Todos los colores brillan alrededor del
Camino de Los Alto

20.06.2022 Unter Regen

  

Ich wache auf und es schüttet aus Gießkannen. Der erste Regentag seit dieser Reise. Trotzdem merke ich, wie meine Stimmung instinktiv sinkt, wenn ich in meinen Möglichkeiten draußen eingeschränkt bin. Der Blick aufs Wetterradar zeigt, dass es nur dieser Tag sein wird. Trotzdem ist der Unterschied krass. Gestern 37 Grad, jetzt 13 und ich kann meinen Atem sehen. Mir soll das heute egal sein, ich verziehe mich zur historischen Erkundung Berlins unter die Oberfläche und beschließe die Flakturmführung der Berliner Unterwelten am Gesundbrunnen zu machen. Einmal mehr kommen meine „Tarnkappen“ für die Sandalen zum Einsatz. Man darf die Führung nur mit festem Schuhwerk durchführen, schließlich befinde ich mich in einem dreifach gesprengten Gebäuderest, dessen vierte Etage zu einem kleinen Teil begehbar geblieben ist. Ein gruseliges, totes Stahbetongerippe, das von außen kaum mehr als eine Aussichtsplattform in einem Park mit Schuttberg ist, auf dem mittlerweile Bäume thronen, die zum überwiegenden Teil 75 Jahre alt sind und damit verschleiern, was das Gebäude einst für eine Funktion hatte. Aber auch die nachträgliche Funktion eines Aussichtsturms, zu dem die Ruine Ende der 80er Jahre ausgebaut wurde, ist durch die Subkulturen aktueller Zeiten kräftig übersprüht oder überklebt worden. So werden auf einen Schlag vier oder fünf Kulturüberwucherungen sichtbar. Krieg, Erholung, Erinnerung, Okkupation.
Die Tour ist spannend. Ich liebe es, solche Katakomben zu erkunden und ihre Geschichte zu begreifen. Die Zeit wird dadurch auf unwirkliche Weise wieder real und ich wünschte mir sehr, der derzeitige blaugelbe Beistand wäre nicht notwendig. Geschichte wie diese zeigt, dass es das ist. Man muss solche Türme gedanklich freilegen und nachts anstrahlen. Aus jener Zeit hat nur ein Soldat die letzten Angriffe auf den Flakturm überlebt. Einer von 166. Das ist im Asow-Stahlwerk nur unwesentlich anders.
Die Führung ist vorbei, ich fahre in meine Wohnung im Friedrichshain und besuche zum Nachmittag das Filmtheater nebenan, „Schmetterlinge im Ohr“ gucken und Popcorn futtern. So überwinde ich auch die Wolken, zum Abend kommt die Sonne heraus. Na siehste. Ich beschließe, mir auch den Flakturm hier im Friedrichshain anzuschauen. Mal sehen, was davon noch übrig ist. Und zum Abschluss nochmal in die Therme zum Schwitzen. Aaaaah, herrliches Singledasein. Ich muss das ausnutzen. Manchmal braucht es seinen Raum. Heute ist dafür der letzte Tag.