Circular de Lanzarote

10.09.2021 Faro de Pechiguera

  

Ich wache auf und denke ich habe Zeit. Na mal sehen, wo es heute weitergeht. Schnell wird mir klar, ich habe überhaupt keine Zeit. Das sieht so wie ein lustiger Küstenspatziergang aus, ist aber wieder 25 Kilometer lang. Und meine Füße kribbeln immer noch von gestern. Aber was soll's. Ich hab ja eine Mission. Also Wanderschlauch auf uns raus. Der "Bus voller Holländer" kommt gerade an. Grüner See angucken. Hm... aber die passen doch gar nicht alle auf den Aussichtspunkt! Ich soll die LZ-703 nehmen, sagt der Besitzer meines Casas und gibt mir zum Abschied noch eine Cola Cao mit auf den Weg. Die 703 sei zwar gesperrt, aber ginge trotzdem. Heißt, ich habe die ersten 10 Kilometer einen extra breiten, asphaltierten Wanderweg für mich allein. Bombe! Zum grünen See geht's auch hier von unten heran... oder besser, es ging. Der Zufahrtsweg samt verwaistem Parkplatz ist zwar da, aber eine fette Leitplanke versperrt den Weg, was zu vielen verstört dreinblickenden Mietwagenfahrern führt. Mann will irgendwo trotzdem irgendwie parken. Frau schimpft, weil das keinen Zweck hat und die folgenden drei Autos genau die selbe Idee haben. Ein Mietwagenschimpfknäuel bildet sich somit vor der Leitplanke und man fährt irgendwann frustriert weiter. Erst recht, als ich trotzdem hingehe, denn verboten ist es offensichtlich nicht. Nur für Autofahrer unmöglich... muhaha. Unten am See wird klar, warum ich gestern den Abgang nicht gesehen habe. Man hat einfach ein Podest darauf gebaut. Der See selbst hat eine gallenartige Färbung und ist viel trüber, als auf unseren alten Fotos. Angeblich kippt die Biosphäre hier und keiner weiß genau warum. So wird der See langsam zu einem künstlichen See, der für die Touris weiter herhalten und so tun muss, als ob. Davon lebt das ansonsten verschlafene El Golfo mit seinen 170 Einwohnern.
Ich gehe weiter die Straße entlang bis Los Hervideros. Bis dahin darf man auch noch fahren. Der Tui-Bus ist auch schon da und hat eine große Menge Canon-DSLR-Kameras ausgespuckt, die hier von Menschen in Felslöcher gehalten werden, in denen unten das Wasser hineinströhmt. Man steht brav an für sein Foto und noch mehr Selfies in Löcher mit Wasser unten drin, die garantiert alle nichts werden und nicht bei Insta landen. Das wirkt einfach nicht, in keiner Kameraeinstellung. So oder so ist der Ort irgendwie... naja... hab ich jetzt auch zufällig auf dem Weg abgehakt. Ich gehe weiter auf der jetzt gesperrten Straße. Ein älter Mann folgt mir mit einem EOS 1 Geschoss. Er ist mir bei den Löchern schon aufgefallen, weil er in waghalsigen Kletrermaneuvern sein L-Rohr auf noch nie da gewesene Montive ausgerichtet hat. Frau wartete oben am Parkplatz und passte auf die Equipmenttasche auf. Da bleibt mir nur eine Frage: Für wen?
Er folgt mir und bleibt an jeder Biegung atehen, an der auch ich über die Klippen schaue, bis er irgendwann realisiert, dass ich gar nicht umdrehen will... und weg ist er. Ein paar Kilometer weiter realisiere ich dann schließlich, warum hier die Durchfahrt gesperrt wurde: ein etwa autogroßes Loch ist direkt an der Straße aufgebrochen und hat darunter eine Gasblase aufgetan, die bis ins Wasser reicht. Puh... dass bei dem "Blindgänger" da jahrzehnte lang nichts Schlimmeres passiert ist...
