Camino Natural de Fuerteventura

06.06.2024 Fünfzig

  

Heute ist D-Day. Vor 80 Jahren. Für uns eher Rückzug. 50 Jahre Eue. Nur wir vier. Und was machen wir? Ne Wanderung zur Westküste wie früher? Naja. Ich glaube, wir mussen alle akzeptieren, dass wir älter werden und mit 74 Jahren solche Touren schwierig bis unmöglich werden, wenn die Gelenke und Bandscheiben betroffen sind. Das führt oft zu Frust, den ich zwar verstehe, aber er entlädt sich dann von jetzt auf gleich in unvorhersehbaren und daher unvermeidbaren Situationen. Am leichtesten erscheint es, den Frust auf andere abzuladen. Und es macht Planung für die Beladenen zum frustrierenden Balanceakt zwischen Befindlichkeiten und Fettnäpfchen auf der Suche nach einem gemeinsamen Konsens. Es geht ganz viel um Emotion, um gesehen werden, und ganz wenig um die Sache. Vorschläge werden bei Missfallen abgewatscht oder genervt durchgedrückt. "Cofete? Ich will nicht in den Müll!" Einigen? "Lass mich in Ruhe!" Und man bemüht sich dennoch weiter, weil, es ist ja ein besonderer Tag. Das macht's nur noch aussichtsloser. Und so endet der vorhergehende Abend planlos und frustriert im Bett... für alle.
Schlafen räumt auf. Am Morgen ist noch keine Lösung in Sicht. Alternativpläne werden zurecht gelegt für den Fall, dass garnichts geht. Aber dann schließlich geht die Sonne doch auf und wir einigen uns auf eine Inselrundfahrt. Also ab ins Auto. Wir fahren zuerst nach La Pared zur Westküste. Der eigentliche Plan war, dass wir dort in dem Restaurant La Caretta, in dem ich vor 5 Jahren auch schon gegessen habe bzw. wir vier vor 30 Jahren, jetzt wieder einkehren. Aber leider hat das Etablissement genau dann Betriebsferien, wenn wir hier sind. So ein Pech. Aber unser Hotel-Restaurant ist ein sehr geeigneter Ersatz, von daher ist das nicht so tragisch. In La Pared gehe einmal ums Restaurant herum. Es hat einen Pool mit Rutsche, den wollte ich als Kind schon immer mal sehen. Aber mehr als ein verwaistes, blaues Loch ist nicht mehr übrig geblieben. Schade. Dennoch, diesen Herzenswunsch konnte ich mir endlich erfüllen. Schon schräg, an was ich mich hier noch erinnere. Und das Gefühl, diese Rutsche da über dem Gebäude einmal zu sehen zu müssen war echt, als wäre ich Kind, obwohl es völlig trivial ist. Ich kann mir das nur so erklären, dass unerfüllte Neugier und Wünsche aus der Kindheit auch im alter konserviert bleiben, während neue Neugier und Wünsche an das damit verbundene Gefühl nicht mehr herankommen.
Heute ist es windstill. Auch an der Westküste. Und ich geh' schwimmen am Strand La Caretta und wir beobachten ein paar Einheimische beim Angeln. Sie werfen kleine Seeigel ins Wasser als Köder. Ich habe mein Fußband abgelegt zum Schwimmen. Als ich es wieder anziehen will, kelbt am Magnetverschluss eine kugelige Metallblume. Der Sand ist voller Eisen! Aber wovon?! Schiffwracks, wie das der American Star? Das Zeug macht den Sand kochend heiß.
