Todos los colores brillan alrededor del
Camino de Los Alto

12.06.2022 Parador del Teide

  

Ich habe immer noch ein Druckgefühl, als wenn der Gaumen platzen wollte. Kurioserweise wandert der Schmerz immer weiter weg von den Zähnen unter die Nase. Was würde ich dafür geben, dass das nicht da ist. Es ist schlecht zu ignorieren und zwingt mich für heute Plan B in die Tat umzusetzen: ich nehme also den Bus. An der Haltestelle ist auch eine Apotheke. „Benzocain“ soll schlagartig betäuben im Gaumen, hab ich gestern beim rumgooglen gelesen. Man sollte nur nicht zu viel googlen. Am Ende landen alle Ursachenauflistungen irgendwie immer bei Krebs, egal ob Mund, Bein, Pipi oder sonst welche Beschwerden. Das ist ein ganz schlechter Gruselroman nachts um 24 Uhr allein im Bett mit seinem 15-kHz-Tinitus auf so einer Reise. Das Zeug wirkt. Mein Gaumen fühlt sich wohl wie beim Zahnarzt nach der Spritze. Und da kommt auch schon die 348 auf dem Weg in den Himmel.
Viel verpasst hätte ich nicht zu Fuß hinauf. Wir fahren durch die Wolkendecke hinein in den Corona Forestal, der sich bis auf eine Höhe von 2000 Metern am Berghang erstreckt. Dann wird es karg, aber erstaunlich bunt. Die Wolken lassen oft mal Nebel hier und die Flora bekommt etwas von einem außerirdischen Planeten. Lange Zapfen symmetrisch umsäumt von tausenden Blüten sprießen an den Berghängen über zwei Meter hoch aus dem Boden. Hab ich noch nie gesehen. Tajinaste heißt es. Beeindruckendes Turmgewächs, das mehr was von einem quallenartigen Tier hat. Alle im Bus wollen zur Teleférico-Station. Ich will eins weiter zum Parador-Hotel. Drei Kilometer weiter sitzt es auf der Hochebene, vor dem sich der Teide immerhin noch 1.5 Kilometer hoch auftürmt. Für den ultimativen Ultra-Leichtgewicht Voll-Minimalisten wie meiner einer bietet es das allernötigste: Sauna, Pool… naja… aber wegen Reparaturen erst ab 1. Juli. Verdammt. Ich hatte mich so gefreut hier oben finnisch rumzuschwitzen. Wie soll ich jetzt überleben? Mein Gaumen scheint hingegen erleichtert zu sein, verlangt aber dennoch gegen das erneut anschwillende Pochen einen Shot Droge aus der Spraydose.
Ich gehe dann mal los unter die vielen Touristen hier oben und schaue mir die umliegenden Hotspots an, wo alle hinmüssen, vor allem die Roques der Garcia. Hier liegt ein Stein über einem riesigen Lavafeld des letzten Ausbruchs von 1909, der sieht aus, als würde man über einer Klippe stehen, auch wenn er in Wahrheit nur 1 Meter hoch ist. Hier entstehenden tausende von Insta-Selfies mit hoch ausgestreckten Armen, flatternd in den Wind gehaltenen Blusen und viel viel Kussmund. Ich will jetzt nicht unfair sein, aber während ich da stehe, zieht es ausschließlich junge Frauen auf den Stein zum eben dies machen. Sie geben sich dabei gegenseitig Tipps, wie man längere Beine bekommt und wie das Weitergehen-Verboten-Schild stilvoll überdeckt werden kann.
Ich will später noch einmal raus. Keine Wolke hier oben. Bestimmt kann man tolle Abendlicht- und Sternenaufnahmenachen. Aber ich will auch für morgen Plan B einläuten. Vorsorglich habe ich vor Monaten Schon eine 12-Uhr-Seilbahn bergauf gebucht für den Notfall, dass ich außer Stande bin, 6 Stunden und 1500 Höhenmeter Aufstieg auszuhalten. Was das konkret bedeutet, weiß ich durch den GR 131 über den Caldera-Grad auf La Palma. Ich hatte ja eher an sowas wie Fußverletzungen und Verstauchungen gedacht. Aber ich hab Backe. So kann der Fall also auch eintreten.
Wenn ich im Zimmer herumliege, mache ich mir zu viele Gedanken. Ich beschließe, den Teide im Sonnenuntergang und in der Nacht ins Visier zu nehmen und die ProblemLösung um 4 Tage aufzuschieben. Ich bin nur einmal hier. Ibu betäubt zuverlässig und ich gehe raus. Mache auch ein Klippenselfie und noch einiges mehr, setze mich auf die Terrasse des Parador mit einem Vanilleeis und erfreue mich der außerirdischen Landschaft so gut es geht. Der Schmerz lässt nach und ich entspanne mich. Es ist warm und still hier oben. Es wäre unsinnig gewesen hier hochzulaufen, 36 Kilometer weit.