Blickwinkel Oliver

14.07.2015 - Hrafntinnusker oder Es ist fickend kalt!

  

Das Große Aufbrechen begann um halb 6. Ich bin froh, dass mein Handy für solche Sachen nen Walkman hat. Nicht der Musik wegen, aber die beigefügten Kopfhörer haben ne Rauschunterdrückung integriert, die irgendwie magisch den Schall mit Gegenschall kompensieren. Man hört nichts mehr und die Dinger sind nicht so nervig wie Ohropax. So konnte ich es doch bis 9 noch aushalten. Wir wollen um 10 gehen, wenn alle weg sind. Nur das passiert nicht. Der Hikerstrom in Richtung Laugavegur reißt nicht ab. Der Dauerregen hat der draußen nächtigenden Franzosenkolonne sichtlich zugesetzt. Man kauert sich unter eins der beiden Unterstelldächer. Das haben sie wohl auch nicht sooooo gebucht. Wir sind dank Hütte immerhin ausgeruht und suchen uns einen freien Platz auf dem Sushilaufband in Richtung hoch. Massenhiken ist ätzend. Eine Mischung aus Ultraleichtsupertechnikprofihikern, Japanern in Leinenschühchen, motzenden Russen, unerfahrenen Erstis mit 25kg Hausstand und dem Schlafsack vor den Beinen baumelnd und Normalos wie uns als Mischung aus allen Extremen, irgendwas fehlt immer. Uns, tendenziell eher den UL-Hikern zuzurechnen, fehlt die Motivation mit Sprühregen da jetzt hochzugurken. Ich wollte kein Teil einer Massenveranstaltung werden. Der Weg ansich ist echt schön mit all den bunten Bergen, Schwefelfeldern und heißen Quellen. Mit der Erinnerung an 2012 allerdings, wo wir allein hier oben gelaufen sind, macht sich in mir ein Gefühl der Ernüchterung breit. Den Ort kannste zur Hochsaison abhaken. Frances ist dennoch begeistert von alldem Blubb und Sprüh... und Stink... bis oben angelangt die Schneefelder beginnen und Dauerregen im dicksten Nebel. Bis zur Hütte ändert sich es sich nicht und es ist hässlich. Frances flucht mit jedem Schritt... und wen sie mit jedem Stolperer nicht alles ficken und töten will. Ich schalte innerlich auf Wurschtmodus um und konzentrier mich auf den nächsten Schritt. Wenigstens das GPS zeigt, dass ich weiter gekommen bin. Ich bin steif und durchnässt. Frances fragt, warum ich mir das eigentlich antue. Die Antwort ist simpel und sinnlos: Weil ich es kann. Mich stört es nur, wenn mir jemand anderes sagt, dass es stört. Aber da oben im Watteweiß steht eine Hütte, die direkt auf einem Hitzeloch steht und warm ist. Das ist meine Oase und damit ein lohnendes Ziel für heute. Die Hütte ist komplett eingeschneit. Ein paar der Franzosen bauen sich davor mit Schaufeln Schützengräben, um sich vor dem Bindfädenregen mit 3-Grad-Wind zu verschanzen. Viele Zelte werden so auf- und oft auch wieder abgebaut. Die meisten entscheiden sich vor Verzweiflung dafür, die nächste Etappe in Angriff zu nehmen, runter ins nächste Tal. In die Hütte dürfen nur die, die zuvor gebucht hatten. Man hat jedenfalls was zu gucken, so von drinnen nach draußen. Aber wo läge für mich die Motivation, das jetzt da draußen durchzustehen? Was ist das höhere Ziel? Survival? Nächste Woche ist dann tolles Wetter hier und alles war umsonst durchgestanden irgendwie. Naja, eigentlich darf ich aber nichts sagen. Andere ziehen die Weil-ich-es-kann-Grenze halt woanders. Die Hütte hingegen für mich ist verdiente Belohnung und wir lernen Sandra und Anna aus Marburg und Wetzlar kennen und erzählen uns ein bisschen von Grönland, Schottland und Neuseeland, wo es wohl auch im dortigen Sommer sehr überlaufen sein soll auf den Trails. Wetter wieder im Eimer. Aber gutes Ende und den Schweinehund dafür kleingekriegt. So lässt sich gut einschlafen... Aber bei den Schnarchern hier nur mit meinen Superhightech-Geräuschkompensatoren. Yeah, was für eine geniale Erfindung!