Wir beschließen eine Rundfahrt durch die karge Mondlandschaft gen Norden zu machen, auf der es viele Miradors gibt. Er führt zufällig entlang des Teils des GR 131, den ich damals ausgespart hatte, als ich mit Malole nach Ajui gefahren bin. Also fehlte mir das Stück zwischen Antigua und Pàjara und ich kann so den Lückenschluss nachholen. Hier oben ist ein Centro Astronomico. Es sieht aus wie ein altertümlicher, Hemisphärischer Ritualsplatz aus Feldsteinen. Alle pilgern hin und bestaunen den Blick auf die Ost- und Westküste zugleich. Also auch wir, warum nicht. Aber wie bei all solchen Bauten hier, fehlt wie immer das Nachhaltigkeitskonzept. Man denkt immer nur ans Aufbauen und baut Solar-LED-Lämpchen unentnehmbar in Betonquader im Boden ein. Die funkeln dann ein paar Monate, um dann jahrzehnte lang kaputt zu sein. Mich ärgert das. Es ist lieblos und kurzsichtig und meiner Meinung nach einer dieser Indizien, wie Politik hier funktioniert.
Danach geht's weiter zur Kommunalgrenze zwischen Pájara und Betancuria. Auch ein Mirador in die Marslandschaft auf die durch weiße Kimmem begrenzte Landstraße. Der Blick tritt alledings gänzlich in den Hintergrund, angesichts der Hundertschaften an Erdmännchen. Hier lassen Touristen augenscheinlich so oft nen Keks fallen, das Verbotsschilder aufgestellt werden. Die Tiere sind agressiv und kontaktfreudig geworden. Wir werden besprungen und sie folgen uns bis ins Auto. Spatzen und Raben ebenfalls. Der Mirador wird unfreiwillig zum Streichelzoo, für den Eintrittspreis diverser Kekse. Das sollan wir zwar nicht, aber ich glaube, dafür müssten die Tiere schon deutlich unsüßer daherkommen. Geht nicht. Meine Schwester ist hin und weg. Mama fotografiert sich wund. Eine Stunde vertreiben wir uns so die Zeit. Tja, so kann man die Zeit auf dem GR 131 auch rumkriegen, bevor es weitergeht. Die Kinder wollen Eis! Wir kommen durch Veto de Rio Palmas und es wird tatsächlich auch ohne Bewässerung mal grün zwischen all den roten Hügeln rings herum. Die typischen Wasserpumpmühlen drehen sich quietschend und träge im herum, es ist fast windstill. Der Ortskern ist leer. Die Kirche ist geöffnet. Wir wollen hineinschauen und parken an einer sehr einseitig beklebten Wahlplakatwand der diesjährigen Europawahl. Gegenüber liegt eine Bodega. Mit Innenhof! Besser geht's nicht bei der Wärme. Also machen wir kurz in der Kirche 5 Elektrokerzen mit nem Euro an. Eine 20 Cent, kein Mengenrabatt. Und dann ab was trinken.
So stellt man sich das idealerweise vor. Ein kunterbund bewachsener Innenhof einer Bodega, die wir für uns allein haben. Wir essen besagtes Eis und trinken Cola. Hier ist der perfekte Rundwegabschluss und ein perfekter Spot für das Jubiläums-Selfie von uns vieren, bevor wir den Rückweg antreten zum Abendbuffet. Wer weiß schon, ob das nochmal so gelingt hier auf der Insel, also lassen wir es krachen. Ich habe durch Frances mein neues kanarisches Lieblingsgetränk für mich entdeckt: den Barraquito. Das einzige Kaffeegetränk, das ich jemals dulden werde. Der Regenbogen unter den Kaffees in fünf Schichten. Genial. So kann man 50 Jahre Eue gut feiern. Mama und Papa erzählen Anekdoten. Ja, so war das damals!... und so. Jetzt weiß ich auch, was 1974 kirchliche Eheberatung bedeutet. Und Aussteuer. Und Doppelverdiener, die sich erdreisten, erst mit 30 Kinder in die Welt zu setzen und in den 70ern Fernreisen nach Syrien, Kenia, Jordanien, Sri Lanka und halt auch Lanzarote zu machen, während alle anderen schon Kinder im Schulalter hatten. Dekadent. Geht ja garnicht. Wie auch immer, irgendwas lief richtig, denn wir sind jetzt alle hier und stoßen an aufs Leben.