Etappen

03.10.2015 Tripiti

  

Heute bin ich aufgewacht, als hätte ich im Bett geschlafen. Schönes Gefühl. Nur liege ich an einem Strand und 100m rechts neben uns wird an der Promenade gerade das Frühstück vorbereitet... für uns!... unter anderem. Gegen 10 Uhr geht's los und der Weg wird genauso schön wie bisher. Problem: diese Etappe will keiner. Wir begegnen niemandem und er ist dermaßen schlecht markiert, dass wir öfter querfeldein zwischen Dornenbüschen herumstaksen müssen. Nicht ganz unkriminell an Steilküsten. Ich suche hier dann immer nach Ziegenkacke. Wo die hingekommen sind, komme ich auch lang. Ziegen laufen meist horizontal zum Hang und so kommt man Treppchen für Treppchen wieder zum Weg. Ich hab meine Orux-App mittlerweile mit Open Streetmap Karten gefüttert, als ich entdeckt hab, das dort der E4 markiert ist - ziemlich exakt sogar. Und so konnte ich entscheiden, ob wir mehr auf- oder absteigen müssen. Wie auch immer... wir müssen saufen wie die Löcher. Mehr als 6 Liter gehen drauf und wir haben den letzten Höhenkamm noch nicht überquert. Wir sitzen ziemlich geschafft nach vielleicht gerade mal 10km auf einem Stein, bis unvermittelt ein "Scheeeiiiiiiß Weeeeeeeg!" durchs Tal donnert. Frances musste ihr Ärgernis ob der vielen Improvisationen erstmal mit Mundstuhl entgegnen. "Und jetzt? Besser?" "JAAA!" sprachs und marschierte davon. 30m später stehen wir vor einer Quelle, die ein mickriges Rinsälchen in eine Aluwanne tröpfelt. Hm, das hat wohl eben irgendwer gehört. Wir nutzen den Tropfen und füllen wieder auf 12 Liter auf... und duschen uns ausgiebig. Es dämmert. Wir müssen noch runter. Aber nicht ohne eine weitere unerwartete "Abkürzung" über ein Gröllfeld. Eine ganz neue Erfahrung für Frances so den Hang entlang zu schwimmen, der mit einigen Schreien und einer deutlich zu witternden Angst kommentiert wurde. Es wurde dunkel, als wir endlich eine kleine Bucht namens Tripiti erreichen. Zwei Fischerhäuschen stehen hier, die wohl nur vom Meer aus erreicht werden können. Ein braungebrannter Mann kommt auf uns zu und ist sichtlich erfreut uns zu sehen. Wir haben mit niemandem gerechnet und sind eher erstaunt. Er kann drei Wörter Englisch. No Problem! Und Sorry. Aber wir verstehen, dass er will, dass wir hier bleiben sollen. Nun, wollten wir ja eh, jetzt wo es dunkel wird. Mal sehen was kommt. Woher wir kämen. Aus Germany. Ooooh, kennt er. Merkel! Good! Er macht Frances einen Kaffee in seinem kleinen Häuschen und bietet uns Melone an. Er hat einen Kühlschrank, der mit Gas betrieben wird. Genauso wie sein Handyladegerät und das Radio. Wir kommen irgendwie in ein Gespräch. Er heißt Mario und kommt aus Bulgarien. Er ist Gastarbeiter und hütet für den >Boss<, der grad nicht da ist, die Schafe auf dem Hang. Der >Boss< hat ein Hotel und ein Restaurant in dem Ort, den wir morgen erreichen. Das wäre gut und dort ist er gerade. Wir erfahren auch, dass der morgige Weg angeblich nur über einen Berg geht und auch halb so lang sein soll. Das steht nicht im Buch, deckt sich aber mit meiner Handykarte. Wir sind aber auch nicht schnell hier gewesen, von daher... Mario selbst verbringt in dieser Exklave bis März die Wintermonate und hat sich gerade erkältet. Deswegen sitzt er bis oben hin zu mit Kaputze, Pullover und Jacke vor uns und kann nicht verstehen, dass ich nur ne Badehose an habe und nicht friere. Hm, fällt mir Nordlicht bei 22 Grad nachts und 30 Grad tags und bestimmt 100 Grad in der Sonne halt recht schwer... das mit dem Frieren. Seine Frau und sein Sohn sind daheim in Bulgarien. Er hat bulgarische Musik auf seinem Handy, die er mir vorspielt. Hört sich wie griechisch an, allerdings mit diesen zappeligen Streichereinlagen, die man aus den türkischen Musiksendern kennt, die auf 56''-TV-Monitoren in Dönerläden dafür sorgen, dass es mit dem Partner beim Essen nicht so langweilig wird, oder dieser sich vernachlässigt fühlt, je nachdem wie lieb man sich hat. Wir dürfen Marios Dusche benutzen, die über einen 2000l-Tank auf einem Felsblock überhalb der Hütte gespeist wird und sich über den Tag aufgeheizt hat. Im Hof auf einer Wiese schlagen wir das Nachtlager auf. Irgendwie ist das schön. Irgendwie aber auch etwas komisch. Es fällt schwer sich gegen mögliche Szenarien, die man so im Kopf hat in so einer Situation, zu widersetzen. Dennoch, wir liegen jetzt im Höfchen des Hüttchens, das an die Steilwand der vielleicht 50m breiten Schlucht gepresst ist, es ist pechschwarz ringsum und wir können Milliarden Sterne sehen aus unserem Panoramadach. Mario telefoniert drinnen mit irgendwem recht angeregt. Ich beschließe, dass angeregt telefonierende Menschen vertrauenswürdig sind, wenn man mit ihnen ansonsten nicht so recht kommunizieren kann. Gerade ging auch bei ihm das Licht aus...