Blickwinkel Oliver

05.07.2015 - ACT Tag 8

  

Es ist 8 Uhr und ich sitze in unserem Kühlhaus, das immerhin Fenster hat. Zum Glück steht neben meiner Luke draußen eine Holzkiste. Also, alle Sachen in meinen 4 Händen verteilen uuund: LukeaufSolarpanelerausLukezuUSBvergessenMISTLukeaufUSBdranLukezuHandydran lädt gut... Und keine der Mücken ist reingekommen. Ich lege mich beruhigt nochmal hin und schau zur Decke... Alles sitzt voller Vampire. Wo sind die den hergekommen?! Die Tür schließt nicht richtig, stelle ich fest. Allerdings interessieren sie sich gar nicht für uns. Das sonnenbeschienene Fenster oben scheint attraktiver. Recht so, wenn auch gruselig. Schau ich doch mal in das gelbe Buch, wie's weitergeht... "Zeitweise sumpfiges Gelände und mannshohe Kriechweiden, die das Gehen mit dem großen Rucksack erschweren, wechseln sich ab mit malerischen Wollgrasfeldern." Ungebremste Vorfreude breitet sich in mir aus. Man hätte Feuchtwiesen und Kriechweiden nicht schöner verpacken können. Mittlerweile ist es 23 Uhr und wir befinden uns in einem niedlichen Hüttchen mit einer großen Pritsche... Ein Doppelbett sozusagen. Draußen unter uns verläuft der Kangerluarsuk Tulleq Fjord und glitzert silbrig durch die Nachtsonne. Die Etappe entpuppte sich trotz der morgentlichen Befürchtungen als schön und flüssig zu laufen... Jaaa, auch trotz Weichfeusen und Kriechtwieden. Viel hängt aber auch damit zusammen, dass seit gestern bedingt durch den stetigen Wind von Westen, der durch das Flusstal hinauf zieht, praktisch keine Mücke eine Chance hat, sich an uns festzubeißen. Ich schmecke denen anscheinend ohnehin nicht mehr. Seit vier Tagen habe ich keine neuen Stiche mehr, während ich mich vorher kaum retten konnte. Möglicherweise ekeln sich die Fiecher vor ihrem eigenen Rotz, der jetzt literweise in meinen Adern fließt... Hm... Als ich das letzte Mal in Spiegel sah, hatte meine Nase glaube ich eine rüsselartige Form angenommen... Wir hatten den Fluss heute mehrmals zu durchwaten. Frances hat dann doch lieber meine Sandalen angezogen. Ich hab eh seit 3 Tagen keine Schuhe mehr an angesichts des Matschgewatsches hier. Jeder Hang, jede Wiese ist voll mit Schmelzwasser. Mit den Sandalen bin ich ständig in den tiefen, sumpfigen Stellen stecken geblieben und konnte sie dann aus 50cm tiefem Torf wieder versuchen herauszufischen. Das Kräftezehrendste überhaupt bislang. Frances Meindl sind mittlerweile 3 Kilo schwer und teilen sich wahrscheinlich demnächst, wenn wir nicht bald Sisimiut erreichen. Eben saßen wir bei einem weniger gehässigen Steinmännchen und überlegten, ob uns der Weg gefällt. Erstaunlicherweise tut er das sogar sehr. So anstrengend und nervig es teilweise auch ist; ist ein Hindernis überwunden, verschwindet es auch schon aus der Wahrnehmung und es bleibt nur noch die Erkenntnis, dass man es trotzdem geschafft hat, gepaart mit einem gewissen Stolz darüber, was für ne toughe Sau man doch ist, all das hier zu schaffen ohne auf Hilfe der Zivilisation angewiesen zu sein. Gut, die Hütten sind hier... Aber die brauchen wir nicht. Wir nehmen sie uns nur ;-) Uns fehlt hier oben auch irgendwie nichts. Ein bisschen Luxus ist ja dabei. Dank Sonnenenenergieumwandlungsfaltgerätschaft hat Frances ihr Kindledings zum lesen mit und ich mein Handy, das ohnehin zu 99% meinen Computer ersetzt hat. Da hohl ich mir jeden Tag die Dosis Zivilisation, die ich benötige und lasse in Sim City ein paar Meteroidenschauer und Ufos auf Großstädte nieder und seh zu, wie sie in sich zusammenbrechen während mir Donald Fagen und Sufjan Stevens was zärtlich Schräges ins Ohr dudeln. Nunja... unverblümt betrachtet brauch ich mehr, als mir direkt bewusst ist. Man gibt die einen Abhängigkeiten auf und unterwirft sich neuen. Unser Essen reicht noch für maximal 2 Tage. Hier draußen wächst nichts, von dem ich mich ernähren könnte... Doch... Ich könnte versuchen das Rentier mit meinem Taschenmesser zu attackieren und falls ich das schaffe, schneller zu sein es aufzuessen, als meine sechsbeinigen Mitesser. Das Wetter darf sich nicht ändern. Wehe es dauerregnet. Und das erbärmlichste: wenn meine Antimückenspray-Schilde versagen sollten, bin ich restlos den kleinen Spacefightern mit Juckwaffe ausgeliefert. Dafür sind die Biester zu gierig. Zu guterletzt darf auch nicht vergessen werden, was die Steinmännchen mit mir machen würden, wenn ich sie nicht ständig im Auge behielte!! Also bloß nicht von Illusionen täuschen lassen, man wäre hier so frei, wie es sich vermeintlich anfühlt. Der Fluss ist kurz vor dem Fjord in einen letzten See gelaufen, der auch sowas wie eine Miniostsee mit bronzeglitzerndem Sandstrand und Eisresten ist, an dem wir 2 Stunden entlanggewandert sind. Fein zum planschen. Dennoch, langsam stellt sich ein unterschwelliges Alltagsgefühl ein, das daher rührt, dass die Landschaft und der Tagesablauf sich in der letzten Woche kaum verändert haben. Ich habe das Gefühl, das Sommergrönland kennengelernt zu haben und habe auch Lust, mal wieder Leute zu sehen. Seit der Kanuhütte war keiner mehr zu sehen, wir sind gaaanz allein. Das führt wiederum dazu, dass man sich bereits in sicherer Gesellschaft fühlt, wenn man einem Flußabdruck folgt und weiß, dass man nicht mal wieder vom Weg abgekommen ist in einer der letzten Feuchtwiesen, die für üblich bar jeder Markierumgen sind. Und da das heute unsere letzte Hütte ist... und dazu ja auch noch so eine schnuckelige obendrein und weil wir bislang so richtig toughe Säue waren, die zu schlau sind, sich wegen Nichtigkeiten in die Haare zu kriegen, hab ich heute zur Feier des Tages auch endlich den mitgeschleppten Carbernet Savignon geköpft und in unsere Gummifaltbecher eingeschenkt. Dazu ein Döschen grönländischen Tomatenfisch, den wir im gestrigen Kühlhaus entdeckt haben... mmmmmmmh!!