Camino Natural de Fuerteventura

04.06.2024 Pico de la Zarza

  

Die Eltern haben am 06.06. ein 50-jähriges Jubiläum: Goldene Hochzeit! Und das soll gefeiert werden, yeah Partyyyy!! Nur einer der Protagonisten hat keine Lust auf Party bei Sengers in der Festhalle der Wirtschaft in Geseke mit 50 Leuten: Papa. Ich persönlich kann das sehr gut nachvollziehen und ich hatte im Winter letzten Jahres einen Gegenvorschlag: Warum nicht als "alte" Familie über die Jubiläumswoche hinweg nach Fuerteventura ziehen, 30 Jahre, nachdem wir das erste Mal dort waren und ich das erste Mal überhaupt geflogen bin... 1994. Der Gedanke musste erstmal reifen. Sowas ist "in dem Alter" nicht mehr leicht entschieden. Aber schon am gleichen Abend fand man die Idee gut. Ein würdiger Ersatz. Ich selbst war bei der Zielauswahl nicht ganz uneigennützig. Schließlich fehlt mir ja noch die neunte kanarische Insel Lobos. Und die erreicht man vom Norden Fuerteventuras per Boot. Meine Schwester ist ebenfalls wanderbegeistert. Wir haben 30 Jahre alte Fotos herausgesucht und wollen versuchen sie nachzustellen wie damals auf Lanzarote. Und so haben wir gleich mehrere Ziele für uns zwei. Heute nehmen wir den ersten ins Visier: der Pico de la Zarza ist der höchste Punkt der Insel mit 806 Metern und gleich um die Ecke unseres Domizils in Esquinzo für die nächste Woche. Ein relativ abgelegenes Hotel zwischen Jandìa und Costa Calma. Ist mir vor 5 Jahren gar nicht so aufgefallen. Hier ist nichts los. Sowas gibt's doch noch. Ich bin begeistert. Die Einheimischen auf den Inseln haben ein dringendes Bedürfnis einen Schlussstrich unter den Bettenburgenbau und den Wohnungsmangel auf den Kanaren zu ziehen. 80.000 gingen Ende April, nachdem wir aus El Hierro zurück waren, auf die Straße gegen Massentourismus. Ich bin schon wieder begeistert. Dass das Geschäft eine Kehrtwende erfährt, sieht man bei unserer Wanderung heute durchaus deutlich. Der Weg zum Gipfel führt an einem malerisch grün gewässerten Golfresort vorbei. Soweit so schlecht. Davor eine große Pueblo-Anlage, das Stella Canaris. Eine gewaltige, bunte Ruine mit verdorrten Palmen, leeren Pools und Papageienzoo, früher allein weit und breit vor Morro Jable, heute eingepfercht von neuen, hipperen Anlagen. 1975 gegründet von einem vermogenden iranischen Investor namens Hossein Sabet, der 2013 schließlich wegen Steuerhinterziehung in zu Gefängnis verurteilt wurde. Seit dem gab es so viele fehlgeschlagene Reanimationsversuche wie auf Michael Jacksons's Neverland Ranch. Es ist zu fett und funktional zu obsolet. Das Alte rottet vor sich hin, wie auch die Infrastruktur rund um die Golfanlage.
Der Weg führt von dort stetig ansteigend in die Höhe, geradewegs auf den Gipfel zu. Es ist windig wie damals im November. Damit hätte ich nicht gerechnet. Windhosen peitschen unvermittelt um unsere Beine. Vor uns hängt eine gleißend weiße Wolkenwand wie ein Gletscher in der Luft, man könnte meinen, es wäre ein gewaltiges Eismassiv. Der Weg ist einfach für uns. Wir sind beide sehr geübt. Dennoch fühlt es sich... hmm... sagen wir "asynchron" an. Meine Schwester hat das typische Wanderoutfit an. Ich bin barfuß und auf den Vibramsohlen unterwegs. Und sie ist damit deutlich schneller als ich. Das ist nicht mehr mein Rhythmus und ich fühle mich einer unausgesprochenen Ungeduld ausgesetzt, die mir immer wieder die Konzentration nimmt. Ich stolpere ständig. Hilft nix. Ich muss vorweg laufen und den Takt bestimmem. Wir kommen auch so sehr schnell am Gipfel an. Schild sagte 3,5 Stunden. Wir sagen 2. Wozu also die Eile.
Über den Gipfel hinaus schaut man über die halbe Insel und entlang der stürmischen Westküste bis hinunter zur Villa Winter und der Piste, an der ich mich vor 5 Jahren mit dem Fahrrad durch heftigen Novemberwind gepeitscht bin. Nach einer Kekspause und einigen Fotos von uns in der beeindruckenden Höhenszenerie geht's wieder zurück. Mission erfüllt, der letzte höchste Punkt einer Kanareninsel ist erklommen, der mir noch fehlte. Na und wenn es so easy hier hoch geht, dann können wir ja auch den alten Wirtschaftsweg durchs Tal zurück laufen, denken wir so. Fataler Fehler. Das breite Kerbtal ist wie ein Staubsauger mit Windstärke 10. Wir können uns kaum auf den Beinen halten, verlieren mit jeder Böhe das Gleichgewicht. Zu allem Überfluss kommt jetzt auch mal so richtig die Sonne raus und es wird heiß. Mir siffen die Haarsträhnen ins Gesicht, die ich nicht mehr gebändigt bekomme. Schön ist der Weg dennoch. Riese Kakteenbüsche zeigen an, dass hier oben in der Wüstenlandschaft sogar eine Quelle ist, die durch Ziegenhirten sogar genutzt wird. Daher auch dieser Weg. Aber er ist mehr ein Geröllbalanceakt für mich, kaum begangen und ich fluche ganz schön rum. Wir können uns durch den Wind nicht verständigen. Er zerrt mir sogar meine Vibramsohlen von den Füßen. 3,5 Stunden Abstieg. Fast doppelt so lange wie aufwärts. Das ist auch mal Rekord. Die Eltern warten bereits auf Nahrung, die wir mitbringen sollten. Ich will in die Hotelsauna auf der Klippe mit Meerblick. Ich muss es vielmehr. Meine Beine sind so sauer und kribbeln vor sich hin. Heute gibt's Brot und Käse vom Supermarkt, der hier in Esquinzo die Insel eines gigantischen Kreisverkehrs bildet. Wir kaufen ein, wir essen und ich schlafe bald auf dem Stuhl ein. Jaja, mein Schuhwerk ist in Begleitung anderer eine Herausforderung, das sehe ich ein. Meine Schwester und ich müssen uns noch gemeinsam finden. Ich bin zu lange allein wandern gewöhnt. Da kann ich laufen wie ich will und das fehlt mir gerade.