Blickwinkel Oliver

07.07.2015 - ACT Tag 10

  

Nee, zu früh gefreut. Es war eine Nacht, wie auf einer Streckbank für uns beide. Wir hatten beide auf einem Hügel im Rücken geschlafen. Die Nacht war bestechend kalt, bis gegen 5 Uhr die Sonne wieder über die Berge gekrochen kam. Ohnehin ist das Wetter von Tag zu Tag kühler geworden, die Temperaturen haben sich auf 16 Grad reduziert, wenn die Sonne nicht scheint, schätze ich. Perfekt zum Wandern, aber 10 Grad morgens ist grenzwertig zum nochmal baden gehen. Der Wind hat deutlich zugenommen und wir treten die letztem 8km an, vorbei am Sisimiuter Skiliftchen, das letzte Tal hinab, bis schließlich nach einer allerletzten Feuchtwiese das Meer und eine Tiefebene erscheint, auf der jemand wahllos bunte Legosteine in allen Größen und Formen ausgekippt hat: Sisimiut. Hm, beim Jakobsweg und Olavsweg war ich ein bisschen traurig, dass es vorbei war. Hier freue ich mich sehr wieder unter Menschen zu kommen. Der Archic Circle Trail endet unverhofft auf einer Schotterpiste. Wir laufen vorbei an einer Wiese, auf der mehrere Familien Zelte aufgebaut haben und zwei Dutzend Kinder in Winterjacken, Leggins und Kniestrümpfen als Empfangskommitee uns hektisch zuwinken... "God daaaaaaag!!" Dann eine Schranke, dahinter ein Buswendehammer, Astphalt, Straßenbeleuchtung, Strommasten. Wir sind gelandet. Es geht vorbei an vielen bunten Holzhäuschen. Wie Dänemark ohne Bäume... Und ohne Struktur... Und einfach nur hingemüllt, die Häuser und alles ringsum. Weiter hinab setzt der Verkehr ein, wie in einer gewöhnlichen Kleinstadt, dann der erste von fünf Supermärkten, Läden, Dänisches Bettenlager, Grønlands Bank, der Linienbus und hunderte Pickups und andere verbeulte, staubige Autos. Man soll meinen, hier gäbe es nur 5500 Einwohner, 25km Straßennetz und eine 4km lange Überlandstraße zum Flugfeld, aber dicke Karre muss wohl. Man könnte durchaus nett leben hier, aber es wirkt alles wie ein einziger Behelf... Im Winter ist ja eh wieder alles mit Schnee bedeckt und der beginnt ja schon in 6 Wochen. Also wozu die Mühe. Wir gehen in den Supermarkt... Brugseni und setzen uns an einen Kafeteriatisch. Im Supermarkt ist ein Imbiss integriert mit heimischer Hausmannskost. Davon hole ich etwas und Faxe Kondi... Sowas wie Uludag ausm Dönerladen. Irresüß so ein Zeug, wenn man 10 Tage nur die Mineraltabletten hatte. Ich muss erstmal ne halbe Stunde Leute beobachten und raffen, wie hier im Nirgendwo auf einmal alles so industrialisiert ist wie zu Hause. Eben sind wir an einigen Mietskasernen vorbeigekommen. Scheußlich. Da hat man die Bevölkerung vor 50 Jahren versucht einzuquartieren, bis man einsehen müsste, dass das für eine Bevölkerung, die ein unabhängiges, an die Natur angepasstes Leben gewöhnt war, einer Selbstmordbeihilfe gleichkommt. Man ist dann auf niedliche Reihenhäuschen umgestiegen, die auf Betonsockeln oder Stelzen ruhen. Da kann man immerhin seinen Scooter, das Auto und das Schlauchboot vor parken. Die meisten hier sind dunkelhäutig mit Schlitzaugen und breiten, pausbackigen Köpfen. Wir fallen als Wanderer sofort aus der Rolle. Auffällig viele junge Leute und viele viele Kinder. Die Frauen versuchen sich sommerlich emanzipiert, die meisten Männer sehen aus wie eine magere, grönländische Variante eines Ferris MC oder Eminem mit Fußballkopf. Wenn die Lebensweise nicht mehr zur eigentlichen Kultur passt, kommen die Frauen noch am besten damit klar, scheint uns. Die Männer hingegen scheinen ihrer kompletten Kräfte und Ausstrahlung beraubt worden zu sein. Welche Perspektiven bieten sich mir, wenn ich hier leben müsste... Arbeit in der modernsten Fischfabrik der Welt... Alle weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sind spärlich. Ein Porsche Cayenne fährt vorbei... Was macht der bzw. die beruflich?! Im Sisimiut Vandrejhem mieten wir uns für die nächsten zwei Tage ein Zimmerchen. Erstmal ist Vollreimigung angesagt und Abendessen. Morgen wollen wir doch mal schauen, was so viele Leute hier wirklich bindet. Das Kino ist auch schon entdeckt. Es gibt ein Kulturhaus, in dem auch Theater, Disko und Veranstaltungsräume untergebracht sind. Hmm... Morgen in Jurassic World gehen? :-D Gegen 8 Uhr kommt das polnische Pärchen aus Katiffik an und ist extrem perplex, dass wir schon hier sind. Wir müssen sie auf dem Weg ungesehen überholt haben. Ein deutsches Pärchen aus dem Old Camp kommt auch herein. Die Frau hat eine äußerst unangenehme Art. Nicht, dass sie stört, aber sie redet so viel deutsches Englisch und da kommen mir die Wörter "I", "like" und "actually" zu häufig vor. Wenn man alles andere Geblubbere wegstreicht bleibt irgendwie nur "I acutally like me" übrig. Der polnische Mann, Sebastian, will nicht glauben, dass wir so schnell waren und erzählt uns, wie schlimm die Mücken waren, bis seine Freundin Olga ihn zum Fertigpizza essen mit einem "don't talk about flies anymore" aufs Zimmer zitiert. Irgendwie unsympathische Leute, macht aber nichts. Ich habe gar kein solches Kennenlernbedürfnis wie auf den anderen beiden Wegen.