Blickwinkel Oliver

10.07.2015 - Nuuk im Winter

  

Ich wache auf und das Licht ist so ungewohnt fahl. Ein Blick nach draußen aufs Meer zeigt, alles hängt im Nebel. Und es ist stürmisch. Die Temperatur hat sich während der Nacht auf lauschige 5 Grad herunter korrigiert. Wir beschließen die schöne Hütte noch gebührend zu nutzen und frühstücken kuscheln den ganzen Morgen herum. Hier kann man Boote beim vorbeipreschen durch die Wellen beobachten. Also warum nicht einfach genau das machen. Gegen Mittag nehmen wir dann den Bus in Richtung Downtown. Es mag sein, dass die Stadt mehr Struktur hat als Sisimiut, aber Sisimiut hatte ein gemütliches Fair mit der kleinen Bäckerei, dem einzigen Freibad Grönlands und der Popelsauna im in die Jahre gekommenen Sportzentrum. Hier mischen sich drei industrielle Zeitalter völlig unpassend ineinander. Kleine Holzhäuschen inmitten 10stöckiger Bankengebäude und dem Grønland Center, der Shopping Mal des Landes. Direkt an der Küste klebt noch Godthåb, die erste Siedlung mit 200 Jahre alten Kolonialbauten, wie ein buntes Lego-Fabuland direkt neben der pragmatischen und ruhrpotthässlichen Gegenwart, die mit einer abgerissenen Einkaufsmeile einen auf Modern tut. Der Lack blättert aber zu schnell ab, die Glasfassaden haben Risse und das Wasser steht in den Isolierschichten zwischen den Scheiben und macht sie langsam blind. Wir gehen ins Kulturzentrum, das die selbe Funktion hat wie in Sisimiut. Terminator läuft hier nicht. Doof. Aber Minions in 3D. Cool!!...in Dänisch... doof. Das wird nix mit meinem grönländischen Kinobesuch, schade. Frances Achillesferse ist seit gestern gereizt und es wird seit heute schlimmer. Also wackeln wir langsam in Richtung Altstadt. Wir wollen ins Nationalmuseum. Unten am historischen Hafen liegt schon lange kein Schiff mehr vor Anker. Dafür ein kleiner gestrandeter Eisberg. Draußen steuert ein Hapag Lloyd Schiff die Hafenbucht an. Wir gehen ins Museum, das in zehn kleinen Häuschen alles über die Geschichte des Landes wiedergibt, angefangen von den Urvölkern, die von Alaska her entlang der kanadischen Küste wanderten, dort die sog. Dorset-Kultur entwickelten, sowie die in der Kälte überlebebswichtigen Jagttechniken auf Wale, Robben und Eisbären. In mehreren weiteren Schritten entwickelte sich die Kultur der Thule, die über die nördlichen Küsten in 2500 Jahren bis Grönland vordrang und die Vorgänger der heutigen Inuitkuktur darstellt. Zwischenzeitlich war bedingt durch zu starke Winter die Insel um das Jahr 0 jedoch auch Jahrhunderte lang entvölkert gewesen. Schaut man auf eine 2D Karte der Welt sieht es so aus, als wäre Grönland total abgeschieden. Erst ein Blick auf den Globus mit Blick vom Nordpol zeigt, wie nah wir dem nordamerikanischen Festland in Wirklichkeit sind. Alaska und Kanada sind vielleicht eine Flugstunde entfernt. So schaut man jedoch in der Regel die Welt nicht an und so hat man eine doch recht verzerrte Vorstellung von Größe und Lage der Insel, finde ich. Auf der Karte kenne ich Grönland oben in der Mitte und Alaska ganz weit links. Auf einmal kommt eine Schulklasse ins Museum und es wird hektisch und laut im Eingangsbereich. "Bitte verteilen Sie sich gleichmäßig in den Gebäuden, sodass sie sich nicht gegenseitig stören ja?" Das Grönländisch hab ich leider gut verstanden. Keine Schulklasse kommt in den Museumstrankt gedrängt, sondern eine Horde Rentner, uni sono gekleidet in rote Hapag Lloyd Anoraks und mit gigantischen Cameras vor den Bäuchen rauschen durch die Ausstellung. Englisch verstehen sie nicht, also lesen sie nicht. Kurz das ausgegrabene