Rüsselchen durchs Gitternetz ins leere pieken. Tja. Lese ein bisschen im Führer. Der beginnt erst in Hamar. Das sind 90km von hier. Ob das bei dem Tempo wie heute alles so schaffbar ist, wie ich es geplant hab? Morgen werde ich sehen.

11.07.2013

Ich habe mich zu meinen Bettnachbarn gelegt und schreibe noch ein bisschen Tagebuch. Mein rechter Nachbar heißt Torleif Verket, mein Linker Knut Einar Lorentzen, unter mir liegt Jan Mogens Rognerud und über mir Sigurd Johan Hexeberg. Soweit nichts ungewöhnliches. Wir sind in Norwegen und da gibt's Menschen mit norwegischen Namen, nur dass diese hier alle eine Eigenschaft gemeinsam haben, die sie mit mir nicht teilen: Sie sind alle tot.
Ich hingegen fühle mich sehr lebendig und habe mein erstes Nachtlager nach Oslo aufgeschlagen, auf einem Friedhof. Wie dreist, nicht wahr? ist es aber nicht, sondern genehmigt vom Nachbarn und Gärtner der angeschlossenen Kirche. Er heißt Gregor und iet eigentlich auch Maler. Der Schuppen nebenan hat grad die erste Rotschicht bekommen. Er steht auf Stelzen, ein Bisschen wie in Galizien die Kornspeicher, find ich. Waren sie auch mal, gab Gregor zu. Er ist nur im Sommer in Norwegen, um auf den Bauernhöfen ringsum zu arbeiten, oder eben den Friedhof pflegen. Er kommt aus Polen und macht das, was viele Polen hier machen: Besseres Geld verdienen. Sein Freund Marius saß neben mir und löffelte rote Grütze, während ich versuche etwas von dem hier ins störrische Gerät zu tippen, während es an einer Kabeltrommel hängt, die den Wohnwagen der beiden befeuert. Ein schöner Einstieg in diesen Weg, find ich :-). Befinde mich Ca. 35 km von Oslo entfernt in einem kleinen Dörfchen mit der kleinen weißen Holzkirche. Und ich stelle sofort fest: Das hier ist nicht der Camino. Pilgerinfrastruktur wie Herbergen und Brunnen Suche ich vergebens. Pilger? "Oooh yes, there were two danish Ladies!" Cool! Wann? "5 days ago." ... Oh. Nein, dieses Pilgern wird anders werden, improvisierter, vermute ich. Aber es hat auch was gutes: Ich bin was Besonderes :-D Doch eines eint sowohl den Jakobs- wie auch den Olavsweg: Die Schnitzeljagt nach kleinen Zeichen und vor allem den gelben Pfeilen! Als ich heute Mittag den ersten gelben Pfeil kurz hinter der E6 erspäht hab wusste ich, ich bin gerettet ..... wenn der Akku alle geht und mein GPS nicht verfügbar ist. Der Weg schlängelt sich bei sonnigen 26 Grad durch osloer Vororte und Wälder. Über mir fliegen eine Menge Boeing 737 in Richtung Norden, wo auch mich die gelben Pfeile hinleiten werden. Die Flieger kommen immer tiefer. Ein Bisschen wie zwischen Frankfurt und Mainz, wenn man mit dem Fahrrad am Flughafen vorbei fährt. OSL, wo ich gestern um 0 Uhr gelandet bin, kann nicht weit entfernt sein, aber schon 50km außerhalb. War schön wieder da zu sein. Das Busterminal des Flughafenshuttles ist zufälligerweise direkt neben dem Radisson Blu, einem 37stöckigen Hotel, das Größte und Höchste Oslos, in dem ich schon 2008 mit meiner Schwester in einer seeehr hohen Sauna saß ;-) Gestern Nacht wurds aber das Anker Hostel. Das Radisson ist nur bezahlbar, wenn man es mit Einem Color Fantasy Fährenbutterfahrtspaket bucht, musste ich leider feststellen. Mal sehen wie es weitergeht. So würd's mir gefallen, auch wenn ich mich schwer tue die Einheimischen hier um Wasser oder um Wiese zu bitten. Jetzt noch schnell eine Gießkannendusche von der Friedhofsbewässerung und dann ab ins "Bett". Es ist 0 Uhr. Aber dunkel ist es nicht wirklich.