Blickwinkel Oliver

27.06.2015 - Kangerlussuaq

  

Irgendwie fühlte es sich an, als wenn man auf einen Flieger zum Mars wartet, morgens am Flughafen. Jetzt sitze ich in meinem kleinen Zelt auf einer Insel, die weder den Namen Insel, noch die Bezeichnung "grün" so recht verdient hat. Um mich herum surrt ein millionenstimmiges Surround-Mückenchoral mit der flehenden Bitte nach meinem Blut. Ich versuche es positiv zu sehen. Ich bin für sie quasi Gott und sie beten mich an. Wenn ich es nicht so sehe, sind sie einfach nur grauenvoll und ein Grund, diese Insel sofort wieder zu verlassen. Ohnehin haben uns Frances und ich bei der Ankunft oft die Frage gestellt, was wir - also wir Menschen - hier oben eigentlich suchen. Kangerlussuaq ist eine Landebahn, die wohl nur zum Zeichen dafür, dass sie ein Ende hat durch ein paar Dutzend bunten Blechhütten abgegrenzt wird. Und womit landen wir hier? Mit einem Airbus A330 Großraumflieger, der voll besetzt ist. Schätze wir haben mit uns den ganzen Ort um das Dreifache zusätzlich bevölkert. Unsere ersten Begrüßer: die Mücken bei eisigen +24 Grad im Schatten. Da hatte ich noch Verständnis. Man stelle sich vor, man hätte nur 4 Wochen Zeit Sex zu machen, bevor man wieder 11 Monate frieren darf. Frances wusste nicht recht, ob sie lachen oder weinen soll. Einerseits ist das alles aufregend und andererseits gehört man hier doch garnicht so recht hin. Im Terminal wurden wir mit einem uralten Käsborer Bus abgeholt, der den Stickern an der Frontscheibe nach vor langer Zeit viele österreichische und italienische Autobahnen befahren hat... na was für ein Ruhestand. Er bringt uns die 2km lange Astphaltstraße zum Old Camp für die erste Nacht. Mein Plan war, dass wir uns Fahrräder mieten und auf der längsten Straße Grönlands zum Inlandeis radeln... bevor mir Fräulein Migräne gesagt hat, dass Schlafen auch ne Bombenoption wäre. Ihrem Charme kann ich nie widerstehen, vor allem nach der Nicht-Nacht am Düsseldorfer Flughafen. 7 Stunden später. 16 Uhr ists. Zu Hause 20. Hunger. Nur wo Essen? Hm... Mal im Flughafen gucken. Also rauf die Landebahn entlang und tatsächlich. Es gibt eine Kantine, auch wenn der Flughafen schon dicht ist. Es gibt 1 Gericht zur Auswahl: Moschusochseneintopf mit Beinscheiben. Wir sind begeistert! Nee, wirklich! Was mir auffällt: trotz der Ödnis hier oben sind ne Menge Kinder hier. Es gibt sogar Spielplätze, Straßenschilder, nen Dorfsherrif und Led-Straßenbeleuchtung. Aber ich denke der Ort hat nur einen Sinn: die dicke rote Air Greenlandzigarre landet hier aus Kopenhagen, weil die Winde an der Küste schlecht sind, spuckt alle aus, die sofort die nächstbeste Zigarette zu den Küstenorten nehmen.... Außer wir beide und ein paar andere Wandersleute, die den ACT im Visier haben. Wir sind so cool und machen das lieber zu Fuß. Mittlerweile ist es 19 Uhr und ich bin fit. Das Zeitgefühl geht jetzt schon abhanden. Fühlt sich an wie 14 Uhr mit dem Sonnenstand. Also warum nicht doch noch das Fahrrad mieten? Frances will nicht. Ich aber, auch um zu testen, ob es wirklich nicht dunkel wird. Bis halb 2 war ich noch unterwegs und die Sonne schien immer noch. Draußen spielten die Kinder Fußball. Der Pistenweg zum Russelsgletscher war anstrengend, mehr weiche Sandpiste, auf der ich mit den Mücken Wettrennen gespielt habe. Der Gletscher selbst ist beeindruckend und unterscheidet sich vom Anblick zu den Alpen dahingehend, dass er einfach nicht aufhört. Beeindruckender fand ich jedoch vielmehr die Vorstellung, dass jenseits der Eiswand tausende von Kilometern nichts anderes mehr als Eis kommt. Und ich steh hier 25 km von Kangerlussuaq entfernt mit meinem Mountainbike bei 24 Grad nachts um halb 12 davor und es kommt mir alles wahnsinnig schräg vor. Wehe ich hab jetztn Platten...