Todos los colores brillan alrededor del
Camino de Los Alto

08.06.2022 Acojeja

  

Ich wache etwas unterkühlt in meiner Bubble auf. So heiß wie es Tags über war, so kalt wird es nachts. Da isoliert nichts, so wie im Zelt. Und? War’s das jetzt wert? Schwer zu sagen, kommt auf die Erwartungen an. Angepriesen wurde die ultimative Wildlife experience unter den Sternen. Verglichen mit meiner Übernachtung auf dem Pico der la Cruz vor zwei Jahren ist das hier eine Wunschvorstellung, ein Lifestyleprodukt, das durch seinen Preis Exklusivität vermittelt, aber keine besseren Sterne als draußen. Jeder Balcon ist eindrucksvoller, weil keine Plastikschicht die Konturen verwischt.
Ist man allerdings ein abenteuerlustiges Kind, das seine Freude dabei hat Marskolonist zu spielen, auf gefährliche Außenmissionen in Jacuzzitümpeln durchzuführen, Ständig die Druckkammer benutzen weil’s fetzt und kreativ mit Fotomotiven herum zu experimentieren, dann hat man seine helle Freude. Ich habe keine außergewöhnlicheren Sterne als auf La Palma erwartet, aber Astronaut sein war voll meins. Also ja, ich habe mich prächtig amüsiert mit und in diesem spacigen Nonsense.
Nach Jacuzzi, Frühstück und Pool geht’s dann los. 13,5 Kilometer Luftlinie auf dem GR 131 und GR 133 heißt wohl, es wird spät und mindestens doppelt so lang werden. Auf ca. 1100 Höhenmeter treffe ich schließlich auf die Wege, die hier in Union verlaufen. Die Traverse GR 131 beginnt hier in Arona und zieht sich in 7 Etappen der Länge nach über die Insel. Der GR 133 existiert hingegen nur auf meinem Handy als GPS Track. Zeichen gibt es keine. Stattdessen lauter gelb markierte Tagesetappenwege, die dem Streckenverlauf folgen.
Je mehr ich nach Norden komme, desto bewaldeter und grüner wird es. Hmm… muss an der Jahreszeit liegen, aber alles ist irgendwie grüner und blühender, als ich es von den anderen Inseln gewohnt bin. Der Fenchel sprießt gerade und hat noch keine Blüten. Die Wege sind einsam und auf den Fichtennadeln wunderbar zu laufen und führen von Barranco zu Barranco. Zum Glück nicht hunderte von Metern auf und ab. Es ist heiß und trocken. Keiner ist hier und ich kann bis zum Ausgang des Wanderwegs ganz ausziehen. Nur ab und an muss ich die Sohlen anziehen. Nach 3 Stunden habe ich 4 Liter getrunken. In Taucho angekommen frage ich an den vereinzelten Häusern nach Wasser. Man freut sich immer, wenn ich das auf Spanisch mache, also hab ich die Scheu verloren. Jeder will wissen, wo ich herkomme und was ich hier oben treibe. Heute wurde ich gefragt, ob ich Italiener bin. Find ich ja schon ein bisschen gut, dass ich nicht augenscheinlich als Kartoffel zu erkennen bin. Doch irgendwann ist auch das leer. 7 Liter in 4 Zeit für eins dieser Wegewunder, dir immer dann kommen, wenn ich eins brauche!... denke ich mir, als an einem Weingarten plötzlich ein Nektarinenbaum daher steht. Ich hab ein Beschwörungstalent, das ist einfach unglaublich. Die Dinger sind auch noch reif! Ich habe noch nie Nektarinen direkt vom Baum gegessen. Was macht der Baum hier oben?! Mit völlig verklebten Händen erreiche ich den Ort Tijoco Alto, an dessen Ortsrand eine Trinkwasserleitung geplatzt ist. Na logisch, hab ich mir gerade gewünscht!
Aber es wird spät. 19 Uhr schon. Also beschließe ich den letzten Teil entlang der Hauptstraße zu gehen… die aber auf der anderen Seite eines dann doch recht steil abfallenden Barrancos beginnt. 500 Meter Luftlinie. Was der Käse in Wirklichkeit bedeutet, weiß ich ja. Na denn. Kein offizieller Weg führt da durch. Mein Track sagt aber, dass ich da rein soll. Da ist aber nichts, nur Kakteen. Bin ratlos und schaue mich um. Nehmen wir mal an, der GPS Track ist 10 Jahre alt. Damals gab es noch keine Gallileosatelliten. Also hat er eine Genauigkeit von +/- 20 Metern. Ich scanne die Umgebung ab, bis mir etwas entfernt ein Steinmännchen in einer Art Grasfläche auffällt. Ich gehe hin und tatsächlich: ein offensichtlich gebauter Wanderweg tut sich unter viel Gestrüpp auf, der in Richtung Schlucht führt, perfekt präpariert, aber augenscheinlich aufgegeben. Verwitterte Zeichen prangen an manchen Steinen, allerdings nur in weiß. Die zweite Farbe ist zu Grau verblichen. Na wenn das nicht Überreste des GR 133 sind. Ich folge dem Pfad mit einem mulmigen Gefühl. Es geht in die Steilwand hinein. Ziegen bimmeln unter mir herum und freuen sich auf mich. Aus dem Weg wachsen schon kleine Bäume, die ich stellenweise durchpflügen muss, an anderen Stellen muss ich über Geröllabgänge klettern. Ich triefe nochmal 2 Liter Wasser aus und erreiche nach einer Stunde die gegenüberliegende Seite. 500 Meter, eine Stunde. Ich hab kein Bock mehr und es ist nach 20 Uhr. Ich suche nach einer Straßenalternative, finde eine und steuere den nächsten Supermarkt an. Ich brauche Erdbeerflüssigkeit right now. Die bekomme ich sogar direkt zum Ladenschluss um 21 Uhr in Tejina. Das war knapp. Ab zur Casa Ceda, meiner heutigen Behausung. Zum Glück wieder mit Self Service. Meine Füße brennen, mein Nacken auch, verdammt, das ist wohl Sonnenbrand. Muss ich was beim Einschmieren vergessen haben. Meine Gelenke, Schultern und Beine sagen „Yeah, Let’s Go!“. Ich fasse es nicht, wie alt mich diese Borrelien die vorherigen Jahre gemacht haben. Ich meine, es ging ja tagsüber, aber wehe, die Glieder sind einmal kalt geworden, dann wurde ich zum Krüppel. Jetzt fühlt es sich an wie Jakobsweg 2012.
Casa Ceda ist das lebende Beispiel für eine gelungene Tiny House Konzeption. Der Raum zu klein, völlig unförmig und kaum zu gebrauchen… es sei denn, man denkt um die Ecke, im wahrsten Sinne. Es ist saukreativ gelöst und gibt sich stilistisch dänisch. Es ist toll, hier bleibe ich. Ich trinke meinen Erdbeersaft aus, dusche, klettere auf mein Hochbett über der Dusche und dem Bad, schaue in halber Höhe auf die Küchenzeile nach dem WLAN Passwort und fange an zu schreiben...