Circular de Lanzarote

09.09.2021 El Golfo

  

Die Etappe heute flößt mir immer noch Respekt ein. Nach weiterer Studie der Topo-Karte, gestern Nacht im roten Blubberpool, entscheide ich mich erstmal wie geplant zu gehen. Also auf in Richtung LZ-67, bis sie nach einer langen Ortschaftsdurchfahrt nach links abknickt, während ich einfach weiter geradeaus laufe, direkt in einen abrupt auftauchenden Lavafluss hinein. Ohne weitere Vorwarnung stehe ich in den Ausläufern des Timanfaya-Narionalparks. Ein schmaler Pfad führt durch ein für mich abseits der Wege unbegehbares, scharfkandiges Lavameer. Hierfür sind geschlossene Schuhe gemacht, das sehe ich ein. Zeit also für meinen Straßenfund, die Profilsohlen-Huachares. Sie dämpfen das Lavageröll unter meinen Füßen zwar ein bisschen mehr. Dennoch: da hilft kein Schönreden. Barfuß, bzw. nahezu barfuß laufen in der Lava ist wie auf Glasscherben laufen. Vergiss es. Ich muss mein Tempo deutlich reduzieren, um jeden Schritt voraus genau zu planen. Und so will ich auf einen Vulkan rauf?! Nie und nimmer! Ich stelle ich auf eine Lavaflussvölbung und überblicke das schwarze Meer. Inmitten dessen thront im krassen Gegensatz dazu ein weißgelber, großer Haufen. Orux sagt, das ist sie, die Caldera Bianca, der größte Krater der Insel. Das gibt mir Hoffnung, er muss deutlich älter sein als das Lavafeld und wurde davon umflossen. Und weißes Gestein ist nicht scharfkantig. Also probiere ich es.
Schneller als erwartet finde ich mich auf dem Kraterrand wieder und musste bis dorthin von einigen entgegenkommenden Wanderen ein verständnisloses "No no no!" mit Blick auf mein Schuhwerk einstecken. Mir egal. Eure Sehgewohnheiten. Im Gegensatz dazu bin ich vollkommen bänderriss- und umknicksicher, weil ich mich so unmöglich übernehmen kann.
Der Krater ist wohl von noch einem größeren Raumschiff geschaffen worden und kreisrund. Bilderbuchhaft. Ich besteige die Spitze auf 460 Metern und überschaue bald die ganze Insel von hieraus. Um mich herum lässt sich genau der Fluss der Lava bis zum Meer nachvollziehen und wie es in etwas Entfernung von der Brandung über tausende von Jahren wieder aufgefressen wird. Und da hinten soll ich gleich noch 17 Kilometer in Richtung El Golfo barfüßeln? Niemals. Da komme ich heute nicht mehr an. Also beschließe ich kurzerhand die unter der Caldera verlaufende Piste zurück zu nehmen.
Im sage und schreibe 16:30 erreiche ich die Straße direkt am Eingangstor zum Timanfaya Parkeingang. Da, wo man mit nem Bus das machen kann, was ich zu Fuß unwesentlich intensiver erfahre: Vulkanansche spüren. Boah was kribbeln meine Füße. Das war den Namen Piste nicht wert. Das waren drei Stunden Fußmassage über zwei parallele Spuren mit Ei-großen Lavabrocken. 17,5 Kilometer noch. Wääs? Ich kündige mich in meiner Casa Rural in El Golfo schonmal auf 21 Uhr an. Nadann, hilft nix. Obligatorisches Timanfaya-Schild ablichten und auf geht's. Und ich hab kein Bock darauf. Es geht vorbei an einem verwaisten Parkplatz, wo seit 50 Jahren Leute auf Kamelen um nen Krater getingelt werden. Nicht so um 17:30. Und ich hab immer noch kein Bock mehr. Dann folgt eine 4 Kilometer lange, schnurgerade Straße auf Taiza zu und ich waaaaaaaaah! Elendig. An mir fahren ständig Rennräder vorbei und hupendes Gesindel, das mir mit dem blöden Gehupe was genau vermitteln will? Ich weiß, dass meine Frisur durch den Wind an der Caldera wieder ruiniert ist, ich muss nicht noch darauf aufmerksam gemacht werden! Und ich hab kein Bock mehr. Ein Auto hält auf freier Straße neben mir an. Ob ich mit will. Natürlich nicht, grinse ich die beiden an. Schließlich wandere ich ja hier und will das so. Sie machen Daumen hoch und fahren weiter... und ich könnte kotzen. Warum genau bin ich da jetzt nicht eingestiegen, ich Volltrottel?? Wem will ich hier was genau beweisen? Oah mann, dieser bekloppte Idealismus. Zum Timanfaya-Teufel damit! Heul! Ich hab kein Bock meeeeeeeehr! Guck mal da links ein Regenbogenkrater!! 🌈 ... oder bin ich schon aschehigh...? ... dachte ich mir, während ich feststellte, dass die Bodenreflektoren auf der Straße genau 25 Meter auseinander aind. Toll, dann kann ich jetzt genau zählen, wie weit ich noch kein Bock mehr haben muss.
Ein rotes Auto hält neben mir an. Ob ich mit will? Na der Ort ist ja jetzt schon da vorne. Aber was soll's. Zwei Spanier aus Valencia nehmen mich mit. Juan-Carlos und Anna. Wo ich hinwill fragen sie mich. El Golfo, sag ich und sie sagen das Unvorstellbare: Wir auch! Mann hab ich'n Mehl. 12 Kilometer Weg gespart. 18 Uhr stehe ich vor meiner Casa, verabschiede mich, entnehme einen Schlüssel aus den mittlerweile vertrautem Kästchen mit Zahlenkombi, die mir der Besitzer per SMS mitgeteilt hat und falle auf direktem Wege in den Pool. Alles kribbelt. Mitgenommen werden ist kein cheaten, beschließe ich, solange man nicht den Daumen rausstreckt, sondern die Gnade der Leute erfährt. So. Das wäre dann auch logisch begründet.

Charco der los Clicos 1972 - 1996 - 2021
Die Abendsonne fällt fahl ins Meer und tüncht alles in sanfte Farben. Schönes Licht für El Golfo, denke ich mir und besuche noch die Aussichtsplattform zum namensgebenden, grünen See im zum Meer hin offenen Krater Montaña de Golfo direkt am Strand bei meiner Casa. Hydrovulkanismus ist hier zu beobchten. Eine Alge breitet sich in dem kleinen Meerwassersee aus. Der Strand am See ist nicht mehr begehbar, sagt mir später der Besitzer. Zu viele Touris hätten ihn fast zugetrampelt. Man musste ihn 2015 aufwändig restaurieren und ausbaggern. Mein weiß auch wohl bis heute nicht, warum der See nicht mehr wie früher gespeist wird. Irgendwann wird man wieder baggern müssen. Mir gleich. Ich muss jetzt dringend liegen und die in meinem Häuschen aufgebarten Maria Kekse mit Milch vertilgen oder nochmal in den Pool plumpsen... oder beides.