Unmittelbar nach dem Loch komme ich an die Salzgewinnungsfelder Salines de Janubio und die Straße ist von der anderen Seite her wieder freigegeben. Der Kameramann von eben ist schon da und schießt die Arbeiter in der Saline mit seinem Sniper-Tele ab, die gerade kleine Salzhütchen aus den Verdunstungsteichen heraus auftürmen. Diesmal samt Stativ. Die Frau sitzt solange im Miet-Polo und schmökert was Buntes. Ich erreiche das obere Ende der Salinen, wo man in einer Bodega alles rund um das hier gewonnene, kristalline Gut erwerben kann und Wasser! Letzteres ist mein Souvenir. Es ist heiß und ich hab schon wieder drei Liter versoffen.
Mir fällt eine schachbrettartige Formation auf. Ein Bild meines Vaters zeigt das. Ich versuche die exakte Position anhand der Winkel auf seinem Foto auszumachen, bis ich sie nach etwa 20 Minuten auf einer Anhöhe schließlich habe und direkt auf einen schnurgeraden Weg mitten durch die Salzlagune schaue. Ein komisches Gefühl ist das gerade. Exakt hier hat Papa gestanden und Mama mit seiner schweineteuren SLR vor einem halben Jahrhundert abgelichtet, 17 Jahre jünger als ich jetzt bin. Plus minus ein bis zwei Meter, denn sonst stimmt der Winkel schon nicht mehr. Sehr sehr komisch fühlt sich das an. Ich stelle fest, in 50 Jahren hat sich nicht so viel verändert, außer dass natürlich die aktiven Salzfelder hin und herwandern.
Weitere 15 Kilometer liegen noch in einer gelblicheren Wüste entlang der Küste vor mir. Meine Füße sagen "nicht dein Ernst jetzt, oder?!" und überzeugen mich davon, die parallel zur Schnellstraße verlaufende 701 zu laufen. Laaaaaaaangweilig. Aber immerhin... während alle Autos auf der großen Straße fahren, ist die Kleine fast für mich allein. Aber es ist ein totaler Brainfuck. 10 Kilometer geradeaus mit dem absoluten Highlight einer leichten Linksbiege bei Kilometer 5,5. Und dann hupen mich auch noch lauter Leute an so "Heeeey... ich hup dich an, weil du da läufst und das voll anstrengend ist und ich sitz hier im Auto heeeeey!" Oder was? Ich erschreck mich jedes Mal zu Tode. Ein Fahrradfahrer kommt mir bei der Biege entgegen und streckt mir Corona-stylisch die Faust entgegen: Boing! Na das fand ich dagegen motivierend: Fortan hopste ich pfeifend und leicht wie eine Feder vor mich hin, bis ich das Ortsschild von Playa Blaca passierte. Aaah, dann bin ich ja jetzt da!... bin ich nicht. Der Ort ist gewaltig gewachsen seit wir 1996 hier waren. Meine heutige Ferienanlage, das Coral Beach, liegt 5 Kilometer entfernt direkt am Leuchtturm Faro de Pechiguera, der am südwestlichsten Zipfel Lanzarotes steht. Ich laufe eine halbe Ewigkeit an duzenden von Appartmentanlagen und Clubhotels entlang, die bis auf den Hausvulkan Montaña Roja hinauf reichen. So viele, dass ich befürchte, der weiße Strand muss unter der Last der zu erwartenden Gäste förmlich absaufen. So viel Playa ist hier doch garnicht für alle. Egal. Mich interessiert nur noch der Pool meiner Anlage und ne Cola aus dem All-Inclusive-Kühlschrank, den mir der Rezeptionist bewundernderweise Schenkt, als er hört, warum genau ich nur eine Nacht hier bin. Morgen werde ich den Ort garnicht verlassen und nur 6 Kilometer weiter in den vielleicht noch ursprünglichen Ortskern zum Hafen von Playa Blanca ziehen, wo auch die Fähre in Richtung Fuerteventura ablegt. Da kann ich morgen früh noch das hiesige 7-Euro-Buffet verspeisen, den Rest einpacken lassen und den Pool beplanschen. Jetzt brauche ich natürlich auch noch Pool... und dann nur noch liegen.