Circular de Lanzarote

01.09.2021 Costa Teguise

  

365 Tage sind vergangen und ich bin wieder am 29. Breitengrad. Nach diesem coronadurchdrungenen Jahr fühlt sich der jährliche Inselrundgang wie eine der wenigen unverrückbaren Instanzen an, auf die ich mich stützen kann. Dass es wieder der 1.9. wurde, ist eher dem Zufall des günstigsten Flugs zu verdanken: Ryanair aus Frankfurt Main. Jaja, Ryanair. Paderborn fällt als Abflugort wohl dauerhaft aus. Hmpf. Corona hinterlässt nachhaltige Spuren und hat die schwelende Insolvenz des Flughafens angefacht. Malle geht noch... und bekloppterweise Sylt. Aber das war's mit den Kanaren. Nie wieder das Gefühl beteuern, man könne von Borchen mit dem Fahrrad auf die Kanaren kommen, weil sie nur 8 Kilometer weit entfernt sind. Ein Urlaub beginnt bekanntlich mit dem Betreten des Terminals.
Dieses Jahr dennoch glücklicherweise einen Tag früher in Form eines Zwischenstopps in einem offenbachschen "Basislager" Ina, Jörg und Ito, die mir ein Bett, gute Gespräche und Itos Kochkünste in Form von Klopapiersuppe mit auf den Weg geben. Wir haben alle unsere Coronafedern gelassen, improvisiert und Meinungsmachern getrotzt. Das war ein guter, abrupter Alltagswechsel, der gut verschmerzen ließ, dass ich drei Uhr nachts in Richtung Flughafen aufbrechen musste.
Der Anflug auf Lanzarotes Hauptstadt Arrecife ist, glaube ich, der schönste der Kanaren. Es gibt einen Flyby von Norden her mit Blick auf das gesamte Eiland, bevor in Form einer luftigen Autobahnausfahrtskurve das Rollfeld angesteuert wird. Es ist immer noch Corona, weltweit. Aber es hat sich verändert im Vergleich zum letzten Jahr. Die Leute fliegen wieder. FPP2-Masken sind selbstverständlich wie Armbanduhren griffbereit am Ellebogen vertäut. Alle wissen, was zu beachten ist. Provisorische, selbst ausgedruckte Zettel mit Hinweisen sind stilgerechten Schildern gewichen, die mit der selben professionellen Sachlichkeit wie Gate-, WC- und Baggage-Claim-Schilder die Richtlinien mitsamt neu erfundener Strichmännchensymbolik anzeigen und routiniert befolgt werden, als hätte es sie immer schon gegeben. SpTH-Einreisezertifikat. Selbstverständlich. Corona brachte einen gewaltigen Digitalisierungsschub mitsich. Kaum einer hat mehr physische Dokumente als den eigenen Personalausweis bei sich. Keine Unsicherheit, alles Reibungslos. Jeder scheint zu akzeptieren, dass wir bereitwillig ein deutliches Stück Privatsphäre zu Gunsten einer Eintrittskarte zu Sonne und Meer aufgeben. Warum sonst sollte man sich auch impfen lassen?! Ich habe einen Haken setzen müssen, dass ich mich verpflichte, bei jedem Hüstchen bloß das Flugzeug nicht zu betreten, sonst teuer. Und ich halte die Luft an. Pfff... Die Coronaschilder dürfen gerne auf vergänglicher Pappe bleiben, das macht mir ein bisschen Angst. Upgradet lieber das Schulstreikplakat von Greta mit hellen LEDs... sprachs, während wieder 1,1 Tonnen CO2 für meinen GR 135 dieses Jahr auf mein Konto gehen.
So stehe ich hinter der automatischen Arrival-Ausgangstür bei trockenen 31 Grad, ziehe meine Alibi-Sandalen aus, atme den Gestank von parkenden Bussen und Kerosin ein, aktiviere meinen selbst gesteckten GR 135 auf Orux Maps und setze den ersten Schritt nach rechts in Richtung Arrecife. 20 Kilometer liegen heute noch vor mir, aber es wird super. Alleine hier zu sein ist super. Vom Flughafen aus führt ein brandneuer Fußgänger- und Fahrradweg bis zu meinem Zielort Costa Teguise. Ich kann wahrscheinlich den ganzen Rundweg zu Fuß vom und bis zum Flughafen laufen. Das gefällt dem perfektionistischen Ich-Teil, der die Insel kompromisslos und vollständig umwandern will. Der andere Teil freut sich über den unperfekten Dreck und die Vulkanansche unter den Fußsohlen und der Salzluft auf der Haut, die jenseits des Rollfeldes langsam aber sicher das Kerosin verdrängt.
Beginnen wir also die urlaubsarchäologische Spurensuche. GR-Schilder sind bislang nicht zu entdecken, stattdessen eine grandiose Promenade entlang der Küste bis in die City von Arrecife und wieder heraus. Hier stand vor 25 Jahren das einzige Hochhaus der Insel, ein 1994 abgebranntes Grand Hotel, das schon zu Zeiten meiner Eltern 1972 existierte. Es wurde gebaut, bevor der Inselkünstler César Manrique durchsetzte, dass auf Lanzarote nurmehr weiße, zweistöckige Gebäude mit grünen Fensterläden gebaut werden dürfen. Wie auf Hiddensee eigentlich. Auch dort steht ein dreistöckiges Hotel, das wie dieses vor sich hinrottete, anstatt abgerissen zu werden. Schließlich hätte man es in der Höhe nie wieder neu errichten dürfen. Direkt an der Küste steht es hier auch immer noch. Es wurde tatsächlich renoviert, mit Glas verkleidet und ist auch wieder zu einem Grand Hotel mit Spa geworden, das in dieser Form Unikat auf der Insel bleiben wird... hoffentlich. Das mit dem grünweiß und zweistöckig... naja... da scheint es eine Menge touristischer Ausnahmen zu geben mittlerweile. Aber es tut dem Antlitz der Stadt gut. Das ist gar nicht so unhässlich hier.
Es geht weiter entlang des Marinehafens und des Inselkraftwerks. Viele kleine Buchten gibt es hier mit zweifelhaftem Ausblick auf die Hafenanlagen und sogar auf ein beeindruckendes Schiffswrack. Aber mit Duschen, ganz zu meiner Freude: Seesack weg, planschen, duschen, weiter. Aaaah! Mehr davon.
Costa Teguise ist mal wieder voll 90er und wie der Kern von Costa Calma auf Fuerteventura auch ein bisschen am sterben. Se vende und se alquila an jeder Ecke. Das erwartete Klientel scheint mir das selbe wie das in den China-Buffet-Fabriken zu Hause zu sein. Man setzt auf Masse für Billig. Digital Dreamz und Modetrendz: H&N, Prahda, Sturmfeuerzeuge aus dem Hause Sony. Dazwischen viele All-you-can-eat-Buffets für 7,50, Spielhallten eingetaucht in billiges LED-Geflacker und Hong-Kong-Tüdeldü. Kirmes. Inmitten dessen throhnt auch mein Betonklotz Neptuno mit 12% Meerblick, wenn man seinen Halz rechts an dem Restaurantküchenabzug vorbei reckt. Aber hey, da ist ein Pool und das Meer direkt davor. Kein Schämen heute. Lieber mit Clipper Erbeerbrause, Käse und heimischer Tomate darauf anstoßen hier zu sein, gesund zu sein und nicht die üblichen Deprikopfschmerzen der ersten Tage zu verspüren. Und das nach 20 Kilometern. Exzellent. Es kann nur besser werden!