Kajak ablichten, den Kopf durch eine Papp-inuitfigur stecken, ablichten. Ein Film läuft und zeigt den Schulalltag der 50er in einer grönländischen Schule. Gymnastik. "Guck mal, hier musst du gucken! So wurden die Eskimos gedrillt und abgerichtet!" Ein Häuschen weiter werden Utensilien zur Fisch- und Fleischkonservierung und der Kisten- und Fassmacherei des Handelsmonopolisten KGH des 19. Jahrhunderts ausgestellt. Die Tür schwinkt auf. Ein von Gesicht bis Anorak rotes Hapag Camerafrauchen glotzt rein, vernebelt alles mit einem betörenden, radioaktiv riechenden Parfum. "Aha. Das ist jetzt keine Töpferei, nicht?" Die Tür fliegt wieder zu. In Haus 10 setzen wir uns auf eine Bank an der Tür, um den Pulk abzuwarten und dann unsere Ruhe zu haben vor Männern, die ihren Frauen lautstark und mit Nachdruck und Selbstverständlichkeit das erklären, was sie selbst nicht kapieren. Man zeigt uns die Eintrittskarten vor, auf dass wir sie abnicken. Wir sind die Türwächter. Scheiße, denke ich. Das ist die altehrwürdige Repräsentanz unserer Wohlstandskultur und konsumiert das Land wie Fast Food im Drive In bei Mc Donalds. Ohne künstliche Geschmacksverstärker nehmen die nichts wahr außer das nächste Klo, um das verdaute Frühstücksbuffet aufs Land zu scheißen und den Museumszettel, um bloß nicht Haus 3 vor Haus 1 und 2 zu betreten, denn das wär ja nicht richtig. Man möge mich erschießen, wenn ich mit 60 so bin, aber ich sage voraus, dass ich das niemals sein werde. Draußen liegen am alten Hafen die Rettungsboote der MS Deutschland, um die kukturverstopften Gäste zurück in die schwimmende Heimat zu befördern. Ein paar der Truppe wagen sich allerdings Schritt für Schritt noch ein paar Meter tiefer hinein ins Tackatuckaland und entdecken den Pissifik Supermarkt hinter der Altstadt. "Guck mal! Die haben hier richtige Läden wie bei uns!" Damit wären dann alle Vorurteile gegenüber uns selbst bestätigt und abgehakt. Wohlan, es gilt aber auch für mich ein paar Ansichtskarten zu kaufen. Die sind allerdings Mangelwahre hier. Entweder sie zeigen historische Inuk Bildnisse oder schlecht fotografierte Stadtbilder, Baujahr 1980. In der Hauptpost habe ich dann aber doch Glück und finde eine schöne Luftaufnahme und sogar eine Aufnahme von der Klippe, auf der wir wohnen, mit dem dominierenden Bergmassiv im Hintergrund. Da aber dann doch von einem Tag auf den anderen das Wetter von Sommer auf Winter geswitcht ist, beschließen wir heim zu fahren und weiter zu kuscheln. Ich mache noch einen Ich-war-hier-Geocache am eigentlichen Hafen, den man durch grönlands einzigen und damit längsten, schönsten, vielbefahrensten, kürzesten, hässlichsten und verkehrsfreiesten Tunnel (ein Land der Superlativen) erreicht. Nuuk ist nicht schön. Ich würde hier nicht glücklich werden. Aber ich verstehe, dass Liisi es ist und nach ihrem Studium in Kopenhagen und der dortigen Arbeit doch wieder zurückgekommen ist. Die Menschen sind herzlich hier, wenn man sie anlächelt. Die wenigen Konsum- und Freizeitmöglichkeiten im Alltag führen scheinbar dazu, dass man auch Spaß dabei empfindet, ne Runde Volkslieder anzustimmen oder ein Strickkaffeekränzchen zu machen. Ob man das verallgemeinern kann weiß ich nicht. Aber die Herzlichkeit habe ich auch schon in Norwegen und Island erfahren. Grönland war jede Erfahrung hier wert. Aber ich freue mich doch schon morgen auf Island und auf Reykjavik. Irgendwie ein schönes Gefühl zu wissen, dass ich mich dort auskennen werde :-) Es ist dort genauso karg wie hier, aber ich konnte dort vor 3 Jahren ein kleines Heimatgefühl für mich entwickeln.